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Kultur: „Potsdam war ein Cello-Zentrum“

Der Cellist Wolfgang Boettcher über seine Zeit als Berliner Philharmoniker und Friedrich Wilhelm II.

Herr Boettcher, Sie haben vor wenigen Wochen mit der japanischen Kaiserin musiziert. Wie kam es dazu?

Ich kenne diese wunderbare Dame schon seit vielen Jahren. Man muss wissen, dass der heutige Kaiser, der Tenno, Cello spielt, und seine Frau, Kaiserin Michiko, Klavier und Harfe. Einmal waren wir mit den zwölf Cellisten der Berliner Philharmoniker in den kaiserlichen Palast in Tokio eingeladen, danach kam sie zu einem Festival in dem Kurort Kusatsu, um mit uns zu musizieren. Dieses Jahr ging die Bitte an mich, ob ich mit ihr unter anderem den langsamen Satz aus der Cello-Sonate von Frédéric Chopin spielen könnte. Das japanische Fernsehen übertrug einen Ausschnitt, den Millionen Zuschauer gesehen haben.

Wie sind Sie zum Cello gekommen?

Meine Eltern waren beide Musiker, mein Vater war ein sehr guter Klavierspieler und meine Mutter war auch Musikerin. Sie haben bei uns zu Hause in Kleinmachnow viel Kammermusik gemacht. Es gab dabei einen Cellisten, der mit viel Leidenschaft musizierte. Er hat uns Kindern, wenn wir ins Bett mussten, immer ein Märchen erzählt. Das hat mich so beeindruckt, dass ich nach dem Krieg meiner Mutter in den Ohren gelegen habe, bis sie auf dem Schwarzmarkt ein silbernes Armband verkauft und mir ein Cello gekauft hat.

Sie haben 18 Jahre bei den Berliner Philharmonikern gespielt. Was war für Sie ein Höhepunkt?

Es gab einige Höhepunkte, einer davon war das einzige Konzert der Berliner Philharmoniker in Moskau, kurz nach dem Einmarsch in Prag. Wir spielten die 10. Sinfonie von Dimitri Schostakowitsch in Anwesenheit des Komponisten – Karajan wollte ihm dieses Stück präsentieren – und als Schostakowitsch danach auf die Bühne kam, rannen ihm die dicken Tränen über das Gesicht. Er war so glücklich und äußerte unter russischen Musikern, dass er eine solche Interpretation eines seiner Werke noch nie gehört hätte.

Wie kam es, dass Sie bei den Philharmonikern aufgehört haben?

Bei einer Tournee in Japan ist bei mir der Entschluss gereift: Es ist jetzt genug, Boettcher! Du hast jetzt oft genug die zweite Brahms-Sinfonie gespielt. Und mein Lehrer Klemm wollte, dass ich seine Nachfolge antrete, aber ich war nicht so sicher, ob sich um mich eine Klasse bilden würde. Deshalb habe ich fünf Jahre neben dem Orchester einen Lehrauftrag gehabt, bevor ich fest an die Berliner Musikhochschule als Cello-Professor ging. Aber es kamen sofort hervorragende Schüler, und das blieb so 40 Jahre.

Und Sie spielen immer noch selber und geben jedes Jahr Konzerte. Das ist ja schon fast wie bei Pablo Casals, der noch mit über 90 Jahren Cello gespielt hat.

Ja, und er hat dabei immer so schön gebrummt (lacht).

In Potsdam gab es ja auch einmal einen König, der Cello gespielt hat.

Das war Friedrich Wilhelm II., der den Neuen Garten angelegt hat mit dem Marmorpalais und der Orangerie.

War Potsdam damals ein Cello-Zentrum?

Ja, das könnte man sagen, und zwar in der Orangerie im Neuen Garten. Da fanden die meisten Konzerte statt, der König spielte dort selber. Er hatte die Brüder Duport als Cellolehrer angestellt. Der Lieblingskomponist des Königs war Luigi Boccherini. Der König hatte eine lebenslange Rente ausgesetzt, die erst von seinem Nachfolger Friedrich Wilhelm III. beendet wurde. Auch Beethoven hat zwei Cellosonaten für Friedrich Wilhelm II. geschrieben und mit Jean-Pierre Duport zusammen aufgeführt, möglicherweise sogar im Palmensaal. Mozart komponierte für den König drei Streichquartette und wurde königlich dafür bezahlt.

Was macht die Musik von Boccherini so besonders?

Er ist so ein feiner, ganz besonderer Komponist, seine Musik ergreift einen, tröstet einen, wenn man traurig ist. Sie hat diese wunderbare italienische Kantabilität, die einem zu Herzen geht. Das Largo in der G-Dur Sonate ist ein wahres Gesangsstück, auch das Menuett. Dann gibt es einen hübschen Satz, der heißt Allegro militare, der hat ein bisschen etwas von Zinnsoldaten, die aufmarschieren – ein entzückendes Stück.

Warum ist es Pflicht, bei großen Wettbewerben eine Boccherini-Sonate zu spielen?

Ich habe mich immer dafür eingesetzt, denn da kann man den Geschmack des Musikers erkennen. Viele, auch sehr gute junge Leute scheitern heute an einer Boccherini-Sonate, die können Tempo spielen, aber den Geschmack für diese Zeit zu finden, das fällt ihnen oft schwer.

Das Gespräch führte Babette Kaiserkern. Sie ist an der Organisation eines Hausmusik-Konzerts mit Wolfgang Boettcher im Palais Lichtenau beteiligt. Das Konzert mit Werken von Corelli, Boccherini und Duport findet am Sonntag um 18 Uhr in der Kurfürstenstraße 40 statt

ZUR PERSON: Wolfgang Boettcher, Jahrgang 1935, ist Cellist und Professor an der Universität der Künste Berlin. Er war Mitglied der Berliner Philharmoniker und gründete die „12 Cellisten“. Er lebt in Berlin.

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