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"Potsdam in der Grafik" seit 1945: „Wir wollen uns einmischen“

„Potsdam in der Grafik“ zeigt, wie sich Potsdam seit 1945 veränderte – und leistet so einen hochaktuellen Beitrag zur Debatte um das Gesicht der Stadt, wie die Kuratorin Anna Havemann im PNN-Interview schildert.

Frau Havemann, die von Ihnen kuratierte Ausstellung eröffnete wenige Tage nachdem der ausgehandelte Kompromiss zur Zukunft der Potsdamer Mitte publik geworden war. Zeitliches Kalkül oder Zufall?

Das war Zufall. Der Eröffnungstermin hing von anderen Faktoren ab. Aber es ist natürlich so, dass wir als Stadtmuseum das Geschehen in der Stadt dokumentieren und schauen, wie die Kunst die Entwicklungen in der Stadt widerspiegelt und mitprägt. Mit der Ausstellung wollten wir uns durchaus einmischen in die Debatte um das Aussehen der Stadt. Deswegen haben wir als Thema auch „Stadtansichten“ für die erste Ausstellung unseres neuen Formats „Fokus Sammlung“ gewählt – und nicht etwa „Stillleben“.

Die Ausstellung umfasst Stadtansichten Potsdams aus den Jahren nach 1945 bis heute. Was zunächst verwirrt: Statt die Grafiken chronologisch zu hängen, haben Sie in Themen gegliedert. Welche sind das?

Die Ausstellung beginnt mit dem Teil „Eine Stadt in Trümmern“ mit großformatigen Aquarellen, die die Zerstörung Potsdams nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges am Alten Markt zeigen. Auch im zweiten Ausstellungsteil konzentrieren wir uns auf den Alten Markt. Er sollte als sozialistisches Zentrum wiederaufgebaut werden, als Aufmarschplatz, und bekam nach Abriss der Stadtschlossruine 1960 eine ganz neue Funktion. Der dritte Abschnitt fokussiert das Holländische Viertel, das während des Krieges kaum zerstört wurde und während der DDR-Zeit in einen Dornröschenschlaf fiel. In der vierten Sektion werden andere Stadtteile wie Babelsberg in den Blick genommen. Der letzte Teil widmet sich den Potsdamer Schlösser und Gärten. Hier haben wir Grafiken jenseits der Postkartenidyllen herausgesucht, um zu zeigen, wie die Parks als Refugien und Sehnsuchtsorte für die Menschen eine Rolle spielen.

Die Grafiksammlung des Potsdam Museums umfasst über 7000 Exponate – 115 haben Sie ausgewählt. Wie geht man da vor?

Unsere Sammlung ist ja noch nicht abgeschlossen, sondern wächst zu unserer Freude stetig weiter. Insofern zeigt sie auch eine Kontinuität des Potsdam Museums, das seit über 100 Jahren unter verschiedenen Namen und Trägerschaften existiert – eine Geschichte, die wir nicht negieren wollen. Die Auswahl für die Ausstellung ergab sich zunächst aus der Fokussierung auf das Thema. Alle abstrakten Arbeiten, alle rein figurativen fielen raus. Übrig blieb trotzdem das Dreifache von dem, was wir jetzt zeigen. Und hier war das Kriterium ganz klar die Qualität. Wir haben zuerst nach einem guten Kunstwerk gesucht, und nicht nach einem interessanten Zeitdokument. Zudem galt es, unsere aktuellen Neuzugänge zu präsentieren. Viele Besucher sind begeistert von der Qualität der Grafiken. Viele sagten, dass richtige Schätze gehoben wurden.

Was war für Sie selbst die überraschendste Wiederentdeckung?

Für mich waren das mehrere. Zunächst die hochqualitativen Aquarelle von Hans Kloss und Otto Heinrich, die 1945 entstanden sind. Dann die großartigen Farbholzschnitte von Karl Raetsch, die den Park und das Schloss Sanssouci zeigen. Auch ein Aquarell von dem leider schon sehr früh verstorbenen Thomas Jung finde ich sehr gut. Es heißt „Feuerbachstraße“, in ganz zarten hellblau-grau-mauven Tönen gehalten und zeigt eine Straße – ohne Autos, ohne Geschäfte, ohne Reklame, ohne Caféstühle. Man sieht nur kahle Bäume, die für die vereinzelten Menschen in dieser Stadt stehen können. Es ist nicht trist, sondern sehr still und zurückhaltend. Es gibt sehr treffend die erstarrte Grundstimmung der späten DDR wieder.

Das fällt auf, wenn man durch die Ausstellung geht: Wo sind die Menschen?

Das stimmt. Bis auf eine Ausstellungswand sind wenige Menschen da – und nicht, weil ich sie ausgelassen hätte. Das Leben in der Stadt wurde von den Künstlern nicht thematisiert. Die Straßen werden leer gezeigt. Das ist tatsächlich auch eine Erinnerung aus meiner Kindheit: Die Straßen in der DDR waren oft leer. Wenn ich abends um zehn nach Hause ging, war ich die einzige auf dem Ostberliner Alexanderplatz. Insofern ist das für mich nichts Ungewöhnliches. Es gab ja keine Cafés, keine Marktstände. Man zog sich ins Zuhause zurück.

Eine zweiter Aspekt fällt ins Auge, wenn man die Ausstellung vom städtischen Diskurs 2016 aus betrachtet: Auch DDR-Neubauten sind kaum zu sehen.

Ja, Darstellungen der Potsdamer Neubaugebiete sind nicht in unserer Grafiksammlung vertreten. Das finde ich auch interessant. Ich glaube auch, dass Potsdamer Künstler oft nicht an diesen Orten gelebt haben. Sie fanden ihre Rückzugsorte in alten Villen oder im Holländischen Viertel und interessierten sich künstlerisch nicht so sehr für diese modernen Häuserfassaden, die ja ziemlich spannungslos sind. Bei Hans-Joachim Biedermann tauchen sie allerdings auf. Er zeigt den Abriss von Häusern des Holländischen Viertels und dahinter das große heutige „Ernst von Bergmann“-Klinikum. In der Dimension lässt es die Bauten des 18. Jahrhunderts wie Zwerge erscheinen.

Die Ausstellung schafft ein Ding der Unmöglichkeit: Im aktuellen Diskurs um Potsdams Mitte liefert sie allen Seiten gleichermaßen Argumente. Man findet Dokumente vom Schlossabriss ebenso wie den damals gefeierten Neubau der Schwimmhalle am Brauhausberg.

Ja, das war bewusst so gesetzt. Ich selbst bin mir gar nicht so sicher, ob ich ein Fan bin von der historisierenden Version der Potsdamer Mitte. Ich finde auch nicht, dass man alle Zeugnisse der DDR-Vergangenheit abreißen oder überformen sollte. Sie sollten als Zeichen, als Teil der Geschichte schon bleiben. Man kann sich ja die Geschichte nicht aussuchen. Das hat Potsdam geprägt – bis in unser Museumsgebäude hinein, das im Inneren zu großen Teilen aus den 1960er-Jahren stammt. Wir müssen damit täglich umgehen.

Hat sich die Aktualität der Ausstellung denn in den Besucherzahlen niedergeschlagen? Wie war die Resonanz?

Die Resonanz war positiv, vor allem angesichts der kurzen Laufzeit der Ausstellung hatten wir mit bisher 1400 Besuchern sehr erfreuliche Besucherzahlen. Und das obwohl im September das Wetter oft sehr schön war, was ja für Museen meistens nachteilig ist.

Dann dürfte das kommende Wochenende ja unter guten Sternen stehen.

Genau, hoffen wir, dass es das ganze Wochenende regnet und ganz viele Menschen kommen.

Das Gespräch führte Lena Schneider

ZUR PERSON: Anna Havemann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Potsdam Museum. Sie studierte in den 1990er-Jahren Kunstgeschichte in New York und ist seit zehn Jahren Potsdamerin.

„Potsdam in der Grafik“ ist bis 31. Oktober täglich von 10 bis 18 Uhr im Potsdam Museum, Am Alten Markt 9, zu sehen. Eintritt 5 Euro. Am 31. Oktober, dem letzten Ausstellungstag, zahlen alle Besucher die Hälfte.

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