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Mondriansche Kühle, barocke Sprache. In der Openair-Inszenierung "Das Spiel von Liebe und Zufall" verbindet das Potsdamer Theater Poetenpack beides.

© Poetenpack

Poetenpack in Potsdam Sanssouci: Die schönsten Dinge

Das Potsdamer Poetenpack feiert mit Marivauxs „Das Spiel von Liebe und Zufall“ im Heckentheater den Sommer, das Lachen und die Liebe.

Das Rezept für Sommertheater wirkt so leicht, dass man es leicht belächeln mag. Schöne Kulisse, ein laues Lüftchen, bunte Kostüme, agile Spieler, ein schmissiger Text, fertig. Tatsache aber ist, eben diese Leichtigkeit ist ungemein schwer zu machen. Es ist eine Gratwanderung zwischen großer komödiantischer Geste und leiser Melancholie (nur durch das absehbare Ende des Sommers ist der Sommer ja so schön). Wenn diese Gratwanderung nicht gelingt, bleibt danach ein Katergefühl wie nach zu viel zu süßem Wein. Gelingt sie aber, hat man am Ende das Gefühl, diese verschwenderischste Zeit des Jahres auf schönste, verschwenderischste Weise mitgefeiert zu haben.

„Das Spiel von Liebe und Zufall“, die neue Produktion des Theaters Poetenpack im Heckentheater neben dem Neuen Palais, schafft Letzteres. Es ist ein Fest der einfachsten und schönsten Dinge, die das Leben zu bieten hat. Die Sprache, das Lachen, die Liebe. Das klingt vielleicht pompös, aber auch ein bisschen Pomp gehört zu erfolgreichem Sommertheater irgendwie dazu. „Das Spiel von Liebe und Zufall“ betört einen schon vor Beginn mit dem Farbexzess eines Piet Mondrian, an dessen Bilder die Bühne von Janet Kirsten erinnert. In seiner Künstlichkeit (eckige Formen, astreine Primärfarben) könnte sich die Bühne nicht besser vom Grün des Heckentheaters und den architektonischen Verschwobelungen des Barock abheben. Der verspielten Sprache des französischen Barockdramatikers Pierre Carlet de Marivaux setzt es höchstmögliche Nüchternheit entgegen. Wie übrigens, auf andere Weise, auch das Ensemble des Poetenpacks. Die sprachlichen Pirouetten meistern sie mit einer Klarheit, die es mit Mondrians Farben aufnehmen können – wobei auch die zeitgenössische Übersetzung von Regisseur Andreas Hueck das ihre beiträgt: Wo so viel und so verwirrend galant von der Liebe die Rede ist, nimmt sich das Wort „scheißegal“ wie eine durchaus erdende Ausnahme aus.

Die Liebe kommt in Marivauxs Stück über die Beteiligten wie ein Sommergewitter. Besonders hart trifft es Silvia (Clara Schoeller) und Dorante (Andreas Klopp). Als sie sich das erste Mal sehen, ist es um sie geschehen – und ab hier könnte alles so einfach sein. Die Väter der beiden haben sogar eine Ehe zwischen ihnen vorgesehen. Alles gut also – wäre da nicht die Tatsache, dass die Verliebten verkleidet voreinander stehen: Silvia in Servierschürzchen und überkniehohen Reitstiefeln als ihre Dienerin Lisette. Dorante in Melone und schwarzem Anzug als sein Diener Arlequin. Beide wollten, unabhängig voneinander, inkognito den Heiratskandidaten prüfen, bevor sie sich binden. Beide glauben nun, im Gegenüber den Diener des zukünftigen Ehepartners zu sehen. Weshalb sie nicht das Einfachste tun – sich ihre Liebe gestehen –, sondern sich und die trennenden Standesunterschiede noch eine ganze, quälende Weile lang umtänzeln müssen.

Die tatsächlichen Diener tragen derweil ungelenk, aber mächtig stolz die Kostüme der Herrschaften. Dienerin Lisette (Julia Borgmeier) spielt ihre Herrin Silvia. Und Arlequin (Jörg Vogel) spielt seinen Herren Dorante. Das als Herren kostümierte Dienerpaar verfällt einander ebenso schnell wie die verkleideten Herrschaften – darf aber auch nicht, wie es will. Frustrierte Lust ist so lustig, wenn es nicht die eigene ist! Jörg Vogels Arlequin ist ein meisterhaft überzogener Galan, dessen erst behauptete, dann tatsächliche Liebe ihn körperlich zu peinigen scheint. Julia Borgmeiers großäugige Lisette ringt in wunderbar pompösem Kostüm um eine Haltung, die sie ganz offensichtlich nie gelernt hat. Allein, wie sie ironisch überspitzte Eilfertigkeit, grenzenlose Fassungslosigkeit und hoffnungsvolles Aha-Erlebnis innerhalb weniger Sekunden über ihr Gesicht zu jagen vermag, ist bemerkenswert.

Clara Schoellers Silvia und Andreas Klopps Dorante gehen mimisch etwas maßvoller vor: Sie, die Adligen, haben es gelernt, sich zu beherrschen. Andreas Klopp umweht etwas schmallippig Mister-Darcy-Haftes, wie er seine Silivia so verhohlen anschmachtet und dann vor ihr niederkniet. Siliva („Schöne Männer sind doch Gockel“) ist zunächst schnippischer, spröder, wedelt ihre innere Überspanntheit mit winzigen Reifrockbewegungen zur Seite – so überzeugend, dass das strahlende Dauerlächeln am natürlich glücklichen Ende dann tatsächlich überrascht.

All das ist konsequent überlebensgroß gespielt, schnell gespielt, manchmal auch arg derb. Spaß macht es trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen: Alle in dieser Farce wirken, als spielten sie um ihr Leben. Für die notwendigen Momente melancholischer Einkehr sorgt Martin Ludwig an der Gitarre, stimmlich hinreißend schnarrend begleitet von Felix Isenbügel als Silvias Bruder Mario. Während die Spieler sich in Hochgeschwindigkeit austoben, setzen sie gesangliche Zäsuren. Mit Beatles Songs. Das passt, denn die Fab Four haben sie alle beschrieben, die Facetten der Liebe. Vom schmerzlichen Adieu („Blackbird“) über SOS-Rufe („Help“) und schmachtende Sehnsucht („Girl“) bis zu trompetender Gewissheit („She loves you, yeah, yeah, yeah“).

Nur der allumfassende Basic („All you need is love“) wäre verzichtbar gewesen, er stülpt dem versöhnlichen Schluss dann doch ein, zwei Kellen zu viel des Guten über. Was nicht heißt, dass die Beatles nicht recht gehabt hätten.

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„Das Spiel von Liebe und Zufall“, wieder heute am 8. sowie am 21., 25., 26., 27. und 28.7. um 20 Uhr und am 22.7. um 17 Uhr im Heckentheater am Neuen Palais

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