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Kultur: Olle Michael

Michael Gwisdek wird 75: Das Filmmuseum gratuliert mit „Olle Henry“

Landsknecht, Soldat, Cowboy, Wächter oder Terrorist. Mit solchen Rollen lernte Michael Gwisdek die Welt des Films kennen, bei der Defa in Babelsberg oder im DDR-Fernsehen in Berlin-Adlershof. Rollen, denen man keinen Namen gab. In den Besetzungsbüros der Film- und Fernsehstudios war Michael Gwisdek zu DDR-Zeiten als Nebendarsteller katalogisiert. So gab es für ihn von 1968 bis 1973 kaum Möglichkeiten, seine darstellerische Begabung zur Geltung kommen zu lassen. „Acht Wochen war ich bei den Dreharbeiten zu dem Indianerfilm ,Spur des Falken’ in Georgien dabei. Man hat mich geschätzt, weil ich mit dem Colt spielerisch umgehen konnte. Letztendlich waren dann nur eine Hand und die Zähne von mir im Film zu sehen“, erzählt Michael Gwisdek im PNN-Gespräch. Der Schauspieler, der in Berlin-Weißensee vor 75 Jahren am 14. Januar geboren wurde und das Studium an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ 1968 abschloss, musste noch warten, bis ihn Regisseure mit tragenden Rollen besetzten. Kurt Maetzig gab ihm 1975 eine Hauptrolle in „Mann gegen Mann“.

Das Filmmuseum Potsdam hat für den heutigen Freitag einen Defa-Film in petto, in dem Gwisdeks großartige Schauspielkunst unnachahmlich zutage tritt. Als Geburtstagsgruß wird „Olle Henry“ aus dem Jahre 1983 gezeigt. Gwisdek selbst wird anwesend sein und sich vor aller Augen und Ohren mit dem Filmkritiker Knut Elstermann unterhalten.

Nach „Dein unbekannter Bruder“ (1981) war der Film „Olle Henry“ die zweite Arbeit, die gemeinsam mit dem Regisseur Ulrich Weiß entstand. Gwisdek spielt darin den ehemaligen Profi-Boxer Henry Wolters, der nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entwurzelt und ohne Hoffnung bei dem Animiermädchen Xenia Unterschlupf findet. Sie hilft ihm, wieder Fuß zu fassen. Auf der Suche nach neuen filmischen Ausdrucksmitteln wollte Regisseur Ulrich Weiß mit den Konventionen brechen. „Ulli, der Szenarist Dieter Schubert und ich bildeten einen ,Geheimbund gegen den Rest der Welt’. Wir wollten etwas Neues machen. Der Fokus auf die Figuren sollte ganz auf ihre Psychologie gelenkt werden und völlig unideologisch daherkommen. Alles Überflüssige verschwinden“, so Gwisdek. „Ulli war ja sehr kritisch. Es dauerte lange, ehe sich sein künstlerischer Anspruch in der Bildsprache erfüllte. Damals erkannte er nur einen Film als gültiges Kunstwerk und als Vorbild an. Das war ,Stalker’ von Andrei Tarkowski.“

Doch Michael Gwisdek schätzte auch die Hollywood-Filme von Steven Spielberg mit ihren mannigfachen Klischees. „Wir haben diskutiert wie die Weltmeister.“ Weiß tolerierte Gwisdeks Sicht. „Und so haben wir einen Film mit stillen und grellen Szenen gemacht, der von der besonderen eindringlichen Handschrift von Ulli lebt.“ Der „Filmspiegel“ schrieb damals, dieser Defa-Streifen mache betroffen. „Auch Filme solcher Art brauchen wir, obwohl sie nicht bequem sind und nicht auf schnellem Weg Optimismus produzieren.“ Dies rief die Stasi auf den Plan. Die künstlerische Arbeit von Ulrich Weiß wurde unter die Lupe genommen, „mit dem Ziel, subjektivistische Aussagen von W. rechtzeitig aufzudecken und zu verhindern“. Michael Gwisdek schafft mit seinem höchst intensiven Spiel dem Profi-Boxer ein berührendes Porträt. „,Olle Henry’ gehört für mich zu meinen wichtigsten Arbeiten“, sagt er.

Inzwischen hat er, der in der Schorfheide sein Zuhause hat, weit mehr als 100 Filme gedreht, darunter auch solche, die in bester Erinnerung bleiben werden. Er gehört zu den Schauspielern aus der ehemaligen DDR, die nach dem Fall der Mauer im Geschäft blieben. Eigentlich startete er nach 1989 noch einmal richtig durch. „Ich kann mich gar nicht retten vor Angeboten. Fast täglich erhalte ich Drehbücher“, berichtet er. „Ich wollte endlich mit 73 Jahren in Rente gehen. Aber daraus wurde nichts.“ Die Regisseure holen den filmerfahrenen Gwisdek gern ans Set. Sie wissen, wenn er dabei ist, läuft die Produktion. Man denkt gern an Spielfilme wie „Nachtgestalten“ von Andreas Dresen, „Vaya con Dios“ von Zoltan Spirandelli, „Good Bye, Lenin“ von Wolfgang Becker oder an „Altersglühen“ von Jan Georg Schütte zurück.

Doch auf der Theaterbühne ist Michael Gwisdek leider nicht mehr zu erleben. Nach dem Schauspieldiplom wurde er 1968 von dem legendären Intendanten Gerhard Meyer an das Theater in Karl-Marx-Stadt, das heutige Chemnitz, geholt. Meyer hatte zuvor die gleiche Position am Hans Otto Theater inne. „Das war eine wunderbare Zeit. Meyer war ein Vater, der stets für seine Schauspieler da war. Unvergessen.“ Doch der Berliner Volksbühnen-Chef Benno Besson wurde auf Gwisdek aufmerksam und holte ihn an seine Bühne, ab 1983 wechselte er ins Ensemble des Deutschen Theaters. Bedeutende Rollen verkörperte er in Berlin, so in „Hamlet“ und „Wie es euch gefällt“, in „Die Fliegen“ von Jean-Paul Sartre oder in der Uraufführung von Heiner Müllers „Der Bau“. „Trotz der vielfältigen Rollen, die ich am Theater spielen konnte, entschied ich mich, von der Bühne Abschied zu nehmen. Das war 1990 eine Wende-Entscheidung. Der Film nahm mich völlig in den Griff“, sagt Michael Gwisdek. „Ja, ich lasse mich von ihm auch heute noch gern verführen.“

Heute ab 19 Uhr im Filmmuseum „Olle Henry“, anschließend Film-Gespräch

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