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Das ehemalige Gefängnis der Staatssicherheit zeigt vom 4. Mai bis zum 6. August politische Plakate von Klaus Staeck.

© Andreas Klaer

Plakate von Klaus Staeck: Momentaufnahmen eines Aufbruchs

Bissig, politisch, polarisierend: Die Ausstellung "Politische Plakate Revisited" in der Gedenkstätte Lindenstraße zeigt Plakate von Klaus Staeck. Sie ist eine Reminiszenz an die Zeit um 1990.

Potsdam - Der bemerkenswerte Kreis, der sich in der Gedenkstätte Lindenstraße an diesem Dienstag (4.5.)  schließt, hat eine kleine Delle. Schuld daran ist Corona, was sonst. Denn geplant war die Eröffnung der Ausstellung „Klaus Staeck: Politische Plakate Revisited“ für Anfang Mai 2020. Auf den Tag genau 30 Jahre, nachdem die erste Ausstellung mit Plakaten Klaus Staecks dort eröffnet worden war und die Potsdamer:innen sich das Stasigefängnis zurückerobert hatten – das war die Idee. 

Eine Pandemie kam dazwischen. Die Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße holte neu Anlauf. So kommt es, dass sie jetzt, zum krummen 31. Jubiläum, doppelt beeindrucken kann: „Politische Plakate Revisited“ wird zunächst digital zu sehen sein – und, sobald das wieder möglich ist, auch vor Ort. Die Ausstellung wird von einem äußerst lesenswerten Katalog im Taschenformat begleitet.

Eine verschüttete Zeit

Das Oeuvre des Plakatkünstlers Staeck, der 2006 bis 2015 auch Präsident der Berliner Akademie der Künste war, die Überwachungsmechanismen des DDR-Staates und die Biografien der Beteiligten Rudolf Tschäpe, Heinz Schönemann und Birgit Reissland: All das kommt hier auf engstem Raum zusammen. 37 Plakat-Nachdrucke von Klaus Staeck sind zu sehen. Die von der Zeit angegriffenen Originale ruhen im Depot des Potsdam Museums.

„Damals, im Mai 1990, müssen es viel mehr Plakate gewesen sein“, sagt Kuratorin Amélie zu Eulenburg. Wie viele, wusste keiner der vielen Zeitzeugen, mit den sie sprach, mehr zu sagen. Auch Staeck selbst nicht. „Das Jahr 1990 ist eine verschüttete Zeit“, sagt von Eulenburg. Eine Zwischenzeit. Im Rückblick erdrückt von den Zäsuren 1989 und der Wiedervereinigung im Oktober 1990. 

"Vorsicht Kunst", eines von 37 Plakaten von Klaus Staeck, die in der Ausstellung in der Gedenkstätte Lindenstraße zu sehen sind.
"Vorsicht Kunst", eines von 37 Plakaten von Klaus Staeck, die in der Ausstellung in der Gedenkstätte Lindenstraße zu sehen sind.

© Gedenkstätte Lindenstraße

Vom Gefängnis zum „Haus der Demokratie“

Zum Jahreswechsel 1989/1990 hatte das Ministerium für Staatssicherheit das „Lindenhotel“, das Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit mitten im Zentrum, an die Stadt Potsdam zurückgegeben. Ab Januar 1990 durften Bürgerinitiativen und oppositionelle Gruppen wie das Neue Forum und die SDP die Räume der Lindenstraße 54/55 nutzen. Aus dem Gefängnis sollte ein „Haus der Demokratie“ werden, Ort des Austauschs, der Aufklärung – und der Kunst. So zumindest wollte das der Astrophysiker Rudolf Tschäpe, Aktivist des Neuen Forums seit dessen Gründung im Oktober 1989. 

Tschäpe ist es, der damals auf die Idee kommt, das ehemalige Gefängnis mit Staecks Kunst zu bespielen. Für die Umsetzung gewinnt er den Kunsthistoriker Heinz Schönemann, damals stellvertretender Generaldirektor der Staatlichen Schlösser und Gärten – und Tschäpes Freund. Seit den 1970er-Jahren werden die Aktivitäten der beiden von der Stasi beobachtet. In der Ausstellung sind bedrückende Fotos zu sehen, die das bezeugen. 

Klaus Staecks Collage "Zurück zur Natur“ von 1985 macht Édouard Manets Gemälde zum Statement gegen Konsum.
Klaus Staecks Collage "Zurück zur Natur“ von 1985 macht Édouard Manets Gemälde zum Statement gegen Konsum.

© Gedenkstätte Lindenstraße

Plakate an Angelseide und Fleischerhaken

Die Restauratorin Birgit Reissland kommt 1990 auf die Idee, die Plakate an schmalen Holzleisten aufzuhängen, mit Angelseide und Fleischerhaken. Damit das Papier sich nicht einrollt. Die Plakate hängen damals nicht dicht gedrängt in einem Raum, sondern in den Zellen und Gängen des Gefängnisses. 

Auch Rudolf Tschäpe hatte hier kurzzeitig einsitzen müssen. Möglicherweise ist in der „Behandlung“ durch die Stasi der Grund für seinen frühen Tod 2002 zu suchen. Dass 1990 subversive Plakatkunst hier Einzug erhält: eine Wiederaneignung, ein Triumph über die Peiniger. Die neue Ausstellung, „Politische Plakate Revisited“ ist Rudolf Tschäpe gewidmet.

Amélie zu Eulenburg ist die Kuratorin der Ausstellung "Klaus Staeck: Politische Plakate Revisited".
Amélie zu Eulenburg ist die Kuratorin der Ausstellung "Klaus Staeck: Politische Plakate Revisited".

© Andreas Klaer

Einer der prägendsten Plakatkünstler Deutschlands

Klaus Staeck war seit den 1970er-Jahren einer der prägendsten politischen Grafiker Deutschlands. Geboren 1938 in Pulsnitz bei Dresden, geht er nach dem Abitur 1956 in die Bundesrepublik. Bekannt wird er 1971 mit einem Plakat, das eine Zeichnung Albrecht Dürers von seiner alten Mutter zeigt, zusammen mit der Frage: „Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?“

Ob Klassismus, Kapitalismuskritik oder Klimakrise: Staecks bissige Plakate bohren Finger in gesellschaftliche Wunden. „Zurück zur Natur“ heißt ein Plakat von 1985: eine Collage auf Basis von Édouard Manets „Das Frühstück im Grünen“. Bei Staeck wird die Idylle von einem Mercedes und einem Haufen Coladosen gestört. 

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Scharf, politisch, polarisierend

Scharf, politisch, polarisierend: Das waren die Plakate 1990, und das sind sie noch heute. Die Ausstellung zeigt aber nicht nur das. Sie macht auch die Differenz sichtbar. Zeigt etwa die Aufnahmen, die Staecks Bruder Rolf 1990 mit seiner Videokamera machte: Diskussionen um den politischen Neuanfang, eine Punkband im Hof, einen unglaublichen Menschenandrang auf dem Gelände, das nur Monate zuvor eine verschlossene Welt gewesen war. Wertvolle Momentaufnahmen eines Aufbruchs, einer Selbstermächtigung.

Das Bild- und Videomaterial zu „Politische Plakate Revisited“ ist ab Dienstag um 18 Uhr unter http://klausstaeck.gedenkstaette-lindenstrasse.de/ zu sehen.

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