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Kultur: Orientierungslose Ekstase

Helene Hegemann stellte ihren Film „Axolotl Overkill“ im Potsdamer Thalia-Kino vor

Tanzen, trinken, wanken, schlafen. Danach wieder wanken, trinken, tanzen und immer wieder tanzen. Im Prinzip ist „Axolotl Overkill“, der aktuelle Film von Helene Hegemann, den sie am Dienstagabend im Thalia-Kino vorstellte, ein einziger Tanz. Keiner, der einer strengen Choreographie folgt, sondern sich aus einer Ekstase heraus entwickelt. Einer orientierungslosen Leidenschaft der hilflosen Protagonistin.

Mifti (Jasna Fritzi Bauer) heißt sie, ist sechzehn Jahre alt und lebt nach dem Tod ihrer Mutter mit ihren beiden Geschwistern zusammen. Aus Mangel an Erziehung und Zuwendung zieht sie ihr eigenes Ding durch: Geht nicht zur Schule, zieht tagelang mit neuen erwachsenen Bekanntschaften durch die Gegend, hat Sex, wie sie gerade möchte. Und dann ist da noch Alice (Arly Jover), eine geheimnisvolle Frau, die Mifti mehr bedeutet als sie eigentlich zugeben möchte. Im Film wird sie deswegen auch immer wieder zu ihr hingetrieben. Allerdings eher passiv als aktiv – ein Motiv, zu dem Helene Hegemann sich von Jim Jarmuschs Film „Permanent Vacation“ inspirieren ließ, wie sie am Dienstag erzählte. „Da geht es auch um einen Teenager, der sich seine Mitmenschen passiv anguckt und so vor sich hin treibt“, sagte die Regisseurin, die mit „Axolotl Overkill“ ihren Roman „Axolotl Roadkill“ von 2010 verfilmte. „Das fand ich faszinierend und gerade diese Passivität wichtig.“

Vorbild für Miftis Figur seien auch Schurken aus Film-Noir-Streifen gewesen. „Solche mit dem Herz am richtigen Fleck“, wie Hegemann sagte, der Regie führen mehr Spaß mache als Schreiben. Ihre Titelheldin sei auch jemand, in dem es brodelt und man nicht wisse, wann es explodiert. Deswegen trage sie auch fast durchgängig ein T-Shirt, auf dem das russische Wort Nadryw geschrieben steht. Dieser Begriff, so erklärt Hegemann, ist nicht wirklich übersetzbar und wurde vor allem durch den russischen Autor Dostojewski geprägt. „Es bedeutet so etwas wie Schmerzekstase“, so Hegemann. „Es ist ein guter Oberbegriff für Miftis Gefühle: Ihren Liebeskummer, den Verlust ihrer Mutter.“

Szenographisch setzt Hegemann diese Ekstase bewusst kunstvoll um. Da sie selbst lange getanzt hat, wie sie am Dienstag erzählte, spielt der Tanz eine große Rolle in dem Film. Etwa in einem der Clubs, in den Mifti sich treiben lässt. Im blitzenden Stroboskoplicht wird die Tanzfläche in perfekt choreographierter Einheit bespielt. In einer anderen, fast entrückten Szene, tanzt sich eine junge Tänzerin durch eine Wohnung. Wie Hegemann im Thalia sagte, habe sie solche Sequenzen ganz bewusst gesetzt, um auszudrücken, wie verloren sich Mifti fühlt. Auch die zahlreichen Tiere, wie etwa der titelgebende Axolotl oder ein Pinguin, der durch die Altbauwohnung watschelt, sollen deplatziert wirken, um das Gefühl einer verwirrten Melancholie aufkommen zu lassen. „Die Tiere sind scheinbar im falschen Kontext, am falschen Ort, genau wie Mifti auch“, so die Regisseurin, die derzeit an einem neuen Roman arbeitet.

Das Konzept gelingt. Auch deswegen, weil die inzwischen 28-jährige Jasna Fritzi Bauer das 16-jährige Teenagermädchen herausragend spielt. „Für mich war ganz schnell klar, dass sie meine Protagonistin ist“, so Hegeman. Die Befürchtung, dass sie eigentlich zu alt sei, um Mifti zu spielen, habe sich ganz schnell erledigt. Und so tanzt sich die Schauspielerin mit einer traurig spöttischen Kraft durch den Film, an der man sich nur schwer sattsehen möchte und deren orientierungsloser Ekstase man gerne folgt. S. Kugler

„Axolotl Overkill“, täglich um 20.45 Uhr im Thalia

S. Kugler

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