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Detailverliebt. Grit Poppe schreibt vor allem fantastische Romane für Kinder und Jugendliche.

© Andreas Klaer

Potsdamer Autorin Grit Poppe: Wölfe, Leichen, DDR

Grit Poppe las als Kind lieber Abenteuer- als Kuschelromane. Heute gehört sie zu den bekanntesten deutschen Kinder- und Jugendautorinnen. Das Schreiben für Erwachsene ist ihr aber ebenso wichtig.

Potsdam - Nicht mehr lange, dann sind die Kastanien so weit. Aus ihrem Arbeitszimmer im ersten Stock in der Kastanienallee wird Grit Poppe dann direkt auf die Baumkronen mit den blühenden Kerzen schauen können. Sie mag das. Ihr Eck-Schreibtisch, matt-lasiertes Holz, steht mit einer Seite vor dem Fenster. Davor ein moderner Bürostuhl mit elektrischer Massagesitzauflage. Rechts eine Regalwand, in der die Bücher doppelreihig und oben drauf noch mal quer stehen. „Ich müsste mal aufräumen und sortieren“, sagt Grit Poppe. Nicht damit es schön aussieht, sondern damit sie beim Recherchieren ein gesuchtes Buch schneller findet.

Das Wichtigste aber hat sie griffbereit. Ihre Lieblingsschriftstellerin Joyce Carol Oates belegt ein ganzes Fach, unmittelbar darunter stehen Poppes eigene Bücher. Dann kommen ihre Kindheitsbücher, Indianerbücher zum Beispiel, daneben Literatur zu DDR-Geschichte und Stasi sowie DDR-Autoren, Thomas Brussig, Eugen Ruge, Uwe Tellkamp. Der zweite Lieblingsautor steht hinter Glas in einem alten Kleiderschrank: Jack London. Mehrmals hat sie dessen „Wolfsblut“ gelesen, sagt sie.

Jetzt arbeitet sie endlich selbst an einem Buch zum Thema Wolf. „Joki und die Wölfe“, so der Arbeitstitel, erzählt von einem Jungen und einem Wolfswelpen irgendwo in Brandenburg. Im Februar 2018 soll das Buch erscheinen. „Ein wildes Tier kommt zurück in eine Gegend, in der es ausgerottet war. Plötzlich ist es wieder da und stiftet Unruhe – das fasziniert mich“, sagt die Schriftstellerin. „Es ist an der Zeit, ihnen mal ein Buch zu widmen.“

Von der Stasi bedroht gefühlt

1964 wird Grit Poppe in Boltenhagen an der Ostsee geboren, wenige Jahre später zieht die Familie nach Stahnsdorf. Ihr Vater ist der Physiker Gerd Poppe, der sich in politischen Bürgerinitiativen engagiert, die Stasi observiert ihn. „Für uns Kinder war das normal“, sagt Poppe. Angst kommt erst später dazu, in den 1980er Jahren, als sie sich selbst zunehmend von der Stasi bedroht fühlt. Grit Poppe darf trotzdem, oder gerade weil die Stasi sie vom Vater loslösen will, im Leipziger Literaturinstitut studieren und will Schriftstellerin werden. Schon als Jugendliche hatte sie Kurzgeschichten geschrieben und Ende der 1980er liegt ein Roman von ihr beim Verlag, bis die Lektorin zu ihr sagt: Das wird nichts, in deinem Buch fehlen die roten Punkte.

Nach der Wende kann Grit Poppe schreiben und veröffentlichen. Es sind Bücher für Kinder und Jugendliche, fantastische Abenteuergeschichten über Drachen, Saurier und Vampire. Es sind Bücher über das Erwachsenwerden, das Ehe- und Familienleben, meist in einer Mischung aus Komik, Tragik und schwarzem Humor verfasst. Oft vermischen sich dabei Realität und Phantasie. Poppe ist eine feine Beobachterin und liebt detailgenaue Beschreibungen, die immer wieder in surreale Momente hinüberdriften.

Inhaltlich bedient sich Poppe bisweilen in ihrer eigenen Biografie und ihrer jetzigen Heimatstadt Potsdam. 2006 erscheint „Andere Umstände“, ein Buch, das zur Wendezeit in Potsdam spielt, das Grit Poppe, die sich in den Bürgerbewegungen „Demokratie Jetzt“ und „Bündnis 90“ engagierte, so ähnlich erlebt hat. Ein typischer Wenderoman ist es dennoch nicht. Im Mittelpunkt steht die Sehnsucht der Ich-Erzählerin nach einem eigenen Kind – dafür geht sie über Leichen.

Das Thema DDR lässt sie nicht los

Ein großer Erfolg ist bis heute das Buch „Weggesperrt“. Poppe schreibt hier 2009 anhand der Geschichte der 14-jährigen Anja über die Jugendwerkhöfe der DDR, in denen unbequeme Kinder und Jugendliche eingesperrt wurden und mit brutalen Methoden umerzogen werden sollten. Ein Thema, über das in der DDR niemand sprach und das bis heute wenig aufgearbeitet ist. Nach „Weggesperrt“ schrieb Poppe die Fortsetzung „Abgehauen“ und 2014 „Schuld“: Ein Mädchen aus linientreuem Haushalt verliebt sich in einen Jungen, dessen Eltern einen Ausreiseantrag gestellt haben. Er landet im Jugendknast und sie fragt sich, ob sie mitschuldig an seinem Verrat ist.

Das Thema DDR, sagt Poppe, lässt sie noch nicht los. Und auch die Leser nicht. Dass sich „Weggesperrt“ immer noch so gut verkauft, hätte Poppe damals nicht gedacht. Geschichtsaufarbeitung brauche manchmal erstaunlich lange Zeit. Mit den drei politischen Romanen ist sie häufig auf Lesereise und bekommt dabei immer wieder neuen Input von Zuhörern, die ihr ihre eigene Geschichte erzählen. Manchmal spürt sie dann, wie tief die Traumatisierung bei Betroffenen bis heute sitzt. Das beschäftigt sie.

Seelische Grausamkeiten und körperliche Strafen

Für den Leser möchte sie möglichst authentisch und glaubwürdig schreiben. Dazu lässt sie sich von der Stasi-Unterlagen-Behörde Akten schicken und spricht mit Betroffenen. Sie will alles genau wissen: „Wie sah so eine Zelle aus? Was gab es zum Mittag?“ Solche Einzelheiten führen dazu, dass das Thema hautnah an den Leser heranrückt. Dass es auch manchmal weh tut: Ihre Schilderungen von den Zuständen im geschlossenen Kinderheim, den seelischen Grausamkeiten und körperlichen Strafen, möchte man als Leser bisweilen überblättern. Wenn Grit Poppe dazu Leserpost bekommt, schreibt sie immer zurück, möglichst noch am selben Tag. So etwas möchte sie nicht aufschieben. „Ich versuche, diszipliniert zu arbeiten.“

Als ihre zwei Kinder kleiner waren, wussten sie: Im Arbeitszimmer wird die Mutter nur im Notfall gestört. Jetzt sind die Kinder groß und ausgezogen, niemand stört. Höchstens mal ein Presslufthammer von der Baustelle auf der Straße. Wenn sie einen Hänger hat, legt sie eine Musik-CD ein, am liebsten Filmmusik. Für neue dramaturgische Ideen.

Sie schreibt abwechselnd für Kinder, Jugendliche oder Erwachsene, gerade hat sie ein Förderstipendium für einen neuen Erwachsenenroman bekommen. Vom Erlös eines Buches komme heute immer weniger bei den Autoren an, so das Feedback auch am Berliner Stammtisch der Kinder- und Jugendbuchautoren, bei dem Poppe Mitglied ist. „Aber drei oder vier Bücher im Jahr schreiben – das kann ich nicht“, sagt sie. Sie möchte sich Zeit nehmen können. Wenn sie spürt, dass etwas nicht stimmt, überarbeitet sie notfalls ganze Kapitel. „Einmal schrieb ich alles um, von der Außen- in die Ich-Perspektive und dann doch wieder zurück“, sagt sie.

Nächtliche Führung zum Wolfsrudel

Auch wissenschaftliche Recherche braucht Zeit. Gerade schaut sie sich für ihr neues Wolfsbuch eine Landkarte mit Wolfspopulationen an. Das Manuskript des Buches hat sie außerdem ans Wolfsbüro in der Lausitz geschickt und dort prüfen lassen. Außerdem wollte sie die Tiere selbst erleben – nicht nur Dokumentarfilme im Wohnzimmer sehen. Also nahm sie an einer nächtlichen Führung durch den Wildpark Güstrow teil. Das Heulen der Wölfe habe man schon von weitem gehört.

Auf einem engen Steg liefen die Teilnehmer in der Dämmerung über das Gehege, der Ranger warf einen Eimer Fleisch herunter zum Rudel. Diese unmittelbare Erfahrung der Raubtiere war Grit Poppe wichtig. „Da merkt man, dass das richtige Raubtiere sind, keine Hunde.“

Zur Person:

Grit Poppe wurde 1964 in Boltenhagen an der Ostsee geboren. Sie studierte in Leipzig Literatur, durfte aber bis auf kleine Ausnahmen erst nach der Wende veröffentlichen. Sie schreibt vor allem fantastische Romane für Kinder und Jugendliche. In ihren Büchern für Erwachsene geht es um Beziehungen und Familienalltag. Ihr größter Erfolg sind bis heute die Bücher „Weggesperrt“ und „Abgehauen“, in denen sie das Leben in einem DDR-Jugendknast beschreibt – ein Novum in der deutschen Literaturgeschichte. Poppe lebt seit 1990 in Potsdam-West und hat, seitdem ihre beiden Kinder ausgezogen sind, viel Zeit zum Schreiben.

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