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Geschichten erzählen. Nadine Gottmann hat das Drehbuch verfasst.

© M. Thomas

Potsdamer Filme auf der Berlinale: Die Faszination der Leere

Nadine Gottmann hat das Drehbuch zu dem Berlinale-Film „Wir sind die Flut“ geschrieben. Die Vorlage für das Science-Fiction-Drama, in dem in einem Dorf mit dem Meer die Kinder verschwinden, war ihre Abschlussarbeit an der Filmuniversität Babelsberg.

Potsdam - Die Geschichte hat etwas Mysteriöses, etwas Unheimliches. Vor 15 Jahren ist vor der Küste von Windholm das Meer verschwunden. Und mit ihm auch die Kinder des Dorfes. Ein junges Physiker-Paar vermutet, dass es etwas mit der Gravitationskonstante zu tun haben könnte, eine Anomalie, etwas, das die Wissenschaft bisher nicht kennt. Sie machen sich illegal auf in das Sperrgebiet und finden sich am Ende auf einem Trip zu sich selbst wieder.

Was passiert, wenn die Gravitation außer Kraft gesetzt wird

Dass Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie just eine Woche vor der Berlinale-Premiere des Films „Wir sind die Flut“ schlussendlich belegt wurde, mag Zufall sein. Die Drehbuch-Autorin Nadine Gottmann sagt ganz unverblümt, dass man dies vorausgeahnt habe. Mit einem Augenzwinkern natürlich. Wir treffen die 30-jährige Absolventin der Filmuniversität Babelsberg wenige Tage vor der Premiere im Cinemaxx-Kino am Potsdamer Platz. Nein, Physik habe sie nicht studiert. Sie sei vielmehr von der Idee der Leere fasziniert gewesen. Eine Leere, die sich an einem Ort einstellt, an dem die Zeit stehen geblieben ist. „Diese Vorstellung hat mich emotional angezogen“, sagt sie. Der physikalische Aspekt sei erst später dazu gekommen. Das fand sie spannend, die Gravitation als Naturgesetz, das uns auf der Erde hält – und was passiert, wenn sie außer Kraft gesetzt wird. „Dann gibt es keinen Halt mehr auf der Welt.“

Die wissenschaftliche Untermauerung erhielt das Filmprojekt durch die Beratung des Max-Planck-Institutes für Kernphysik. Den Wissenschaftlern habe es offenbar Spaß gemacht, mit einer gewissen Unmöglichkeit zu spielen, nämlich dass im Mittelpunkt des Dorfes so etwas wie dunkle Materie existiert, die die Masse des Meerwassers abstößt. Vor Studenten sagt der junge Forscher Michael (Max Mauff) in dem Film, dass man in Zeiten lebe, in denen es keine Geheimnisse mehr zu geben scheint. „In Ihrem Physikstudium werden sie zumindest eines lernen: Das stimmt so nicht.“ Denn was sich in Windholm abspielt, versteht keiner der Physiker. Und Michael will das Geheimnis lüften: „Wir müssen etwas riskieren, wieder einmal und nicht das letzte Mal in der Geschichte der Wissenschaft.“

Der wissenschaftliche Berater sieht den Film erst zur Premiere 

Den fertigen Film wird der wissenschaftliche Berater des Max-Planck-Instituts erst zur Berlinale-Premiere am Freitag sehen. Nadine Gottmann hofft, dass sie bei den Dreharbeiten die Zusammenhänge nicht zu stark vereinfacht dargestellt haben. Was letztlich aber keine Rolle spielen sollte. Denn der Film ist eine fantastische Fiktion geworden, ein Science-Fiction im besten Sinne.

Das militärische Sperrgebiet um den fiktiven Nordsee-Ort Windholm hat etwas von der Zone in Andrei Tarkowskijs Film-Klassiker „Stalker“. Und tatsächlich nennt Nadine Gottmann die Autoren Arkadi und Boris Strugazki, die für Tarkowskij die Vorlage geschrieben hatten, als eine Inspirationsquelle. Über das Science-Fiction-Genre hinaus öffnet der Film aber auch weitere Ebenen. Es wird immer deutlicher, dass Michael und seine Freundin Jana (Lana Cooper) nicht zufällig nach Windholm gekommen sind. Der Verlust der Kinder in dem Dorf, der die Eltern dort über die Jahre zermürbt hat, spiegelt einen Verlust wider, den das junge Paar selbst versucht hat, zu verdrängen.

Der Film lässt jeden seine eigene Antwort auf das Rätsel finden

Die Zusammenhänge werden zunehmend fantastischer, vieles erscheint möglich, sogar, dass die beiden selbst zu den verschwundenen Kindern des Dorfes gehören. Bis Michael im ewigen Watt verschwindet und dadurch die Geschehnisse eine ganz neue Bewegung erhalten. Der Film ist so angelegt, dass jeder Zuschauer selbst eine eigene Erklärung des Rätsels finden kann. Das sei bewusst so gemacht, sagt Drehbuch-Autorin Gottmann, die den Film zusammen mit Sebastian Hilger (Regie) von der Filmakademie Ludwigsburg verwirklicht hat. Eines ihrer Ziele war es, ein Sozialdrama mit Unterhaltung zu verbinden. „Der Film soll die Leinwand füllen und sich gleichzeitig mit einem wichtigen Thema befassen.“

Herausgekommen ist echtes Kino: Die Bilder der weiten Ebbe-Fläche, die Leere bis zum Horizont füllen die Leinwand bis auf den letzten Zentimeter aus. Das hat etwas Überwältigendes. Wie auch der rasante Flug über einen Leuchtturm. Dazu braucht man heute keinen Hubschrauber mehr. VFX, visuelle Effekte, machen das möglich. Hier hat die Kooperation von der Filmakademie Ludwigsburg profitiert, die bekannt ist für ihre technischen Raffinessen. Nadine Gottmann und Sebastian Hilger machen bereits seit zehn Jahren zusammen Filme. Die Idee zu dem neuen Film hatten sie gemeinsam entwickelt, dann aber an verschiedenen Filmhochschulen das Studium begonnen. „An dem Projekt haben wir dabei trotzdem weiter gearbeitet“, erzählt die Autorin.

Vielleicht kann man nicht berechnen, was geschehen ist 

Für den Physiker Michael ist die Enttäuschung schließlich groß, als sich zeigt, dass es keine signifikante Abweichung von der Gravitationskonstante gibt. Die Forschungsreise scheint also ein Reinfall gewesen zu sein. Doch nach und nach wird klar, dass man vielleicht nicht berechnen kann, was geschehen ist. Die Erkenntnis ist weniger eine physikalische als eine metaphysische. Lana und Michael haben am Ende verstanden, dass es hier auch um sie selbst geht.

Für das Filmteam ist mit der Teilnahme an der Berlinale ein großer Traum in Erfüllung gegangen. „Wir haben alles auf eine Karte gesetzt“, sagt Nadine Gottmann. Für die Autorin geht es auch nach der Berlinale nahtlos weiter. Sie schreibt bereits am nächsten Drehbuch, für eine Freitagabend-Komödie der ARD. „Etwas ganz anders“, sagt sie – und freut sich auf das, was da kommen mag.

Berlinale: 19. Februar Premiere (ausverkauft); 20. Februar, 12.00 Uhr Colosseum 1 und 20.30 Uhr Cinemaxx 1. Filmmuseum Potsdam: 22. Februar, 18.30 Uhr.

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