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Doppel. Schauspielerin Henny Porten spielte im Film „Kohlhiesels Töchter“ 1920 beide Schwestern.

© imago stock&people

Orgel zum Stummfilm in der Friedenskirche: Köstlicher Erfindungsgeist trifft auf Humor

Mit einer vergnüglichen Sommerabend-Unterhaltung wartete am Mittwochabend der Internationale Orgelsommer in der Friedenskirche Sanssouci auf.

Mit einer vergnüglichen Sommerabend-Unterhaltung wartete am Mittwochabend der Internationale Orgelsommer in der Friedenskirche Sanssouci auf. Die diesjährigen Improvisationskonzerte – mit einer großen Vielfalt an musikalischen Erfindungen, die aus dem Stegreif entstehen – vereint Künstler von Format in Potsdam. Auch Anna Vavilkina wurde von Kantor Johannes Lang, dem Künstlerischen Leiter des Festivals, eingeladen, eine musikalische Spezialität zu offerieren, die es in Deutschland nicht zu oft gibt: die Simultanimprovisation von Stummfilmen. Die gebürtige Moskauerin ist Organistin im legendären Babylon-Kino in Berlin. Nur für die Begleitung von Stummfilm-Abenden ist sie dort verpflichtet. Dieses Genre wird regelmäßig im Babylon gepflegt, mindestens einmal in der Woche. Anna Vavilkina ist also mit dem Stummfilm bestens vertraut. In der Friedenskirche war sie mit dem Stummfilm „Kohlhiesels Töchter“ aus dem Jahre 1920 und der simultan gespielten Musik an der Woehl-Orgel zu Gast.

Dem stummen Mienen- und Gebärdenspiel der Akteure auf der Leinwand haucht auch sie, wie ihre Musikerkollegen vor gut 100 Jahren an der Kinoorgel, am Klavier oder im Orchester Leben ein. Die flimmernden Bilder werden musikalisch illustriert, emotionalisiert oder kommentiert. „Kohlhiesels Töchter“ stammt von dem Meisterregisseur der Stummfilm-Ara, Ernst Lubitsch, der ihn nach dem gleichnamigen Bauernschwank von Hanns Kräly drehte. Die Geschichte, die Motive aus Shakespeares berühmter Komödie „Der Widerspenstigen Zähmung“ aufnimmt, ist bei Lubitsch unkompliziert, übersichtlich und vor allem schlicht. Er machte aus der Vorlage ein spritziges und liebenswertes Filmlustspiel.

Gretel und Liesel wohnen bei ihrem Vater, dem bayerischen Dorfgastwirt Matthias Kohlhiesel, also noch zu Hause. Die hübsche und charmante Gretel hat es nicht schwer, einen Bräutigam zu finden, die plumpe und kratzbürstige Liesel hat bei Männern dagegen keinen guten Stand. Doch der Vater bestimmt, dass Liesel zuerst unter die Haube kommen soll, denn Gretel wird auf jeden Fall einen Mann finden. Doch diese muss auf ihren geliebten Xaver verzichten, weil er zunächst die hässliche Liesel heiratet, um nach einer Scheidung sich mit Gretel zu vereinen. Aber ein Lustspiel wartet bekanntlich mit einem anderen Finale auf, als man erwartet. Liesel und Xaver werden ein glückliches Paar und Gretel hat einen anderen feschen Kerl gefunden. Der zu seiner Zeit gefürchtete Theaterkritiker Herbert Ihering schrieb über „Kohlhiesels Töchter“, dass das auf der Bühne unerträglich süßlich-neckische Bauernlustspiel im Film jedoch an Grazie und Witz gewinne. Er lobte ausdrücklich den Stummfilm-Star Henny Porten. Ihre Darstellung der Doppelrolle von Gretel und Liesel kann auch heute nach gut 100 Jahren begeistern. Die verschiedenen Facetten der beiden so unterschiedlichen Gastwirtstöchter spielt sie mit großer Freude an der Verwechslungskomödie. An ihrer Seite agiert Emil Jannings als Xaver.

Auch Anna Vavilkina hatte hörbar Freude am rasanten Filmgeschehen. Es scheint, das sie mit einem unerschöpflichem Reservoir an Wissen von Stilen und Formen aus der Musikgeschichte aufwarten kann. Über eine Stunde setzte die Organistin pausenlos die Mittel musikalischer Malerei ein, um die charakteristische Atmosphäre der jeweiligen Filmszenen einzufangen. Perfekt „instrumentierte“ sie die Orgel, vermochte wunderbare klangliche Wirkungen und Stimmungsbilder einzufangen. Das reichlich Humorvolle und Witzige des Films kam durch Anna Vavilkinas fantasievolle Improvisation voll zur Geltung. Die Tanzszenen im Wirtshaus oder die „Zähmung der widerspenstigen Liesel“ waren an köstlichem Erfindungsgeist im Film von Lubitsch und auch in der simultanen Improvisation von Anna Vaciklikina kaum zu überbieten. Mit großem Beifall und Bravorufen wurde die Organistin vom Publikum in der Friedenskirche gefeiert. Klaus Büstrin

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