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Potsdam Museum bekommt Werke von Bernhard Heisig: Bilder eines Besessenen

Das Potsdam Museum bekommt elf Arbeiten des großen DDR-Künstlers Bernhard Heisig

Es ist eine einzige, alltägliche Geste, die bei Bernhard Heisig den Umsturz beschreibt. Ein Mann stößt ein Fenster auf, das Gesicht einer imaginären Sonne entgegengestreckt. Er erinnert an einen zerzausten Spatz, der aus voller Kehle eben nicht schimpft, sondern singt. Was den Betrachter trifft, ist dieser Überschwang, diese ungezügelte, reine Freude, wie sie eigentlich nur Kinder kennen. Festgehalten in erdigen, schmutzigen Farben, losen Pinselstrichen, alles scheint sich aufzulösen. Revolution, ein Systemwechsel – wo andere Maler große Panoramen anlegen, wo nicht ein Mensch, sondern Massen der Bedeutung gerecht werden müssen, reicht dem 1925 in Breslau geborenen Heisig eine einzelne Figur: „Der Fensteröffner“.

Eindimensional, also schnell in seiner Gänze zu erfassen und zu deuten, sei die Arbeit deshalb noch lange nicht, sagt Jutta Götzmann. „Heisig lässt sich nie auf nur eine inhaltliche Deutung festlegen“, sagt die Direktorin des Potsdam Museums, die die Arbeit aus dem Jahr 1989 bald in ihre Obhut nehmen wird.

Zusammen mit zehn weiteren Bildern Heisigs kommt „Der Fensteröffner“ als Dauerleihgabe für die kommenden zehn Jahre ins Potsdam Museum, elf weitere Bilder gehen an das Cottbuser Kunstmuseum Dieselkraftwerk. Alle 22 Heisig-Bilder stammen aus dem Nachlass der 2014 gestorbenen Privatsammlerin Vera Schreck. „Ihr Wunsch war es, dass die Arbeiten an Museen in den neuen Bundesländern – und eben gerne nach Brandenburg gehen“, sagt Jutta Götzmann. Schließlich hatte sich Heisig-Mitbegründer der legendären „Leipziger Schule“ und langjähriger Rektor der dort ansässigen Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) – von 1992 bis zu seinem Tod 2011 für das havelländische Strodehne als Wahlheimat entschieden.

„In der Heisig-Sammlung von Vera Schreck finden sich Arbeiten aus allen Schaffensperioden“, sagt Götzmann, die früheste sei „Die alte Trompete“ aus dem Jahr 1972, die späteste ein Selbstbildnis von 2010. Gerade die Trompete sei, so Götzmann, ein extrem wichtiges und oft wiederkehrendes Motiv für Heisig gewesen. „Er hatte auch eine Trompete in seinem Atelier, die er in seinen Werken verwandte.“

Tatsächlich steht das Instrument wie kaum ein anderes selbst für Umstürze, sie gehört zur Marschmusik im Krieg, genauso wie zum das Leben ekstatisch feiernden Jazz. „Und zugleich ist sie immer auch ein Vanitas-Symbol“, sagt Götzmann, steht also für Vergänglichkeit und Tod. Da ist sie also auch wieder: Heisigs Vieldeutigkeit.

Klar ist zumindest, Heisig hat seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg immer wieder in seinen Bildern thematisiert. Von 1942 bis 1945 kämpfte er als Kriegsfreiwilliger für die 12. SS-Panzer-Division „Hitlerjugend“, wurde mehrmals schwer verletzt, nahm an der Ardennen-Offensive und den Kämpfen um Breslau teil, geriet in sowjetische Kriegsgefangenschaft und wurde 1945 als Invalide nach Breslau entlassen.

Nach dem Krieg trat er in die SED ein und begann 1948, in Leipzig Kunst zu studieren. Schon 1961 wurde er dann Rektor der HGB – allerdings erst einmal nur für drei Jahre. Als er nämlich 1964 auf dem Kongress des Verbands Bildender Künstler Kritik an der DDR-Kulturpolitik übte, wurde er abgesetzt, blieb aber Dozent. 1976 wurde er rehabilitiert und erneut als Rektor eingesetzt. War er deshalb ein Angepasster? Helmut Schmidt, der sich für die Galerie der Bundeskanzler von Heisig porträtieren ließ, hat diese Anfeindungen in seiner Rede zu Heisigs Tod als westdeutsche Arroganz analysiert, als „eine Haltung, die versucht habe, Heisig als Mensch und als Künstler niederzuschreiben“, so Götzmann. Ein Held und Widerstandskämpfer sei er nach den Worten Schmidts nicht gewesen, wohl aber ein besessener Maler. Heisig habe als Mitbegründer einer eigenen Stilrichtung, eben der Leipziger Schule, etwas komplett Neues geschaffen, das „ alle Vorgaben hinwegfegte, die von der SED verhängt waren“, so Götzmann.

Für das Potsdam Museum sind die elf neuen Werke eine ideale Erweiterung des ohnehin schon bestehenden Schwerpunkts ostdeutscher Kunst. Unter den 5200 Werken befinden sich schon jetzt zwei Heisig-Arbeiten, Lithografien Friedrichs des Großen, der, so Götzmann, für Heisig „ein großer Kriegstreiber“ war. 2012 waren die beiden Porträts in „Friedrich und Potsdam – Die Erfindung (s)einer Stadt“, der ersten Ausstellung des Hauses am neuen Standort, zu sehen.

Heisigs Handschrift lässt sich, im übertragenen Sinne, auch schon an anderen Werken, die das Potsdam Museum besitzt, nachverfolgen, etwa an Gemälden von Ulla Walter. Sie war Meisterschülerin bei Heisig, nachdem es ihr an der Kunsthochschule in Dresden, an der – anders als in Leipzig – ein sehr starres Klima herrschte, zu eng geworden war. Als sie bei Heisig vorsprach, so Götzmann, soll er zu ihr gesagt haben: „Bei mir zählt nur eins: Sie müssen gut sein.“ In diesem, einem sehr liberalen Sinne, habe er auch die HGB geleitet. „Diese Autonomie für die Kunst, die hat er immer beansprucht in einem System, das auch über die Kunst enge Vorgaben verhängte“, sagt Götzmann.

Diese innere Unabhängigkeit zeigt sich auch in seinen Bildern, die zwar stilistisch durchaus dem Spätimpressionismus, dem Expressionismus und speziell Max Beckmann verpflichtet sind, aber – glücklicherweise, so Götzmann – eine ganz eigene Bildsprache für sich beanspruchen. Er selbst soll von sich gesagt haben: „Es ist mir leider nicht gelungen, schöne Bilder zu malen.“ Sie sind aber, wie etwa „Der Fensteröffner“, stets emotional.

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