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Kultur: Ohne Schnörkel

Der Sammler Siegfried Grauwinkel hat sich auf Konkrete Kunst spezialisiert und liebt die Farbe Blau

Diese Werke werden nur selten in der Öffentlichkeit gezeigt. Sie erzählen über „Das Glück des Sammelns“. Bis zum 25. August stellt das Kunsthaus in einer Ausstellung Kunst aus Privatbesitz vor. Acht Sammler geben Einblick in die von ihnen zusammengetragene ganz eigene Bilder- und Skulpturenwelt. In loser Folge stellen die PNN einige der Sammler vor. Heute Siegfried Grauwinkel.

Es ist ein bisschen wie am Meer. Als würde eine kühle Brise dem Wasser entsteigen. Siegfried Grauwinkels Haus scheint in solch eine Woge getaucht. Überall an den Wänden gibt es blaue Farbklänge und auch die Couchlandschaft stimmt in den Kanon ein. Ja, selbst bis in den schmalen Garten zieht sich das erfrischende Band. Im kurzgemähten Rasen leuchten Hase und Schaf tintenblau. Diese Plastiken sind indes die einzigen figürlichen Werke in der auf Konkrete Kunst ausgerichteten Sammlung Grauwinkels und dienen mehr dem Spaß der Enkelkinder. Ansonsten geht es im Haus Grauwinkel geradlinig zu. „Wenn Sie irgendwo einen Schnörkel finden, ist der von meiner Frau“, sagt der Sammler und seine blauen Augen blitzen noch verschmitzter.

Der 69-Jährige führt barfuß und natürlich im blauen Hemd durch sein Reihenhaus in Kleinmachnow, in das er vor zwei Jahren eingezogen ist. Die Bilder passen bestens zu dem modernen schlichten Bau, der viel Licht auf die Kunstwerke wirft. Überall sind sie zu finden: von der Küche bis ins Obergeschoss. Fast versteckt hinter der Treppe steht mal eben ein Günther Uecker: ein Mörser aus Holz mit eingeschlagenen Nägeln – Markenzeichen des großen Künstlers.

Siegfried Grauwinkel ist allerdings ein bisschen unzufrieden, dass gerade jetzt, wo er die reiche Ernte seiner 30-jährigen Sammelleidenschaft präsentieren könnte, aus einigen Wänden nur Schraubenköpfe herausgucken. 108 der schönsten Kunstwerke aus seinem Besitz, die er sonst auch in drei Depots lagert, sind bis 15. September im Museum Vasarély in Budapest ausgestellt. Ja, und weitere 13 Arbeiten zeigt er im Kunsthaus Potsdam.

Warum kapriziert sich dieser Sammler neben Grau und Schwarz nun ausgerechnet auf die Farbe Blau? „Sie wirkt auf mich beruhigend“, sagt er schlicht. Und fürwahr: An diesem schwülen Sommertag geht geradezu ein imaginärer Windhauch von den in Blau getauchten Wänden aus.

In munterer Heiterkeit erzählt der sehr bodenständige Grauwinkel von seinem Schlüsselerlebnis, wie er zum Sammler wurde. Das war 1980 in Nordamerika. Dort war er als Handelsvertreter mit einem Kollegen unterwegs. Der verschwand eines Tages für mehrere Stunden in einer Galerie und kam schließlich mit einem Bild heraus: ein Fünfeck, an dem noch Reste der Verpackung klebten. „In meinen Augen war das einfach Schrott. Er hatte indes 45 000 Mark dafür ausgegeben. Und dabei war er ein ganz vernünftiger Mann.“ Zwei Jahre später hielt Grauwinkel selbst sein erstes erworbenes Bild in den Händen: „Amsterdam in blue“ von einem indonesischen Künstler, das er zu Hause um 90 Grad versetzt an die Wand hängte, weil ihm so die Dynamik besser gefiel. Nun waren es seine Töchter, die moserten: „Papi, so etwas hätten wir dir auch malen können.“ Das wurmte ihn natürlich, und er ließ es darauf ankommen. Der Eleve in Sachen Kunst gab den beiden Farbe und Papier und am Ende mussten sie zugeben, dass das Original für 2000 Mark doch das Schönste war. „Ich hatte meine moralische Legitimation erworben.“ Auch heute sagen manche zu ihm: „Der Siggi spinnt“. Aber selbst aus diesem Satz hört er ein bisschen Achtung heraus.

Am Anfang hatte er keinerlei Kriterien für sein Sammeln. Grauwinkel kaufte allein aus dem Bauchgefühl und manchmal auch in Sektlaune. Inzwischen hat er sich jeden spontanen Kauf verboten. „Ansonsten hat man einfach zu viel Schrott im Keller. Man trinkt ein Glas Wein, der Galerist hat einen guten Spruch drauf, die Künstlerin sieht vielleicht noch hübsch aus und schließlich ist nach dem dritten Glas ein roter Punkt am Bild.“ Heute ist er streng zu sich und seiner Sammlung. Alles muss zur Konkreten Kunst gehören, das andere, seine „Sammlung disponibel“, wie er die wilden Anfänge nennt, verkauft er nach und nach. Auch einen Neo Rauch, A.R. Penck oder Sigmar Polke. Abschied ohne Schmerz. „Ich kann mich natürlich auch an einer schönen Landschaft erfreuen, aber sie ist nicht Objekt meiner Begierde.“

Konkret muss sie sein, seine Kunst: vom Maler vollständig im Geist konzipiert und gestaltet. Nichts wird nach der Natur ausgeführt. Konkrete Kunst besteht nur aus Farben und Flächen. 1984 war Grauwinkels erste Begegnung mit einem Konkreten: mit Frank Badur. Dieser Maler hat ihn das Sehen dieser formstrengen Kunstrichtung gelehrt und drei seiner Arbeiten an Grauwinkel verkauft. Zu fast jedem Werk hat der Sammler eine Geschichte parat. Es ist ihm wichtig, die Künstler persönlich zu kennen. „Ich sammle Zeitgenossen. Und wie könnte ich es besser beweisen als mit Fotos der Künstler.“ Und schon rauscht er auf seinem Computer durch die Galerien und Ateliers, in denen er sich mit allen nur erdenklichen Malern und Bildhauern ablichten ließ. Grauwinkel hat nicht nur seine Sammlung digital erfasst, sondern auch alle seine Begegnungen. „Die Künstler lassen sich gern fotografieren, wenn man sagt, dass man Sammler ist. Schließlich hoffen sie darauf, etwas zu verkaufen.“ Auch Gerhard Richter ist dabei. Er hat dem Sammler einen Katalog signiert. „Ich fragte ihn bei der Vernissage von ,8 Grau’: ,Was fällt Ihnen bei meinem Namen ein?’ und er malte einen grauen Winkel auf die Katalogseite. Nun habe ich auch einen echten Richter.“

Natürlich will Grauwinkel, wie wohl jeder Sammler, die großen Namen. Aber die sind teuer. „Also muss man Kompromisse schließen.“ Auch mit der eigenen Frau. Da gab es dieses Bild von Max Bill, und Grauwinkel hatte noch nichts von dem berühmten Schweizer. „Ich konnte nicht mehr schlafen. Aber der Preis war in einer Größenordnung, die richtig reinhaut. Meine Frau bat mich: ,Warte wenigstens, bis unser Haus finanziert ist und wir nicht auf Kisten sitzen müssen’.“ Er wartete – und kaufte ein halbes Jahr später seinen Bill.

Natürlich sei auch viel Eitelkeit beim Sammeln dabei, gibt Grauwinkel zu. Seit er sich 2004 als Vertreter für Beleuchtung aus dem Berufsleben zurückgezogen hatte, fühlte er sich plötzlich ungefragt. „Jetzt habe ich wieder ein Gebiet, auf dem ich mitreden kann. Das macht einen großen Teil meines Sammlerglücks aus.“ Siegfried Grauwinkel ist auf der Suche nach einer ständigen Ausstellungsfläche, um seine rund 250 Bilder und zahllosen Grafiken dauerhaft präsentieren zu können. Gern würde er sich mit einem anderen Sammler zusammentun und sich mit seinen Konkreten schnörkellos einbringen.

Kunsthaus, Ulanenweg 9, Mi 11-18 Uhr, Do/Fr 15–18 Uhr, Sa/So 12-17 Uhr

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