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Kultur: Perpetua mobilia

Tanztage: Eine Reflexion über Bewegung und die einsame Suche eines Schattenboxer im Dunkeln

Alleine müht sich der Mensch in stiller Verzweiflung. Und bekommt dafür meist nicht einmal Aufmerksamkeit. Deshalb ist Einsamkeit auch manchmal etwas wie ein Perpetuum mobile. Ironischerweise war das Perpetuum mobile, um das es bei den Tanztagen in der fabrik am Samstag ging, eines der solidarischen Gemeinschaft, ein Kind des Kollektivs. Die Rede ist von Guy Nader und Maria Campos kreiertem Stück „Time takes the Time Time takes“, einer tänzerisch hoch anspruchsvollen Reflexion über Bewegung, Zeit und Raum, die mit Standing Ovations bejubelt wurde.

Ein Perpetuum mobile der Einsamkeit erzeugte dann allerdings gleich darauf im T-Werk Thiago Granato mit seiner Solo-Performance „Treasured in the Dark“. Die sollte die Geister der verstorbenen Choreografen Tasumi Hijikata und Lennie Dale anrufen. „Eine spirituelle Séance, die das Dunkle des japanischen Buthos mit der Wärme des brasilianischen Modern Jazz verbinden sollte.“ Allein: Es blieb eine einsame Suche im Dunkeln. Ein Mensch, der sich mit nur für ihn mit Bedeutung aufgeladenen Objekten abmüht, sie an seinen ausgestreckten Händen vor sich her durch den Raum wabern lässt und allen anderen Anwesenden jedes Narrativ verweigert.

Dabei fängt alles noch vielversprechend komisch-dramatisch an. Wie die Eichel eines Penis ragt Granatos nackter Hintern aus seinen schwarzen Hosenbeinen, den Kopf hat er tief zwischen seinen Knien und einer schwarzen Federboa verborgen. Zum Lied einer Frau lässt er seinen auf halbe Höhe verkürzten Körper sich wiegen, wie es die unsichtbare Sängerin wohl tun würde. Einsam im Spotlight, umgeben von Finsternis. Das ist lustig und traurig zugleich und so könnte ein guter Abend beginnen.

Aber aus dieser dunklen Seite der Diva wird – ohne jeden erkennbaren Grund oder Zusammenhang – ein Schattenboxer. Ein Kung-Fu-Schüler ohne Lehrer, der zum dumpfen Beat künstlich erzeugter Kampfgeräusche gegen einen nicht vorhandenen Gegner kämpft. Oder besser: Der Beat ist sein Gegner. Weder folgt Granato ihm, noch setzt er ihm bewusst etwas entgegen. Beat und Boxen sind zwei Spuren, die parallel abgespielt werden, aber keinen gemeinsamen Klang erzeugen.

Und dann kommen die Objekte ins Spiel. Etwas, das erst an einen schwarzen Totenschädel erinnert, aber nur eine Kugel mit Wülsten ist. Eine schwarz lackierte Ananas, auf die ein schwarzer Tangoschuh montiert ist. Ein langer Ast, der an das Paddel eines Einbau-Bootes denken lässt. All diese Gegenstände lässt Granato im Zeitlupentempo zu Sphärenklängen durch den Raum gleiten. Einen nach dem anderen. Warum? Animismus, die naturreligiöse Vorstellung von der Beseeltheit toter Objekte, wie sie vor allem in Asien vorkommt, ist eine schöne Idee. Etwas, das wir als Kinder alle kennen: Leben und Bedeutung steckt in allem. Bei Granato aber lebt nichts und nichts hat Bedeutung. Man mag ihm bei oder gerade wegen der tiefen Ernsthaftigkeit, mit der er das alles macht, nicht folgen.

Man mag irgendwann keinen Sinn mehr suchen. Einen letzten schönen Moment gibt es, als er minutenlang eine Fahne aus Folienpapier schwenkt, die etwas Unmögliches in sich vereint: Feuer und Wasser zugleich zu sein. Doch auch diesen Moment dehnt Granato ins Unendliche und verwässert die Schönheit mit Sinnlosigkeit.

Aber so ist das eben auch mit den großartigsten Festivals wie den Potsdamer Tanztagen: Es gibt immer beides: Licht und Schatten – aufregend und langweilig – zugleich. Ariane Lemme

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