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Kultur: Pointiert

HOT-Krongut-Lesung aus „Kleiner Mann – was nun?“

Wie kaum ein zweites Buch traf Hans Falladas 1932 erschienener und in mehr als zwanzig Sprachen übersetzter Roman „Kleiner Mann – was nun?“ den Nerv seiner Zeit. Als einer der großen Gesellschaftsromane der Weimarer Republik sprach er breite Leserschichten an, die sich mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf das Schicksal der Romanfiguren und dem Kampf der sogenannten kleinen Leute um ein bisschen privates Glück identifizieren konnten. Doch nicht vordergründig die sozialen und politischen Verwerfungen jener Zeit standen in der von zwei Schauspielern des Hans Otto Theaters im Krongut Bornstedt gestalteten Lesung im Mittelpunkt, sondern die herzerwärmende Liebesgeschichte von Pinneberg und Lämmchen.

Die neue Lesereihe des Theaters unter dem Titel „Ich will mein Herz an Lotte ketten“ gibt es seit Februar 2006, und sie verspricht im Untertitel Liebesgeschichten von innig bis makaber. Am Sonntagnachmittag nun herrschte bestes Ausflugswetter und buntes Markttreiben im Krongut, doch nichtsdestotrotz erschienen mehr als fünfzig, meist lebens- und leseerfahrene Besucher, um Jennipher Antoni und Moritz Führmann als Protagonisten des berühmtesten Fallada-Romans zu erleben. Hans-Jochen Röhrig hatte eine sehr pointierte Lesefassung geschaffen, die den beiden jungen Schauspielern großen Gestaltungsspielraum ließ. Sie begann am Stettiner Bahnhof in Berlin, wo die beiden Jungvermählten abgeholt und in das „fürstliche Zimmer“ der Schwiegermutter Lämmchens verfrachtet werden, sie zeigte, wie sie ihre erste „eigene“ Wohnung beim Tischler Puttbreese finden müssen und schließlich materiell total verarmt in der Heilbuttschen Gartenlaube am weit entfernten Stadtrand enden.

Und sie holte natürlich die Schlüsselszenen des Romans nachhaltig aus der Erinnerung zurück: Das Kennenlernen am Ostseestrand, den Kauf des ersten und einzigen eigenen Möbelstücks und die Geburt des Murkel. Immer stand die besondere, beinahe leuchtende liebevolle Beziehung von Lämmchen und Pinneberg im Zentrum der Röhrichschen Lesefassung. Nur blitzlichtartig wurden die Schwierigkeiten im beruflichen Alltag Pinnebergs gezeigt oder der Verlust seiner Selbstachtung während der langandauernden Arbeitslosigkeit. Und die beiden Schauspieler ließen, neben den sehr plastischen Darstellungen von der Lebedame Mia Pinneberg, dem liebenswerten Ganoven Holger Jochmann und dem menschenfreundlichen Tischler Puttbreese, diese Liebe wie aus dem Bilderbuch, die an sich nur mit wenigen Worten erzählt wird, sehr warm und lebendig werden. Trotz oder gerade wegen allen Gegenwinds.

Rita Herzog am Klavier und Christian Vogel am Saxofon untermalten und verstärkten mit ihrer sehr temperamentvollen Begleitung die atmosphärisch dichte Veranstaltung. Mit Ragtimes von Scott Joplin, Kompositionen von Clarence Williams und Sidney Bechet charakterisierten sie das Berliner Großstadtleben und mit Tönen von Felix Mendelssohn-Bartholdy und Eugen d“ Albert die innige Paarbeziehung. Nach fünfundsiebzig Minuten gab es herzlichen Applaus des begeistert mitgehenden Publikums.

Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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