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Jacob Keller, Alina Wolff und Arne Lenk in "Die Mitwisser".

© Thomas M. Jauk

Online-Premiere „Die Mitwisser“: Heitere Trauerarbeit am Hans Otto Theater

Auf der Potsdamer Bühne herrscht nach wie vor Corona-Stille. Nun gab es mit „Die Mitwisser“ erstmals eine Online-Premiere. Aber funktioniert Theater im Netz überhaupt?

Potsdam - Sie werden es nicht glauben, aber ich war gestern im Theater. Das Hans Otto Theater (HOT) hat seine jüngste Premiere gezeigt, „Die Mitwisser“ von Philipp Löhle. Die erste Premiere seit dem Corona-Shutdown. Die Schauspieler fassten sich sogar an, ganz ohne Maske. Danach war ich noch schnell beim Theatertreffen drüben in Berlin. Da lief eine Diskussion zu Theater und Internet – interessant, aber ich musste kurz vor Schluss weg, Potsdam hatte Vorrang. HOT-Chefdramaturgin Bettina Jantzen war heute Morgen dann so nett, die Einführung zum Löhle-Stück heute zu wiederholen. Alles exklusiv.

Und alles virtuell. Denn hatürlich hat das Hans Otto Theater weiterhin zu. Eine Premiere zeigte es am Samstag trotzdem: eine Online-Premiere. Die erste in seiner Geschichte. Eine Aufzeichnung der Generalprobe war zu sehen.  Die tatsächliche Premiere sollte am Tag nach der Aufzeichnung sein, am 13. März – just an dem Tag musste das Hans Otto Theater wegen des Corona-Virus seinen Spielbetrieb einstellen. Seitdem herrscht Stille auf den Bühnen, im Foyer, in den Proberäumen. Und der Theaterbetrieb weicht, nicht nur in Potsdam, aus auf einen anderen Raum. Einen vom Theater bislang vernachlässigten, teilweise sogar abschätzig betrachteten: das Internet. Nur hier lassen sich die geltenden Sicherheitsbestimmungen problemlos einhalten.

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Die Leere während der erzwungenen Theaterabstinenz füllen

Problemlos? Statt Live-Aufführungen gibt es nun Streams wie „Die Mitwisser“. Statt Publikumsgesprächen gibt es auf YouTube Einführungen wie die von Bettina Jantzen und Chats mit den Darstellern. Andernorts  sogar beides gleichzeitig – ein Versuch, das geteilte Live-Erlebnis, das Moment der Gemeinsamkeit, ins Internet zu übersetzen. Da läuft der Mitschnitt einer Inszenierung im Stream, und man kann parallel seine Gedanken ins Kommentarfeld hacken. Aber wer kann schon gleichzeitig sehen, denken und hacken?

Dass das nicht funktioniert, heißt nicht, dass man es nicht probieren sollte. Denn was bleibt in Zeiten der erzwungenen Theaterabstinenz anderes als das Ausprobieren neuer Formate? „Trauerarbeit“ nannte das in oben erwähnter, natürlich ebenfalls online geführter Diskussion beim Theatertreffen  ein Kritikerkollege – irgendwas muss man ja tun, um die derzeitige Leere zu füllen. Und die richtig guten Ideen brauchen eben Zeit, auch das wurde dort gesagt. Nicht nur das Theater muss sich in Zeiten von Corona neu sortieren, sondern auch der Blick darauf – die, die darüber schreiben. Deswegen lesen Sie hier keine Kritik.

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Google auf zwei Beinen

Streams vermitteln in erster Linie Information. Für Nuancen auf der Bühne braucht es die räumliche Nähe und die Totale – die Bühne eben. Bleiben wir also beim Informativen. Worum geht es in „Die Mitwisser“? Theo (Arne Lenk) und Anna (Alina Wolff) haben sich einen Assistenten gekauft: Herrn Kwant (Jacob Keller). Der kann alles: Kaffee machen, Müll rausbringen, abgespeichertes Wissen und Bilder innerhalb weniger Sekunden ausspucken. Google auf zwei Beinen, mit lustiger Fransenperücke, großer Nerd-Brille und Gummi-Schuhen. Theo ist begeistert, seine Frau weniger.

Was sich in Zeiten von digitalen Assistenten à la Alexa wie ein Horrorszenario für die nahe Zukunft liest, hat Regisseur Marc Becker in eine vage Vergangenheit versetzt: Die Bühne ist in Sepiatönen gehalten, Theos Arbeit als Enzyklopädist findet zwischen vergilbten Bücherseiten statt. Herr Kwant kann auch so tun, als sei er Theos Freund: nimmt Theos Portemonnaie, guckt ihm beim Sex zu und lächelt dabei ständig undurchschaubar unter seinen Fransen durch. Arne Lenks schenkelklopfend-selbstgefällige Begeisterung für diesen Assistenten ist auch beim Videogucken eine Lust zu sehen. Und darauf, Kwant-Darsteller-Jacob Keller erstmals auf der Bühne zu sehen, darf man sich freuen.

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Sehnsucht nach dem Publikum

„Wir freuen uns sehr, wenn wir die Menschen trotzdem irgendwie erreichen können“, schrieb die Schauspielerin Anja Willutzki nach der Online-Premiere im – technisch etwas holprigen – Chat. „Für uns ist es keine leichte Zeit.“ Das Potsdamer Theater hat Sehnsucht nach dem Publikum und gießt diese wie berichtet in verschiedene Formen. Orte jenseits der Bühne im Theatergebäude werden mit Lesungen belebt und abgefilmt. Unter dem Stichwort „Wir wollen es wissen“ müssen Schauspieler und Schauspielerinnen Frage und Antwort stehen, bekommt eine Ahnung, wie schwierig das auch für Profis ist: Improvisieren, wenn es privat wird. 

Oder Texte des Theaterkanons werden eingelesen und mit Küchen-Slapstick bebildert. Da spricht René Schwittay Schillers Text über „Die ästhetische Erziehung des Menschen“, Arne Lenk trägt dazu Smoking, Sonnenbrille und Kopftuch und trommelt mit Möhren einen Beat auf das Bühnenbild von Sibylle Bergs „Viel gut essen“  – eine Küchenzeile. Das ist schon mehr als Trauerarbeit, das ist Unterhaltung, besser noch: ist irritierende Unterhaltung. In der gleichen Kategorie spielt Franziska Melzers Gruß aus dem Home Office: ein Schnelldurchlauf von „Die Nashörner“, das in der Regie von Esther Hattenbach im Februar Premiere hatte. Hier dauert es vier Minuten. Fast ohne Text. Mit Playmobil. 

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Die Vorteile: Keine Schwelle, keine Kosten

Die Inszenierung „Die Nashörner“ war Anfang April wie berichtet online auf dem Theaterportal nachtkritik.de zu sehen, wo es immerhin rund 1000 Zuschauer fand. Das sind so viele, wie an zwei Abenden ins große Haus am Tiefen See passen. Zur Online-Premiere der „Mitwisser“ klickten sich rund 300 Zuschauer zu, doppelt so viele die ausverkaufte Reithalle fasst. Wären die sonst auch alle nach Potsdam gekommen? Oder sind es Potsdamer, die ihr Theater vermissen? So oder so: Das Streaming hat Vorteile. Man „schafft“ als Zuschauer plötzlich viel mehr – ein Klick nur zwischen einem Theaterpanel Berlin und einer Premiere in Potsdam.

Und Theater ist auf einmal kostenlos. Keine Schwelle, keine Anbindungsprobleme, kein Warten auf die Straßen- oder S-Bahn. Man kann kurz Pause machen, Kinder füttern. Man kann essen, trinken und muss nicht zehn Minuten vor der Damentoilette anstehen. Und es ist jederzeit verfügbar, von überall – wenn auch meist nur in einem begrenzten Zeitrahmen. Den Beginn kann man selber festlegen.

Demokratisierung des Theaters?

Ist das nun schon so etwas wie die Demokratisierung des Theaters? Solange sich nicht auch die Form des Theaters ändert, wohl kaum – darüber war man sich auch bei der Debatte beim Theatertreffen einig. Denn wer improvisiert abgefilmtes Theater sieht und nicht schon Theaterfan ist, wird auch keiner werden. Gefilmtes Theater ist immer schlechter als erlebtes Theater. Auch, weil der Theater-Online-Zuschauer immer ein schlechterer Zuschauer ist als der Theaterzuschauer.

Der dunkle Raum im Theater zwingt zu einer Konzentration, die es zu Hause nie geben wird. Hier streunt immer das eigene Leben dazwischen. Der Hund. Die Kinder. Die Nachbarn. Die schmutzige Wäsche. Das Handy. Damit Theater im Internet funktioniert, muss es entweder als eigenständiger Film funktionieren – und mit dem dazugehörigen Aufwand aufgenommen werden. Oder es muss, so hieß es in der Debatte des Theatertreffens, etwas anders machen. „Mehr Austausch“, war ein Stichwort. „Piratischer sein.“ Sich zum Beispiel an Gaming-Formaten orientieren.

Warten auf Verordnungen

Bis man diese neuen Formate gefunden hat, ist die Corona-Krise womöglich schon wieder vorbei. Und werden Theater weiter an digitalen Formaten tüfteln (können), wenn parallel wieder Bühnen bespielt werden wollen? Wann das sein wird, ist auch in Potsdam unklar. Offiziell ist der Spielbetrieb nach wie vor nur bis 8. Mai ausgesetzt.

Was danach wird, kann Intendantin Bettina Jahnke nur vermuten: „Wir werden wahrscheinlich aufgrund der verlängerten Kontaktsperre in dieser Spielzeit nicht mehr spielen und eventuell auch nicht mehr proben dürfen, müssen aber auf die offiziellen Verordnungen von Land und Stadt warten.“ Im Moment ist auch nicht klar, ob die nächste Spielzeit wie geplant stattfinden kann. „Auch wenn es zu Beginn der neuen Spielzeit eine Premiere geben sollte: Das echte normale Theater gibt es erst, wenn der Impfstoff da ist. Vor und hinter der Bühne werden wir nach den Hygienevorschriften arbeiten und unseren kompletten Betrieb umstellen.“

Immerhin: „Es gibt aber Pläne, unter Corona-Hygienesicherheitsbestimmungen den den Proben- und Spielbetrieb wieder aufzunehmen.“ Auf den Startschuss dafür wartet Bettina Jahnke noch. Einstweilen bleibt also die „Trauerarbeit“ – das gestreamte Theater. Und „Die Mitwisser“ ist über weite Strecken das Stück ein sehr heiteres Stück Trauerarbeit. Ob das Ganze auch ein guter Theaterabend ist, entscheiden wir dann, wenn wir es gesehen haben. Im Theater.

>>"Die Mitwisser" sind online noch bis Sonntag, 3. Mai um 18 Uhr Uhr online zu sehen

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