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Respektvoll. David Sieveking (r.) porträtiert in seinem Film seine Mutter Gretel Sieveking, die an Alzheimer erkrankt ist.

© Promo

Kultur: Plädoyer für die Liebe

David Sieveking hat im Thalia-Kino seinen Film „Vergiss mein nicht“ vorgestellt

„Dieser Film ist ein Geschenk“. Das sagte ein Zuschauer im Gespräch nach der Aufführung von David Sievekings Dokumentation „Vergiss mein nicht“, die am Samstagnachmittag im bis auf den letzten Platz besetzten Thalia-Kino in Anwesenheit des Regisseurs stattfand. David Sieveking, Jahrgang 1977, porträtiert darin seine Mutter Gretel Sieveking, die zu diesem Zeitpunkt schon seit mehreren Jahren an Alzheimer erkrankt war.

Und diese Dokumentation zaubert einem als Zuschauer schon nach wenigen Augenblicken ein Lächeln ins Gesicht. Denn nicht die Schwere und die Schwierigkeiten dieser allseits gefürchteten Erkrankung stehen im Mittelpunkt seines sehr persönlichen Films, sondern David Sieveking gelingt es, viele berührende alltägliche Momente einzufangen und so das Gewordensein und die Würde seiner Mutter auch dem Kino-Publikum nahezubringen. Da hätte es seiner anfänglichen Ermunterung, in diesem Film auch zu lachen, gar nicht bedurft, denn schnell wurde klar, dass Gretel Sieveking zwar ihr Gedächtnis, aber nicht ihren Humor verloren hat.

So ist es denn auch unverständlich, dass immer behauptet wird, dass diese Krankheit einem Menschen die Persönlichkeit rauben würde. Nicht nur nach diesem Film weiß man, dass das Gegenteil der Fall ist. Denn wenn man Gretel Sieveking erlebte, wie sie mit Pragmatismus, Warmherzigkeit und eben auch viel Sinn für Humor ihre Situation meistert, wurde einem klar, dass ihre Direktheit und die Vielfalt ihrer Gefühle vielleicht erst jetzt richtig ans Licht kamen. Sie bringt trotz zunehmender Schwäche immer wieder neu soziale Kompetenzen ins Spiel, die es ihr ermöglichen, auch mit fremden Menschen erfolgreich zu kommunizieren.

David Sieveking fasste den Entschluss für diesen Film, als er seinen Vater, der die Mutter schon mehrere Jahre allein betreute, entlasten wollte. Er wird in dieser Situation zum ersten Mal hautnah und über einen längeren Zeitraum mit den Veränderungen seiner Mutter konfrontiert und sprang, wie er im Gespräch sagte, ins kalte Wasser, was Betreuung und Pflege anging. Doch da er offen und vorurteilsfrei genug ist, fand er pragmatische Lösungen und hatte auch noch Zeit und Kraft, sich mit der Vergangenheit seiner Mutter, einer intellektuellen und politisch engagierten Vertreterin der 68er-Bewegung, auseinanderzusetzen. Und dabei entdeckt er auch noch Seiten an seinen Eltern, die ihm bisher verborgen waren. Sie lebten eine sogenannte „offene“ Beziehung. Genau wie sich der Sohn seiner Mutter liebe- und respektvoll jetzt als junger Mann erneut nähert, gelingt es auch seinem Vater Malte, die Frau an seiner Seite mit noch verständnisvolleren Augen als früher zu sehen. Es gehört zu den berührendsten Szenen im Film, wenn sich die beiden Ehepartner gegenseitig zärtlich die Hände streicheln oder einfach in den Armen halten.

Ein Zuschauer fragte den Regisseur, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede er zwischen seinem Film und Michael Hanekes „Liebe“ sehe. Sieveking antwortete, dass sein Film ein Beispiel dafür sei, was möglich ist, wenn Familie noch funktioniert. Er erzählte auch, dass sein Vater, nachdem er die Mutter für eine Kurzzeitpflege ins Heim gegeben hatte, sich aus Egoismus entschloss, sie wieder nach Hause zu holen. Denn er wollte trotz aller Belastungen unbedingt noch Zeit mit ihr gemeinsam verbringen.

Sievekings Film ist in erster Linie ein Plädoyer für die Liebe. Er zeigt, dass wenn diese vorhanden ist vieles möglich und auch leichter ist. Auch wenn man nicht vergessen darf, dass sich der Regisseur bei seinem mehrwöchigen Pflege- und Filmprojekt in einer privilegierten Situation befand. Denn die Familie hat ausreichend finanziellen Spielraum, um sich private Pflege und persönliche Auszeiten leisten zu können. Doch vor allem vermittelt der Film die Einsicht, was im Leben wirklich wichtig ist. Und dass bis zum Lebensende ein gegenseitiges Geben und Nehmen möglich ist. Was allerdings voraussetzt, dass wesentliche Probleme zwischen den Generationen geklärt und keine offenen Rechnungen mehr vorhanden sind.

Ins Thalia-Kino waren Zuschauer fast aller Generationen gekommen. Im Anschluss an den Film wurde in der Diskussion schnell deutlich, wie sehr diese Problematik die ganze Gesellschaft berührt. Es zeigte sich, dass Solidarität zwischen den Generationen als wesentlicher Faktor gegen Vereinsamung am Lebensende gesehen wird. Wovon sowohl Alte als auch Junge profitieren. David Sieveking würdigt mit „Vergiss mein nicht“ seine Mutter auf berührende Weise. Er äußerte schließlich die Hoffnung, dass seine Sichtweise auch seiner Mutter gefallen und dass sie sich als politisch engagierte und emanzipierte Frau für sein Vorhaben eingesetzt hätte.

Der Film „Vergiss mein nicht“ ist noch bis zum 13. Februar jeweils um 16.30 Uhr im Thalia-Kino in Babelsberg zu sehen.

Astrid Priebs-Tröger

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