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Potsdam Museum: Im Kanon der Vergänglichkeit

Bernd Krenkel gehört zu den „wilden“ Malern, die derzeit im Potsdam Museum gezeigt werden.

Vor uns breitet sich ein riesiges Seerosenmeer aus. Auf dunklem Grund schlingern wild und gespenstisch die sich auflösenden Blätter. Ein halbes Jahr hat Bernd Krenkel an diesem pulsierenden Stillleben gearbeitet, das nun auf sechs mal zwei Metern dem Impressionismus neue Lichter aufsteckt. Lange Zeit drückte sich der Maler davor, dieses Thema anzugehen. Denn natürlich weiß er um die von Monet geadelten Seerosen. Doch bei Krenkel blüht nichts, gibt es keine glitzernde Oberfläche.

Seit 15 Jahren fährt er mit seinem Angelkahn auf den Schlänitzsee raus, um zu sehen, wie sich das Grün auf dem sumpfigen Wasser allmählich zersetzt. Immer wieder machte er Fotos, und schließlich musste er trotz aller Bedenken dieses leise Spektakel auf die Leinwand bringen: den vielstimmigen Kanon der Vergänglichkeit. Das ist sein Thema. Immer wieder, immer neu. Diesmal in überraschend warmen Farben.

Nur einen Kilometer von den Seerosen im Hinterhof-Atelier der Charlottenstraße entfernt hängt ein anderes Bild von Bernd Krenkel: ein riesiger Kopf mit dem Schrei des Entsetzens. Die Mundhöhle ist gelb wie das Reaktorzeichen. Diese Ausgeburt der Hölle malte er 1986 als spontanen Reflex auf Tschernobyl. Er setzte sich in eine Ecke des Kinderzimmers seiner kleinen Söhne und arbeitete drauf los: in einem Zug. Die Nachricht, die nur über den Westkanal im Osten zu erfahren war, erschütterte ihn bis auf die Knochen. Dieser innere Aufruhr ließ sich nicht in eine Landschaft packen, nein, hier musste Krenkel figürlich werden. Wild und expressiv, im heftigen Gestus. Ohne Korrektur. Es blieb bei diesem einen Bild zu Tschernobyl. „Ich hatte alles ausgespuckt.“

30 Jahre lag dieser symbolische Kopf der drohenden Apokalypse ungesehen auf seinem Dachboden. Dann fragte ihn die Chefin des Potsdam Museums nach Arbeiten aus den 1980ern. Sie war gerade dabei, die Ausstellung „Die wilden 80er-Jahre in der deutsch-deutschen Malerei“ vorzubereiten und kannte bereits Krenkels Gouachen aus der Serie „Verwirrung“. Vier davon hatte das Museum gekauft, zwei hängen nun wie sein Monster-Kopf inmitten der Ausstellung. Der Kopf füllt zugleich die erste Seite des Begleitkatalogs, was Bernd Krenkel stolz macht und auch schmunzeln lässt. „Viele werden sich fragen: Wer ist denn Krenkel?“ Er sieht sich als Einzelgänger, der sich kaum mal aus seiner Behausung herauswindet. „Mich findet man in keiner Kneipe, auch selten auf einer Vernissage. Wenn ich von Potsdam nach Hause fahre, geht hinter mir die Zugbrücke hoch. Mein Atelier in Potsdam ist nicht zufällig im Hinterhaus ohne Zugang. Das Rechenzentrum wäre für mich als Arbeitsort undenkbar.“ Und jetzt diese Präsenz!

Wenn er an die 80er-Jahre zurückdenkt, waren es weniger die Themen Mauer, Stasi und die geistige Enge, die ihn wie viele seiner Kollegen damals beschäftigten. „Die Mauer stand felsenfest und ich glaubte nicht, dass sich daran etwas ändern würde.“ Er hatte zu tun, der Familie ein Dach über den Kopf zu bauen und beruflich anzukommen. Den Sachsen aus Döbeln verschlug es zum Studieren nach Potsdam. Er hatte das große Glück, an der Fachschule für Werbung und Gestaltung angenommen zu werden. Als einer von zehn unter 300 Bewerbern. Sein Lehrer Wolfgang Thiel bahnte dem gelernten Anstreicher den Weg in die Höhen der Kunst. Vor allem die internationalen Sommer-Pleinairs mit Malern und Bildhauern aus Osteuropa entfachten in Krenkel eine große Leidenschaft fürs Zeichnen. An der Fachschule lernte er auch seine Frau Birgit, die Keramikerin, kennen. Bald kamen die Kinder. Oft sah man Bernd Krenkel im Holländer Viertel mit Handwagen zur Baustoffversorgung ziehen, um Kalk oder Bretter zu besorgen. Ein mühsames Unterfangen, aus dem verfallenen Loch ein Zuhause zu schaffen. Er steckte seine ganze Kraft hinein. Eines Sonntagmorgens klopfte dann ein Fremder an die Tür und sagte: „Das Haus gehört mir.“ Es begann eine Odyssee, die Bücher füllen könnte, sagt Bernd Krenkel und lässt sie besser ungeschrieben. Viel lieber erzählt er, wie seine beiden Söhne auf den Hinterhofbaustellen Buden bauten. Bald wurden sie zu Handlangern des Vaters, als es galt, eine neue Bleibe auszubauen. Die fand die Familie auf einer ihrer Ausfahrten im Umland, die sie unternahmen, um ihre angespannten Nerven zu beruhigen. Den Vierseitenhof in Marquardt, ihre Arche. Das war 1994.

In der Zeit des mühseligen Ausbaus ihrer heruntergekommenen Bleibe im Holländer Viertel hat Krenkel vor allem aquarelliert: Fast nebenbei hielt er den Niedergang des Viertels aus der Innenperspektive fest. Diese Blätter befinden sich heute ebenfalls im Potsdam Museum: als Leihgabe von Pro Potsdam.

Viel aufwühlender fand er seine Zeit bei der Reserve. Die musste er im Dezember 1981 antreten, genau als in Polen das Kriegsrecht verhängt und die Gewerkschaft Solidarnosc verboten wurde. Er erlebte in der NVA-Kaserne Eggesin die schleichende Mobilmachung. „Da wurde uns brenzlig zumute. Die NVA wäre bis zur Grenze vorgerückt, wenn nicht noch weiter. Das war klar. Es war der erste große Riss in mir. Ich merkte, dass man hier nichts beeinflussen konnte.“ Von den polnischen Kollegen, die er durch das Pleinair kannte, wusste er auch, dass es Hungersnöte und Festnahmen gab. „All das kam 1986 bis 1989 dann explosionsartig aus mir raus.“ Auf solche Jahre der Ekstase folgen Jahre, wo er gar nicht malt und in einem Loch verharrt. „Aber wenn ich dann wieder einen Aufhänger finde, verbeiße ich mich“, sagt der 63-Jährige. Wie jetzt bei den Seerosenblättern. Sie werden ab 17. Januar in der Ausstellung „Im Freien“ im Kunstraum gezeigt: parallel zu Monets Seerosen im Museum Barberini. Ein spannendes Pendant.

Die Ausstellung „Die wilden 80er-Jahre in der deutsch-deutschen Malerei“ im Potsdam Museum ist bis März 2017 zu sehen

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