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Ohrenfreundliches KAPmodern-Konzert: Gänsehaut wechselt mit Schiebesound

Leidensfähig brauchte zumindest kein Besucher des KAPmodern-Konzerts am Dienstag im Foyer des Nikolaisaals zu sein, um sich gleichermaßen auf „Engel und Dämonen“ einzulassen.

„Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide“, wusste schon Johann Wolfgang von Goethe in klangbetörende Worte zu fassen. Ob auch die Kammerakademie Potsdam innerlich leidet, weil sie die Sehnsucht zu ihrem diesjährigen Saisonthema erkoren hat?

Leidensfähig brauchte zumindest kein Besucher des KAPmodern-Konzerts am Dienstag im Foyer des Nikolaisaals zu sein, um sich gleichermaßen auf „Engel und Dämonen“ einzulassen. Die vorgestellten Werke erwiesen sich größtenteils als witzige, gefühlsaffine, ohrenfreundliche Auseinandersetzungen der Komponisten mit ihrem zeitgeistigen Umfeld. Beispielsweise der amerikanische George Crumb mit seinem Streichquartett „Schwarze Engel“ (Black Angels), das er 1970 als Reaktion auf den Vietnamkrieg geschrieben hat.

Der apokalyptische Bilderbogen besteht aus drei Teilen, die jeweils kleinteilig untergliedert sind, erzählt auf packende Weise in dreizehn Bildern vom „dunklen Land“ (Crumb). Die einleitende „Nacht der elektrischen Insekten“ (Night of the Electric Insects) ist mit Geräuschen wie von zirpenden, schwarmbildenden und heran schwirrenden Plagegeistern eine beklemmende Metapher auf die Angriffswellen der Bomber. Die Geigerinnen Renate Look und Michiko Iiyoshi, Bratscher Christoph Starke und Cellist Christoph Hampe verstehen es vorzüglich, die Crumbschen Intensionen in seelenbewegende Klänge zu verwandeln. „Die verlorene Glocke“ (Lost Bells) beschwört durch gedehnte Klanglinien das Bild eines verlorenen Paradieses, während „Teufelsmusik“ (Devil Music) mit bizarren Pizzicati von der Welt des Bösen kündet. Das Gute (Good Music) findet seinen Ausdruck durch sphärenhaft-gläserne Geigenstreichereien an Kristallgläsern. Die Titel der Teilstücke werden auf Leinwand projiziert, was das Verständnis für die kaleidoskopartige Abfolge erleichtert.

Das Fallen und Verschieben von Baumzapfen auf elektronisch verstärkter Tischtennisplatte, welche die Handbewegungen von zwei Performern röntgenbildgleich auf die Leinwand projiziert, sei von jener Intuition und Spiritualität erfüllt, die im „Spiegel von Galadriel“ (The Mirror of Galadriel) vom Unbewussten künde. Meint jedenfalls Elena Rykova. Außer schabenden, quietschenden Geräuschvariationen hat diese Schiebesound-Spielerei nichts Weiteres zu bieten. Kreischende, glucksende und gurgelnde Klängen aus dem Urwald vermeint man dagegen in „Extension“ für Trompete (Nathan Plante) und Multi-Track-Zuspielung von David Coupé zu hören, die er mit livehaftigen Trompetenstößen begleitet. Sehr effektvoll, wie der auch stimmakrobatische Solist mit sich selbst, gleichsam digital und analog, musiziert.

Ruheverbreitend gerät dagegen die Begegnung von „Krishna e Radha“ für Flöte (Bettina Lange) und Klavier (Prodromos Symeonidis) aus der Feder von Giacinto Scelsi (1905-1988), eine moderne Variante des Debussyschen Nachmittags eines Fauns: sinnlich, stimmungsvoll, weich fließend. Wenn rhythmisches Pulsieren zweier angestrichener Saiten nicht konform geht, entsteht ein raues Reibungsfeld. „Das Biest“ (The Beast) hat James Tenney (1934-2006) sein Kontrabass-Solo genannt, das Tobias Lampelzammer als schier unendliche Schwingungskurve auf grimmigem Grundton vorführt. Sphärenhafte Klänge voller Rein- und Schönheit bestimmen dafür die Gedichtvertonung „In der Luft, klar und unsichtbar“ (In air clear and unseen) von Alexander Knaifel (geb. 1943) für Klavier und Streichquartett. Sehnsuchtsvoll und leidend an sich selbst: der Bogen zu Goethe hat sich geschlossen. Peter Buske

Peter Buske

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