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Und der Mond ruft das Mädchen. Szene aus „La Luna Luna“ mit dem Wandertheater Ton und Kirschen.

©  Marion Kollenrott

POTSDAM-KULTUR: Der Zauber eines Lebens

Mit „La Luna Luna“ nähert sich das Wandertheater Ton und Kirschen dem Dichter Federico García Lorca

Der Zauber entsteigt alten Kisten. Nur zögerlich gibt er sein Antlitz preis. Vorsichtig, fast zärtlich wickelt Margarete Biereye die Stoffbahnen, die Gardinenreste von den Gesichtern der Puppen. „Wie auf einem Dachboden“, sagt sie mit einem leichten Lachen. Und dann sitzen da die Zigeunerin und Federico García Lorca, liegen da die unterschiedlichsten Masken in dem schmalen Gang hinter der Bühne im T-Werk.

Zuvor hat Margarete Biereye von „Romance de la luna, luna“ erzählt. Das Gedicht von Federico García Lorca, in dem er die Geschichte eines Zigeunerkindes erzählt, auf das der Tod schon vor der Geburt wartet. Sie hat von der Nacht erzählt und von dem Mond – „la luna“ –, der das Mädchen schon vor dem Leben zu sich holen will. Und jetzt steht Margarete Biereye, Mitbegründerin des Wandertheaters Ton und Kirschen in diesem schmalen und nur schlecht beleuchteten Flur und erweckt mit einigen feinen Bewegungen die Zigeunerpuppe zum Leben. Kurz nur währt dieser Zauber. Dann legt Margarete Biereye die Puppe zu Boden. Vorsichtig, fast zärtlich und sagt zu ihr: „Jetzt schläfst du wieder.“

„La Luna Luna“ ist der Titel des Stückes, das das Wandertheater Ton und Kirschen am heutigen Donnerstag zum ersten Mal in Potsdam vorstellen wird. Es ist die Geschichte des spanischen Schriftstellers und Dichters Federico García Lorca, die von acht Schauspielern und zahlreichen Puppen erzählt wird. Die Geschichte seines Lebens, das am 19. August 1936 im Alter von 38 Jahren gewaltsam ein Ende fand, als er am Anfang des spanischen Bürgerkrieges von Gegner der Republik ermordet wurde. Und es ist die Geschichte seines Werkes, vor allem seines schriftstellerischen, das ihn zu einem der bedeutendsten spanischen Autoren des 20. Jahrhunderts gemacht hat. Insgesamt vier Vorstellungen sind in den kommenden Tagen im T-Werk geplant.

In Deutschland ist Federico García Lorca heute vor allem durch seine Theaterstücke bekannt. So hat ihn auch Margarete Biereye kennengelernt. Einmal hat sie dessen „Bluthochzeit“ inszeniert. Viele Jahre, sagt sie, liege das zurück. Doch immer wieder habe sie die starke Erinnerung an diese Inszenierung wieder eingeholt. Doch all die Zeit und auch seit der Gründung von Ton und Kirschen im Jahr 1992 hatte sie immer wieder das Gefühl, dass die Zeit für Lorca hier noch nicht reif sei. Bis zum Saisonende im vergangenen Jahr.

Es ist die Zeit, in der die Mitglieder des Wandertheaters vor der großen Winterpause zusammenkommen und gemeinsam Ideen für die kommende Spielzeit sammeln. Draußen in Glindow, wo die selbst ernannte „lokale Theaterkommune, deren Heimat die Welt ist“, ihren Lebens- und Schaffensmittelpunkt gefunden hat, sagte der kolumbianische Schauspieler Nelson Leon: „Lasst uns Lorca machen.“

In den folgenden Monaten ist Margarete Biereye tief in die Welt Lorcas eingetaucht. Sie, die bisher nur den Stückeschreiber Lorca kannte, hat sich von seinen Gedichten verzaubern lassen. Sie ist nach Andalusien und Granada gereist, um die Heimat des Hochbegabten kennenzulernen, der neben seinen schriftstellerischen Fähigkeiten unter anderem auch ein hervorragender Musiker und Zeichner war. Sie hat mehrere Biografien über ihn gelesen, verschiedene Interpretationen seines Lebens. Und sie hat sich immer stärker von dem Zauber dieses Künstlers gefangen nehmen lassen.

„Uns war schnell klar, dass wir Lorca nicht durch einen Schauspieler darstellen können. Er muss durch seine Poesie sprechen“, sagt Margarete Biereye. Und so hat man sich in der Theaterkommune für eine Maske entschieden. Später dann, um die Kindheit Lorcas zu erzählen, für eine kleine, sehr eigenwillige Marionette, die Margarete Biereye bei einem Händler entdeckt hatte. Doch sie kaufte diese Marionette nicht und verbrachte danach drei schlaflose Nächte. Bis sie wieder zu dem Händler ging in der festen Annahme, dass diese Puppe längst verkauft sei. Doch der Händler sah sie schon von Weitem und rief ihr entgegen: „Sie hat auf Sie gewartet.“

Margarete Biereye erzählt mehrere solcher kleinen Begebenheiten, die sich wie Puzzleteile fast zwingend zu dem Stück „La Luna Luna“ fügen und ihr immer wieder aufs Neue gezeigt haben, dass die Zeit für Lorca und das Wandertheater Ton und Kirschen endlich gekommen war. Sie spricht von der Entdeckungsreise, die diese tiefe Auseinandersetzung mit dem spanischen Dichter gewesen ist. Im März waren sie dann mit „La Luna Luna“ beim Teatro Libre de Chapinero in Kolumbien. Dort, wo Federico García Lorca noch heute ein hoch geschätzter Dichter ist. Sie haben vor 6000 Leuten gespielt. Ihre Befürchtung, dass die Leute vielleicht schon während des Stückes gehen würden, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil, die Leute kamen zu den anderen Vorstellungen sogar wieder.

„La Luna Luna“ sei im Grunde weniger ein Theaterstück, sondern ein großes Gedicht. So wie die Gedichte Lorcas kleine Theaterstücke sind, sagt Margarete Biereye. Und manchmal braucht es Zeit, bis sich deren Zauber öffnet. Sie hat sich von davon gefangen nehmen und fesseln lassen. Und mit „La Luna Luna“ und dem Wandertheater Ton und Kirschen wird zu nun selbst zur Verzauberin. Eine Zauberin auf Lorcas Spuren.

„La Luna Luna“ mit dem Wandertheater Ton und Kirschen am heutigen Donnerstag, Freitag, Samstag und Sonntag jeweils um 20 Uhr im T-Werk in der Schiffbauergasse. Der Eintritt kostet 12, ermäßigt 8, für Schüler 6 Euro. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 71 91 39

Dirk Becker

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