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Tomasz Rózycki.

© promo/sans titre

Polnischer Lyriker in Potsdam: Tomasz Rózycki liest im sans titre

Er schreibt über Verlust und die Suche nach der Heimat. Heute liest der polnische Lyriker Tomasz Rózycki im Kunsthaus sans titre.

Potsdam - Seit Olga Tokarczuk im Oktober mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, finden polnische Autoren in der hiesigen Literaturlandschaft wieder mehr Beachtung. Einer von ihnen ist der 1970 geborene Tomasz Rózycki, der am 15. Februar im Kunsthaus sans titre aus seiner Lyrik lesen wird. Seine Gedichte fließen in einem leichten, spielerischen Rhythmus, seine Worte sind aber auch ein Weg in die tiefsten Abgründe der Vergangenheit.

„ich sagte, / wir hätten kein Vaterland, es verschwand im Transport, / wurde von Reiterarmeen zerstampft, in alle vier Winde zerstreut, / die Dichter verdrehten seinen Namen, Druckerpressen / zermalmten es.“ So beschreibt Rózycki Heimatverlust in seinem Gedicht „Entropie“. Rózycki stammt aus der oberschlesischen Stadt Opole, die nach dem Zweiten Weltkrieg an Polen fiel, und wohin nach dem Krieg Vertriebene aus den ehemals deutschen Gebieten zogen. Wie auch Rózyckis Großeltern, wurden viele dort nicht heimisch und lebten eher in der Erinnerung an das verlorene Vaterland, als sich eine neue Identität aufzubauen. Erst die Generation der Enkel versuchte der sozialistischen Realität zu entfliehen, für Rózycki bot die Literatur einen Ausweg.

Seine Herkunft spielt eine große Rolle

Die kleinen schwarzen Buchstaben hätten eine Macht, „die den stärksten Drogen nachkommen. Sie befreien die Imagination. Sie sind gleichsam der Spalt, durch den der Leser immer tiefer dringt, bis auf die andere Seite“, sagt er über das Schreiben. Diese andere Seite ist mitunter voller Ruß aus Krematorien, ein schwarzes Meer aus Ruinen, über welchem der Himmel in Fetzen hängt. Die Auseinandersetzung mit seiner Herkunft zieht sich wie ein roter Faden durch Lyrik und Erzählungen.

So thematisiert er seine Familiengeschichte nicht nur in seinem, 2016 erschienenen, Roman „Bestiarium“, in dem der Protagonist durch eine phantasmagorische Traumwelt in die Vergangenheit reist, und dort auf seine Ahnen trifft. Auch in seinen Gedichten finden sich atmosphärische Bilder, die eine kaputte, aber sehr persönliche Sicht auf seine Heimat heraufbeschwören, „denn der Matsch ist das / Vaterland, ich habe kein anderes.“

Stipendiat in den USA

Seinem Aufenthalt als Stipendiat in den USA im Jahr 2009 widmet er den Gedichtzyklus „Umsätze“, darin folgen wir dem Dichter in ein Labyrinth aus entbrannten Wolkenkratzern, Leuchtreklamen und Börsenkursen. Er streift umher und beobachtet Frauen in Pelzmantel, die ihre Katze an der Leine ausführen, sieht Leinwandhelden fett und geschminkt aus den Kinos strömen. Auch Deutschland und vor allem Berlin sind ihm dank eines Stipendiums 2018/19 nicht fremd, vieles erinnert ihn an seine ehemals deutsche Heimat Opole.

Besonders gefällt ihm an Berlin die kreative Freiheit, die er in seiner Heimat vermisst. Seine Entwicklung und die zwiespältige Existenz als Dichter reflektiert er in seinem Gedichtzyklus „Kolonien“: „Als ich anfing zu schreiben, wusste ich noch nicht, / wozu die Gedichte mich machen, wie sie mich strafen, / in ein Gespenst mich verwandeln, ewig unausgeschlafen, / mit pergamentener Haut, in einen torkelnden Wicht.“

In seiner Lyrik lehnt sich der studierte Romanist an große polnische Dichter an, wie Juliusz Slowacki oder Adam Mickiewicz, spielt aber mit den klassischen Formen, bricht sie ironisierend auf und erschafft etwas Neues. In seinem „Kolonien“ etwa bedient er sich einer Variante des klassischen französischen Sonetts, welches in drei Quartette und ein Couplet gegliedert ist. Allerdings hält er sich nur anfangs an die vorgeschriebenen Reime und lässt seine Verse zum Ende hin ausfransen, was ihnen eine zeitgenössische Note verleiht. 

>>Lesung am Samstag, 15. Februar, um 18 Uhr im sans titre, Französische Straße 18

Magdalena Schmieding

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