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PNN-Serie "Potsdamer Schreibtisch": Schreiben und Pflanzen

In der neuen Serie „Potsdamer Schreibtische“ stellen die PNN Autorinnen und Autoren aus Potsdam vor. Teil 1: Helga Schütz. Sie schöpft aus ihren Erinnerungen, aus der Botanik – und aus der geliebten Welt des Films.

Für Prosa braucht Helga Schütz kaum Platz. Wenig liegt auf dem Schreibtisch, keine Zettel, keine Notizen. Für Prosa ist ihr Schreibplatz aufgeräumt. Nur wenn sie, die Autorin mit dem langgeflochtenen weißen Zopf, die zugleich gelernte Gärtnerin ist, Texte verfasst für Architektur- und Gartenzeitschriften, häufen sich die Dinge, das Wissen in Papierform auf dem Tisch. Die Prosa aber, sagt Helga Schütz, „hole ich aus mir heraus“.

Der schmale Laptop aufgeklappt, mehr braucht es nicht. Es ist Arbeit mit sich, das Spiel mit den Erinnerungen, Erfinden. Wenn der Laptop ruht, ist er immer abgedeckt. Damit die Katze nicht sich drauflegt. Es ist auch ihr Lieblingsplatz, am Fenster, mit Blick in den Garten, auf einen winzigen Teich – „mein Wassergrundstück“, scherzt Helga Schütz.

Zu Besuch bei ihr in Babelsberg, unweit der einstigen Defa-Produktionsstätte, wo die 1937 geborene Schütz viele Jahre arbeitete. Den Schreibtisch im Erdgeschoss ihres Hauses hat sie von den Nachbarn geerbt. Deren Kinder standen eines Tages mit dem antiken Möbel bei ihr vor der Tür. „Möchten Sie diesen?“, fragten sie, „der passt doch wunderbar!“ Ihr vorheriger war kleiner, ein Tischchen. Er sei etwas zu groß, sagt sie. Aber auch: „Den brauche ich jetzt.“ Es ist, als ob sie dadurch noch ein Stück weit das Band mit den Nachbarn halte.

Die Verbindung mit der Vergangenheit sucht Helga Schütz auch immer wieder in ihrem Schreiben. Ihre Bücher sind poetisch verflochtene Erinnerungen. Romane, Erzählungen mit autobiografischem Anstrich. Statt reinen biografischen Schreibens sind das eigene Leben und die eigene Geschichte das Spielmaterial für ihre Texte. Am dichtesten nachlesbar in „Sepia“ (2012), ihrem bislang erfolgreichsten Roman über Elli, ein Kriegswaisenkind aus Schlesien vertrieben und in Dresden aufgewachsen wie Schütz selbst, das in den 1960er-Jahren nach Potsdam kommt, um an der Filmhochschule „Konrad Wolf“ zu studieren.

Schon als Kind habe sie Hefte vollgekrakelt, erzählt Helga Schütz. Zensuren bekam sie meist schlechte, die Rechtschreibung war miserabel. „Da stand immer sehr viel Rot“, erinnert sie sich an ihre Schultexte. Das Schlesische ihrer verlorenen Heimat hielt sich in den Wörtern fest. Nur mir und mich habe sie nie verwechselt, betont sie, denn sie war und wurde keine Sächsin. Blieb Schlesierin. Einmal schrieb die Lehrerin unter ihren Aufsatz: „Wer half?“ Helga Schütz amüsiert sich darüber. Dass man ihr das nicht zugetraut hat. „Wer half? Da half mir nichts“, sagt sie trotzig.

Jetzt hilft ihr beim Schreiben manchmal das Gärtnern. Ihr vieles Wissen um Bäume und Pflanzen, das wie Landmarken ihre Texte durchzieht und an dem sie sich festhalte, weil es wenigstens konkret ist. Manchmal muss die Literatur aber auch warten, wenn die Pflanzen sie rufen: Früher habe sie eher abends geschrieben, sagt sie. Jetzt sitzt sie frühmorgens am Schreibtisch. „Sofort.“ Nur wenn die Sonne knallt, müsse sie erst gießen.

Am Schreibtisch hilft ihr auch die Defa: Als Drehbuchautorin hat sie die Filmarbeit verinnerlicht. Und lebt damit auch im Alltag: Die größte Mühe beim Schreiben sei, sich an den Schreibtisch zu setzen, den Alltag zu vergessen und allein mit sich zu sein, ohne die Familie, ohne „den Drehstab um mich herum“. Das Filmemachen in den 1960er-Jahren bei der Defa hat sie gelehrt, nicht festzuhalten am kontinuierlichen Erzählen, das Assoziative vorzuziehen und eher in Bilder einzutauchen, als einem strengem dramaturgischen Gerüst zu folgen. „Es ist, als würde ich aus einem Film herausschreiben“, sagt sie.

Das Erlebte tritt vor das innere Auge, die Erinnerungen verfremden sich durch den kinematographischen Blick, werden einfach Sprache zum Spielen. „Ich schreibe von mir selber ab und auch nicht“, sagt Helga Schütz. „Es steht etwas auf dem Papier und es geht darum, damit weiter umzugehen.“

Vieles ist dabei ambivalent, uneindeutig, nur unpräzise wiederzugeben. Und auch wohl letztlich unerklärbar. Der Film läuft zwar im Kopf, ist aber zugleich nebelhaft. Diesen Film zu Text machen, ist das eigentliche Anliegen der Helga Schütz. Wie der Maler die Farben auswählt, anrührt, sucht sie die Formulierung, findet den Rhythmus, erschafft dichte Atmosphäre. Und ein seltsamer Vorgang stellt sich ein: „Einen Atem von zehn Seiten“ habe sie, das Seitenfüllen passiere aber eher unkontrolliert, immer wieder wandere sie hin und her in dem Manuskript. Es ist fast ein magisches Spiel: Der Film wird zu Druckbuchstaben. „Ich höre auf, wenn ich weiß, wie es weitergeht“, sagt sie. Dann arbeitet der Text allein weiter. Sie lässt ihn wachsen.

Für ihr neues Buch hatte sie dem Verlag als Titel „Zwiesel“ vorgeschlagen. Ein Wortschreck für an Absatzzahlen orientierte Lektoren und Verleger, für Helga Schütz vertraut aus der Gartenlehre. Zwiesel nennt man den Gabelwuchs eines Baumes. Eigentlich ein schönes Bild für die Erzählung: Ein betagter Schriftsteller trifft nach zig Jahren auf seine heimliche Studentenliebe Mela, die einst in den Westen floh, mit Mann und Kind. Thomas Falkenhain heißt der Schriftsteller – wieder findet das Schlesische, hier der Name ihres Geburtsortes, Eingang in den Text. In einer römischen Künstlervilla, die Villa Massimo unschwer zu erkennen, begegnen sich beide wieder und ihre Liebe blickt zurück und gedeiht weiter. Eben wie aus einem Stamm gewachsen. Wieder umkreist Helga Schütz die Erinnerungen an das Kriegsende und die DDR, an Stasi und Künstlertreffs, an den manchmal aberwitzigen Alltag, vor und nach der Wende, an Potsdam und sein Personal. Eine leise Melancholie hat sie eingewoben, kleine Leiden des Alters, Schwächen und Schrulligkeiten, aber auch den beachtenswerten Eigensinn des Bejahrtseins.

Ein wenig mulmig ist Helga Schütz mit dem Buch. Denn ihre Erzählung reiht sich ein in aktuelle Werke, die das Thema der verschollenen und wiederentdeckten Jugendliebe aufgreifen: Navid Kermanis „Sozusagen Paris“ oder Schlöndorffs Verfilmung von Max Frischs „Montauk“, den sie vor Kurzem erst auf der Berlinale sah. Ihr Buch, das am kommenden Wochenende in der Villa Quandt erstmals vorgestellt wird, ist wohl schlicht die ostdeutsche Variante des gerade im Schwange liegenden Motivs. Der Verlag hat aus Zwiesel übrigens „Die Kirschendiebin“ gemacht.

Buchpremiere: Helga Schütz liest am Sonntag um 11 Uhr in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46–47, aus ihrer Erzählung „Die Kirschendiebin“

Helga Schütz: Die Kirschendiebin. Aufbau Verlag, verfügbar ab 17. März 2017, 170 Seiten, 18 Euro

ZUR PERSON: Helga Schütz wurde 1937 in Falkenhain/Schlesien geboren. Ab 1944 lebte sie in Dresden und absolvierte dort nach der Schule eine Lehre zur Gärtnerin. Nach Potsdam kam sie 1955, um an der Arbeiter- und Bauernfakultät zu studieren, anschließend studierte sieDramaturgie an der damaligen Deutschen Hochschule für Filmkunst in Babelsberg. Seit 1962 arbeitete sie als Drehbuchautorin für die Defa. Seit den 1970er-Jahren verfasst sie Prosa: „Jette in Dresden“ (1977), „Knietief im Paradies“ (2005) und „Sepia“ (2012). Für ihr Werk wurde sie unter anderem mit dem Brandenburgischen Literaturpreis ausgezeichnet.

Grit Weirauch

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