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„People respect me now“: Brennpunkt Schule

Die deutsche Erstaufführung von „People respect me now“ hinterließ vor allem eines: Beklemmung.

Es ist noch nicht lange her, da galt Schweden als sozialdemokratisches Musterland, im Hinblick auf soziale Gleichheit, Integration und Schulbildung. Die Eltern-Lehrer-Schüler-Rockband, die am Samstagabend in der Reithalle des Hans Otto Theaters scheinbar fröhlich „He, ho, let’s go!“ intoniert, vermittelt – wenn auch nur kurz – diesen positiven Eindruck. Denn wenige Sekunden danach geht ein Notruf bei der Polizei ein, der durch den Amoklauf eines Schülers derselben Schule ausgelöst wurde. Beklemmung ist das vorherrschende Gefühl, als man die deutsche Erstaufführung von „People respect me now“ erlebt – nach der Übersetzung aus dem Schwedischen von Ute Scharfenberg. Und diese hält an, als man die Inszenierung nach fast zwei Stunden verlassen hat.

Im Mikrokosmos Schule werden hier beinahe alle Gesellschaftsprobleme abgehandelt. Es geht um ge- und zerstörte Beziehungen, mobbende und gewalttätige Problemschüler, sexuell übergriffige Lehrer, unfähige Sozialarbeiterinnen, Eltern mit Alkohol- oder Gewaltproblemen. Und: Über allem schwebt die Angst von Kindern und Erwachsenen, die Angst vor sozialer Ausgrenzung, die Angst vor dem sozialen Abstieg. Die schwedische Dramatikerin Paula Stenström Öhman schrieb „People respect me now“ 2015 auf der Grundlage eigener Recherchen. Es wurde 2016 als bestes zeitgenössisches schwedisches Stück ausgezeichnet.

Die rasante Inszenierung von Annette Pullen spitzt dies alles noch zu, indem vor allem die Erwachsenen als Karikaturen ihrer selbst gezeigt werden. Beispiele: Die Schulsozialarbeiterin (Anne Sofie Schietzold) erscheint als blondgelockte Fee im pinkfarbigen Tütü mit Coca Cola und Erdnüssen für den Delinquenten. Und plaudert mit Emotion-Bildchen genauso wie die Jugendamtstante (Ewa Noack) bevorzugt auf Kumpelebene mit den emotional kaputten Teenagern. Sarah Schulze Tenberge muss die total überforderte Mutter des Problemschülers Anton im schulterfreien Disco-Glitzer-Top geben und Aliki Hirsch wäre besser PR-Agentur-Chefin als stellvertretende Schulleiterin geworden.

Alles in allem gibt das ein Wahnsinnsfutter für die acht Schauspielstudenten der Filmuniversität Babelsberg, die von einer Sekunde auf die andere in unzählige Kinder- und Erwachsenenrollen schlüpfen, wobei ihnen letztere in den meisten Fällen näher sind als zwölfjährige Teenager. Gerade dieses Alter scheint bei dem Gezeigten (zusätzlich) übertrieben, doch das ist der Vorlage, nicht aber den Schauspielerleistungen zuzuschreiben. Denn die vier jungen Frauen und Männer werfen sich mit viel Engagement in die 20 verschiedenen Rollen.

Robin Berenz überzeugt als verunsicherter Anton und gibt auch dem Vater von Silas Profil: Die eigene Einsamkeit lässt ihn keine Nähe zum geliebten Sohn herstellen. Tom Böttcher bleibt als geschätzter Musiklehrer Geyer im Gedächtnis. Der als haftentlassener und nicht therapierter Gewalttäter brutal seine eigene Familie zerstört. Matthias Gärtner verkörpert den Schüler Miguel mit schnodderiger Leichtigkeit, wohingegen Robin Jentys sowohl als Schüler Silas als auch als Schulleiter in Erinnerung bleibt. Ersterer besonders sensibel, Letzterer aalglatt nur am „guten“ Ruf der Schule interessiert.

Mobbing ist ein Thema in nahezu jedem Jugendstück. Doch viel zu selten wird gezeigt, wie es dazu kommt und was es mit Opfern und (auch) den Tätern macht. In „People respect me now“ kommt es als Gegenstand mehrmals vor, jedoch nur punktuell und es wird dabei aus jugendlicher Sicht „veralbert“. Als Zustand bekommt es viel zu wenig inneren Raum und kann dadurch die Ahnung seiner zerstörerischen Wirkung nicht einmal ansatzweise im Zuschauer entfalten.

„People respect me now“ ist ein Stück über einen Amoklauf und die Rekonstruktion dessen, was dazu geführt haben könnte – aus vielen Perspektiven. Fast alle sind Täter und Opfer zugleich! Doch dieses atemlose Puzzlespiel überfordert und ermüdet auch, da es immer nur und immer mehr Probleme gibt. Szenen wie die indianische Blutsbrüderschaft oder die kindliche Astronauten-Fantasie können das nicht wirklich ändern. Zum Glück gibt es diese Brüche, doch der Sog der verbalen und körperlichen Gewalt erlaubt eigentlich keine Unterbrechungen.

Und niemals Auswege oder Solidarität oder andere „positive“ Optionen? Es scheint total aus der Mode gekommen zu sein, andere Perspektiven oder Ermutigendes zu zeigen. Getreu dem Hölderlinschen Motto: „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch “ Aber hätte zeitgenössisches Theater, das Themen junger Menschen verhandelt und sich an diese auch als Zuschauer wendet, nicht gerade dies zu tun, in dem kriegerischen Zeiten, in denen wir (gerade) leben? „Jetzt bin ich vom Thema abgekommen“, wird im Stück gesagt, „aber das hängt zusammen. Alles hängt zusammen.“ Eben, kann man nur beipflichten und sich wünschen, durch Kunst auch ermutigt zu werden.

Astrid Priebs-Tröger

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