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Reizarmut. Susanne Laser auf dem Pilgerweg durchs Havelland. Infrastruktur für Pilger gibt es dort nicht. Dafür haben Wind und Wetter freie Bahn.

© promo

Pilger-Reiseführer durchs Havelland: Von der Chance, verlorenzugehen

Susanne Laser hat einen Reiseführer für das Pilgern durchs Havelland geschrieben.

Dass es eine Kunst des Reisens gibt, davon ist Susanne Laser überzeugt. Einem Ritual der geistigen und körperlichen Erneuerung gleich erfordere ihr Erlernen jedoch Mut. Immer gehe es in ihr um Trennung, Grenzerfahrungen und Rückkehr desjenigen, der sich auf einen Weg mache. Je offener dieser für jenes Ritual sei, desto intensiver sei auch die Transformation, die durchlebt werden könne, glaubt die 30-Jährige. Wie es ist, mehrere Wochen lang als Pilgerin ohne Smartphone, Tablet und tägliche Kontakte zu anderen Menschen durch die Natur zu wandern, weiß sie gut: 2000 Kilometer Wegstrecke hat sie in den vergangenen sechs Jahren zu Fuß auf europäischen Pilgerpfaden zurückgelegt.

Die Strapazen und zeitweise Isolation aushalten zu können, vor allem darin liege das Können, sagt sie. Nicht nur für Freundschaften und Beziehungen seien Pilgerreisen ein Prüfstein. Auch das, was der Pilger mit sich trägt, werde bedeutsam: „Es ist entscheidend, wer und was einen begleitet – bis hin zum Reiseführer in der Tasche.“ Über jenen habe sie sich oft geärgert: „Die sind immer gleich aufgezogen, obwohl die jeweiligen Ziele und Pilgerstrecken ganz unterschiedliche Dinge vom Reisenden verlangen.“

Zu kompliziert seien die Wegbeschreibungen oft, nicht ermutigend genug, manchmal irreführend. Pilger seien zudem auf der Suche nach tiefgreifenden Erfahrungen, sei es Gott, Reinigung oder Erkenntnis über sich selbst. Hinzu kämen körperliche Herausforderungen, Hunger, Durst, Erschöpfung, weil auf längeren Strecken Annehmlichkeiten wie Supermärkte, Toiletten oder Apotheken nicht verfügbar sind. „Durchschnittliche Reiseführer holen Pilgernde in dieser Suche, die emotional und körperlich viel abverlangt, nicht ab“, sagt Laser. Und beschließt deshalb nach ihren ersten Pilgererfahrungen, selbst einen zu schreiben.

Dafür wählt sie jedoch nicht einen der Wege in Südeuropa, sondern einen viel naheliegenderen, aber in Vergessenheit geratenen Pfad des 14. Jahrhunderts, der 200 Kilometer durch das Havelland führt. Aufmerksam darauf wird sie durch eine Freundin, die sie nach längerer Kontaktpause auf ihrer ersten Pilgerreise wiedertrifft – in Santiago de Compostela, direkt nach ihrer Ankunft auf dem Marktplatz. Mit ihr sollte sie ihn das erste Mal erkunden, das zweite Mal läuft sie ihn 2015 neun Tage allein.

„Kein Hawaii – Pilgern durch das Havelland“ durchbricht das statische Format des klassischen Reiseführers mit ausdruckslosen Hochglanzfotos und Wegbeschreibungen. Laser reicht ihre Variante als Abschlussarbeit an der Fachhochschule Potsdam im Studiengang Kommunikationsdesign ein und startet eine Crowdfunding-Kampagne, um einen Buchdruck zu realisieren. Es gelingt ihr, genug Geld dafür einzunehmen: Im Frühjahr 2017 hält sie das komplett allein gestaltete Exemplar in den Händen. Auf rund 180 Seiten dokumentiert sie ihren Weg, der von Hennigsdorf nach Tangermünde führt. Etappenhaft schildert sie die Wegstrecken, stellt sie in Zeichnungen dar und gibt Orientierungshilfen, Fotos und künstlerische Skizzen, die in dieser Zeit entstanden, listet am Ende Unterkünfte auf. Auf manchmal ernste, dann wieder ironische und humorvolle Weise beschreibt sie die Eigenarten von Orten, etwa die ewig gleich eingerichteten Unterkünfte mit ihren pfirsichfarben gestrichenen Raufasertapeten. Offen gibt sie ihre Eindrücke der herzlich-rauen Mentalität der Menschen wieder, die Fremdwahrnehmungen von sich als Pilgerin, die in der Frage „Und warum macht man so wat?“ münden.

Und dann ist da noch die Landschaft des Havellands, ihrer Heimat, und ihr Empfinden zu dieser. Als Jugendliche versteht sie nicht, dass überhaupt irgendwer Urlaub in Brandenburg machen will. „Während es in unseren Breiten noch niemand bemerkte, setzten sich zu Sorbet gewordene Eisberge in Bewegung, deren mitgerissenes Geröll und Gestein das Land abschrammt und die abgeschliffene Ebene der Brandenburger Tristesse bildete“, heißt es in einem Kapitel. Das verändert sich jedoch. Zum Ende schreibt Laser: „Niemals hätte ich gedacht, dass ich einmal über die Reizarmut meiner Heimat ins Schwärmen geraten würde.“ Die Reizarmut ist für sie zugleich das Reizvolle, nicht nur ästhetisch, sondern auch weil sie hohe Ansprüche an den Pilger stelle – anders als die vor allem in den letzten Jahren in Mode gekommenen Pilgerwege durch Spanien gebe es eben keine „Pilger-Infrastruktur“. Die Orte auf der Strecke seien nicht auf Wanderer ausgerichtet, in der Natur seien keine Unterschlupfmöglichkeiten zu finden, Wind und Wetter haben freie Bahn, tagelang sei kein anderer Mensch anzutreffen – alles sei das, nur kein Hawaii eben.

Will einer die Kunst des Reisens erlernen, so wandere er deshalb besser erst einmal auf dem Jakobsweg, sagt Laser. Das Havelland sei zur Vervollkommnung da. Andrea Lütkewitz

Susanne Laser liest am morgigen Dienstag um 19.30 Uhr auf dem Restaurantschiff John Barnett aus „Kein Hawaii – Pilgern durch das Havelland“. Der ist Eintritt frei

Andrea Lütkewitz

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