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Kultur: Pling, Tara, Peng

Wer sind die Musiker der Kammerakademie Potsdam? Eine neue PNN-Serie porträtiert die Menschen hinter der Musik. Teil 1: Markus Krusche, der mit seiner Klarinette zaubern kann

Johann Melchior Molter muss ein innovativer und experimentierfreudiger Mann gewesen sein. Der Komponist aus Thüringen (1696 – 1765) war der erste, der ein Klarinettenkonzert schrieb. Ein Konzert, in dem das neue Instrument, das damals die anstrengend zu spielende Hoch-Trompete ersetzen sollte, eine Solostimme übernahm. Mitte des 18. Jahrhunderts treffen im Klarinettenkonzert Nr. 1 A-Dur das barocke Cembalo und das exotische Holzblasinstrument aufeinander. Ein Klassiker für Klarinettisten.

Auch Markus Krusche hat das Stück schon gespielt. Am kommenden Sonntag wird es jetzt von der Kammerakademie Potsdam (KAP) im Weihnachtskonzert aufgeführt. Solist ist Markus Krusche. „Das ist das erste Mal, dass ich beim Weihnachtskonzert dabei bin“, sagt der Klarinettist. „Normalerweise ist das eher ein barockes Programm, und dann eben ohne Klarinette.“

Seit 2012 gehört der 32-Jährige zum Ensemble der KAP. Nach seinem Studium hatte er sich ganz bewusst das Potsdamer Orchester angeschaut. Erstens, weil er den Orchesterleiter Antonello Manacorda kannte und gut fand. Und zweitens, weil das Orchester ein selbstständiges Unternehmen ist. Die Mitglieder sind keine Angestellten sondern selbstständige Subunternehmer. Teilhaber. „Das Orchester gehört uns und wir treffen alle Entscheidungen. Das finde ich gut.“

Gut fand er damals, als er einige Male zum Probespielen an Projekten der Potsdamer teilnahm, auch das Miteinander, das große Spielgefühl. In der Musik gibt es kein richtig oder falsch, sagt er, stimmig muss es sein. Wenn das Zwischenmenschliche nicht passt, dann kann man auch nicht miteinander musizieren. Bei Krusche und der KAP passte es.

Außerdem war Krusche ein kleines Kammerorchester lieber als ein großes sinfonisches Ensemble. „Ein kleiner Laden ist lebendiger, agiler. Wir sind ziemlich modern“, sagt er. Was natürlich nicht heißt, dass man keinen Barock mehr spielt. Aber diesen eben nicht mehr mit der Wohlfühlästhetik der 1950er und 60er Jahre, als alles rund und schön klingen sollte. „Aber so war die Musik nie, auch Mozart und Beethoven komponierten Stücke voller Lebendigkeit und Sprödigkeit. Wir spielen auf neuen Instrumenten und wir spielen klar, akzentuiert und konturiert.“ Derselbe Takt könne eben weich oder aufregend klingen. Krusche macht es vor: den Pling, das Tara, das Peng. Musiker, so scheint es, brauchen manchmal kein Instrument. Sie sind selber eines.

Krusche stammt aus einer Kleinstadt in Franken. Zu Hause steht ein Flügel, den man beim Anmieten des Hauses einfach übernahm. Der Vater spielt Klavier, die Mutter hört hin und wieder Klassik. „Ich bin froh, dass meine Eltern keine professionellen Musiker sind“, sagt Krusche. So konnte er sich ganz unangestrengt der Musik nähern.

Mit sechs Jahren beginnt er, Blockflöte zu spielen; wie man das eben so macht in dem Alter, sagt er. Dann wechselt er zum Akkordeon, denn es gab eins zu Hause, das wollte er benutzen können. Als er zehn Jahre alt ist, sieht und hört er, wie jemand bei der Schulweihnachtsfeier Klarinette spielt. „Das fand ich sofort toll“, sagt Krusche. Das will er auch. „Und wo lernt man in Franken ein Blasinstrument? In der Blaskapelle.“ Am liebsten hätte ihn freilich die Stadtkapelle, bei der er zwei Jahre spielte, die Trompete übergeholfen. Weil man Trompeter brauchte. Aber Krusche lässt sich nicht abwerben, er will Klarinette. Warum? „Ich fand den Klang einfach so toll. Ein weicher, runder, dunkler Klang,dabei extrem vielseitig“, schwärmt Krusche. „Die Klarinette kann auch laut, frech oder witzig sein.“

Nach zwei Jahren Kapelle wechselt er an die Musikschule, und er weiß sehr bald: Das möchte er beruflich machen. Nach dem Abitur beginnt er zu studieren. Er geht nach Weimar, weil dort Martin Spangenberg, den er schon vom Unterricht her kennt, Professor ist. Er wird sein prägender Lehrer. Krusche folgt ihm später an die Orchesterakademie der Münchner Philharmoniker. Aber es ist das Potsdamer Kammerorchester, das ihn zieht. Ein Klarinettist gehört zur Stamm-Besetzung. Wenn für ein Stück zwei gebraucht werden, wird ein weiterer eingekauft. Die Klarinette, sagt Krusche, ist zwar nicht überall dabei. Aber wenn sie gebraucht wird, dann hat sie meist einen umfassenden Part zu spielen. Dann steht sie im Mittelpunkt. Dann verzaubert sie – wie bei Mozarts berühmten Klarinettenkonzert A-Dur. Dann singt sie sich butterweich ins Ohr. Na klar kann er das noch hören und spielen, sagt Krusche, auch wenn es eines der berühmtesten und meist gespielten Konzerte ist. Zu gern wird das für Vorspiele ausgewählt. Es sei unheimlich schwierig, den Zauber des Stückes ausgerechnet in so einer stressigen, angespannten Situation auszudrücken.

Krusche spielt gerne Stücke von Schubert. Und freut sich auf das Konzert von Molter. „Den kennt heute keiner mehr“, sagt er. Aber die Musik sei etwas ganz Besonderes, im Übergang vom Barock zu etwas Neuem. Molter schrieb das Stück für D-Klarinette, die kleine mit der etwas höheren und helleren Klangfarbe.

Für das Konzert musste sich Krusche eine D-Klarinette von einem Kollegen und guten Freund borgen. Er hat keine eigene – zur Grundausstattung gehören nur die A- und B-Klarinetten. Krusche transportiert sie in einem stabilen Koffer. Die Schilfrohrblättchen liegen aufgereiht wie noble Zigaretten in einem mit rotem Samt ausgeschlagenen Hartschalen-Etui. So sollten sie auch eine kleine Drängelei in der U-Bahn gefahrlos überstehen. 20 000 Euro kosten beide Klarinetten, für Blättchen gibt Krusche monatlich 100 Euro aus. Die Blättchen, die am Spalt am Mundstück festgeklemmt werden, machen den Klang. Hier beginnt der Luftstrom zu vibrieren, bevor er in den Körper aus tropischem Grenadillholz fließt. Die Blättchen sind das empfindlichste Teil des Instruments. Und ob eins funktioniert, ob es an genau dieser Klarinette und bei Markus Krusche so klingt, wie es soll, ist Glückssache. „Eins von zehn“, sagt Krusche. „Es ist eben ein Naturprodukt. Jedes Teil hat eine andere Maserung.“ Deshalb betreiben Klarinettisten Vorratshaltung. Es müssen stets genug Blättchen und Befestigungsklemmen da sein. „Meine Kollegen lästern manchmal, weil mein Spind so voll ist.“

„Zauberklänge“, am Sonntag um 16 Uhr im Nikolaisaal, Karten 10 bis 26 Euro

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