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Dramaturg und Autor John von Düffel.

© Manfred Thomas

PNN-Serie "Potsdamer Schreibtische": Der Langstreckenschreiber

In der Serie „Potsdamer Schreibtische“ stellen die PNN Autorinnen und Autoren aus Potsdam vor. Heute: John von Düffel, der Disziplin für unersetzbar hält und aus seiner Arbeit als Dramaturg schöpft.

Potsdam - Wenn am Samstag die Uhren eine Stunde vorgestellt werden, wird John von Düffels morgendlicher Marathon wieder ein Stück härter. Denn die Sommerzeit raubt ihm eine der kostbarsten Stunden des Tages. Er wird sie sich zurückerobern. Und um 4 Uhr nach Winterzeit aufstehen, sich an den Schreibtisch im Wintergarten seines Einfamilienhauses in Babelsberg setzen und schreiben. Er ist an das frühmorgendliche Schreiben gewohnt, es sei wie Schichtdienst, sagt er. Nach zwei Stunden ist die Schicht zu Ende, um sieben Uhr beginnt die Vorlesezeit für seine Tochter. „Kalle Blomquist“ liegt schon bereit. Dann sitzen beide auf dem Sofa. Schreiben würde John von Düffel dort nie. Viel zu bequem.

Der Potsdamer Autor John von Düffel pflegt die Askese, die strenge Disziplin beim Arbeiten. Muss er wohl auch angesichts seines Pensums: Morgens zwei Stunden Schreiben, anschließend Familienzeit, wieder Schreiben, dann nach Berlin fahren, wo er als Dramaturg am Deutschen Theater tätig ist. Gerade arbeitet er mit Regisseur Christian Schwochow an der Inszenierung von Becketts „Glückliche Tage“, mit Dagmar Manzel in der Hauptrolle. Am 22. April ist Premiere. Außerdem lehrt von John von Düffel als Dozent an der Berliner Universität der Künste Szenisches Schreiben. An diesem Samstag stellt er auf der Leipziger Buchmesse seinen neuesten Roman „Klassenbuch“ vor, am Mittwoch ist er zu Gast in der Villa Quandt.

Zusammenhänge zwischen Literatur und Sport

Die strenge Arbeitsmoral ist aber nicht nur äußeren Bedingungen geschuldet, sondern John von Düffel tief zu eigen. Er, der ehemalige Leistungsschwimmer, führt in seinem 2009 erschienen Buch „Wovon ich schreibe“ in die Zusammenhänge zwischen Literatur und Sport ein, in das Körperliche am Schreiben, in die Disziplin und Schmerztoleranz. Was auf der Laufbahn und im Wasser gilt, gilt bei John von Düffel auch für den Schreibtisch. Zwar habe er sich von dem Leistungsgedanken gelöst, schreibt er. Gute Bücher sind eben keine Goldmedaillen, aber diesen eisernen Willen hat er sich bewahrt. „Man muss diese Langstreckendisziplin für einen Roman haben“, sagt er. Beim Schreiben gebe es nichts Kulinarisches, keinen Genuss: „Es ist immer Arbeit.“

Dass diese aber nicht verbissen, sondern durchaus freudvoll ist, steht außer Frage: Sein neuer Roman „Klassenbuch“ zeugt davon. Aus neun verschiedenen Perspektiven beschreibt John von Düffel darin die Wege der Adoleszenz – neun Jugendliche einer Schulklasse in Zeiten der virtuellen Welt. Als Text ist „Klassenbuch“ durchaus ein Wagnis, auch für den Leser eine Herausforderung. „Bei diesem Buch habe ich das meiste riskiert“, sagt John von Düffel. Denn er taucht ein in die Köpfe der Schüchternen, der Selbstdarsteller, der Nerds, der Selbstmordgefährdeten – gewohnt sprachlich virtuos und intellektuell brillant, allerdings auch irgendwie seelenlos.

Das Virtuelle als besondere Ausprägung der Fiktion

Für John von Düffel ist jedes Buch die Form eines bestimmten Lebensabschnittes, jeder Roman Teil eines biografischen Segments. „Ich versuche, mit der Fantasie vor den Ereignissen zu sein“, sagt der Vater eines Kindes, das für den Lebensabschnitt der Pubertät noch zu jung ist. Den Dingen vorauszueilen – da ist er wieder, der Sportler John von Düffel. Reizvoll für ihn als Autor ist allerdings in erster Linie die Parallele zwischen dem Schreiben und der virtuellen Welt, die sich derzeit geradezu aufdrängt: Das Virtuelle als besondere Ausprägung der Fiktion, das Welten-Erschaffen mithilfe der Fantasie oder des Netzes. Wie keine andere Generation scheinen die Jugendlichen, auch bei von Düffel, nicht im gleichen Universum unterwegs zu sein. Die gemeinsame Schulzeit als Erlebnis, das die Jugendlichen eint, sei Makulatur geworden, sagt von Düffel. „Die beamen sich so schnell weg“, sagt er, auch aus seinen Beobachtungen heraus aus Schreibkursen mit Potsdamer Schulklassen. Die Isolation, die trotz aller Vernetzung mit dieser Generation einhergeht, treibt ihn als Menschen um.

Doch in diese parallelen Welten einzutauchen und sie weiterzuspinnen, ist für den sprachgewandten Autoren und geschickten Dramaturgen ein Faszinosum. Zugute kommt ihm dabei auch die Lehre an der UdK. Die Studenten sind nur wenig älter als die Protagonisten seines Romans. Bei ihnen kann er sich abschauen, wie das Schreiben von jeder Generation immer wieder neu erfunden wird. Es ist aber auch, um das Theater als Vergleich heranzuziehen, wie die Arbeit eines Schauspielers, der sich in seine Rolle, in seinen Text, einfühlt. Nur hat er als Autor ja nichts in den Händen, erschafft den Text erst aus dem Nichts heraus. Das sei für ihn das Magische, sagt von Düffel. Und: „Wenn man die Sprache hat, fängt auch das Denken an.“ Wenn Ton, Rhythmus, Gestik stimmen, fangen die Personen zu leben an. Er müsse seinen Figuren dann nur noch zuhören, sie nicht antreiben. „Wenn ich in der Perspektive drin bin, fallen mir Dinge auf, die John von Düffel nicht aufgefallen sind.“

„Wir kehren immer wieder zum Wasser zurück"

Und dann bleibt noch das Wasser: Sein Medium und jenes Sujet, das ihm zum Durchbruch als Autor bei Publikum und Kritik verholfen hat. „Wir kehren immer wieder zum Wasser zurück“, so lautet der erste Satz in seinem Bestseller „Vom Wasser“. Wie ein Mantra gilt das auch für von Düffels bisherige Bibliografie. Zuletzt ist von ihm 2016 „Gebrauchsanweisung fürs Schwimmen“ erschienen. Ein schweres Buch sei es gewesen, sagt er. Als habe er alles zum Schwimmen bereits gesagt. Auch da nutzt ihm letztlich nur der lange Atem des Ausdauersportlers.

>>Buchpremiere „Klassenbuch“ mit John von Düffel in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47 am Mittwoch, dem 29. März, um 20 Uhr

ZUR PERSON: John von Düffel wurde 1966 in Göttingen geboren. Als Dramaturg arbeitet er derzeit am Deutschen Theater in Berlin. Zuvor war er am Thalia- Theater in Hamburg tätig, wo er 2005 die erste Bühnenfassung von Thomas Manns „Die Buddenbrocks“ erarbeitete. Er ist Professor für Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin. Für seinen Debütroman „Vom Wasser“ (1998) erhielt er mehrere Preise, unter anderem den Aspekte-Literaturpreis. Neben Romanen verfasst er Theaterstücke, Hörspiele und übersetzt aus dem Englischen.

Grit Weirauch

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