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Ironische Aufarbeitung. Michael Morgner stellt in seinem fünfteiligem Werk „M. überschreitet den See bei Gallenthin“ (1983) die Gottgleichheit des Künstlers infrage. Denn sein Versuch, wie Jesus Christus über das Wasser zu gehen, scheitert kläglich – er geht unter. Das Werk ist in der Schau „Hinter der Maske“ zu sehen.

© Manfred Thomas

Kultur: Ohne rettende Hand

Neun Themen, neun Bilder: Die PNN begleiten die Ausstellung „Hinter der Maske“ im Museum Barberini mit einem Rundgang durch die Schau. Teil 6: Michael Morgner und „Glaubensfragen“

Mit ausgebreiteten Armen versucht Michael Morgner übers Wasser zu laufen – und geht unter. Anmaßung oder gar Gotteslästerung? Nein, eher eine Bildsprache, mit der der Künstler die Welt und das eigene Ich persifliert. Sein fünfteiliges Werk „M. überschreitet den See bei Gallenthin“ entstand 1983 in Anlehnung an die biblische Geschichte von Jesus und seiner Überschreitung des Sees von Genezareth.

Die Idee zu dieser „Nachahmung“ kam Michael Morgner bei einem Pleinair, einer Malsitzung in dem kleinen Dorf Gallentin am Westufer des Schweriner Sees. Dort trafen sich 1981 mehrere Künstler – ganz in Tradition der französischen Impressionisten –, um neue Formensprachen auszuprobieren. Experimente, die auch zum Scheitern verurteilt sein konnten. Organisiert wurde dieses Pleinair von dem Leiter der Berliner Galerie „Arkade“, Klaus Werner, und dem Grafiker Thomas Ranft. Klaus Werner filmte Morgners Aktion der „Seebeschreitung“. Da es die dafür benötigte Videokamera in der DDR nicht gab, besorgte sich der Galerist das Gerät über einen Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in der DDR. Die Folge: Klaus Werner wurde entlassen, seine Galerie geschlossen.

Das zwei Jahre später entstandene Werk von Morgner ist also in jeder Hinsicht bedeutungsschwanger und politisch aufgeladen. Zum Kunstwert gesellte sich die Werkgeschichte dieses Spektakels, die mit einer immensen Observationssorge der Stasi einherging.

Morgner, der sich keineswegs zur christlichen Konfession bekannte, sah in ihren religiösen Themen aber eine Möglichkeit, existentielle Fragen gleichnishaft zu behandeln. In seiner grafischen Arbeit mit Übermalungen inszenierte er sich als Jesus und erscheint vor einem Kreuz in Rückenansicht in Erlöserhaltung. Doch Morgner erging es ähnlich wie Petrus, der jesusgleich über den See gehen wollte. Als dieser sah, wie heftig der Wind blies, bekam er Angst und begann unterzugehen. „Er schrie: ,Herr, rette mich!‘ Jesus streckte sofort die Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: ,Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?‘“ So steht es in der Bibel und so hat es Michael Morgner in Gallentin nachempfunden. Nur dass in seinem Fall auf dem Bild keine rettende Hand zu sehen ist.

In der Anordnung des fünfteiligen Werkes in Form eines Kreuzes findet der Inhalt, dieses Gleichnis für die Errettung aus Bedrohung und Not, auch eine formale Entsprechung. „Während sich Werner Tübke mit aller Ernsthaftigkeit als divino artista inszenierte“ – also als der göttliche Künstler –, „stellte Morgner die Gottgleichheit des Künstlers mit seiner Aktion ironisch infrage, da er nicht wie Christus über das Wasser zu gehen vermochte, sondern kläglich im Tümpel unterging, wie die kleinen Kontaktabzüge auf der linken Seitentafel zeigen.“ So ist es im Begleitkatalog zu lesen.

Das in Grau-Schwarz-Tönen gehaltene Bild „M. überschreitet den See bei Gallenthin“, das also auch das Thema Scheitern humorvoll in Szene setzt, nimmt den zentralen Platz in dem Raum „Glaubensfragen. Bezüge zum Christentum“ ein. In der DDR agierte Morgner indes eher im Randbereich, besetzte Nischen, die von der Staatssicherheit mit penetranter Akribie abgehört wurden.

1977, ein Jahr nach der Biermann-Ausbürgerung, gründete er zusammen mit Carlfriedrich Claus, Thomas Ranft, Dagmar Ranft-Schinke und Gregor-Thorsten Schade die Künstlergruppe und Produzentengalerie Clara Mosch in Adelsberg, einem Stadtteil von Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz. „Clara Mosch“ setzte sich dabei aus Silben der Künstlernamen zusammen. Die Repression hatte nach Biermann überall zugenommen. Es wurde immer schwieriger, freie Projekte umzusetzen. Die Künstler waren desillusioniert und es gab eine große Ausreisewelle. Gerade deshalb war die Galerie Clara Mosch ein wichtiger Ort der hiergebliebenen unangepassten Kunstszene. 120 Informelle Mitarbeiter waren auf sie angesetzt. „Diese Galerie in ihrer Zwischen- und Grauzone, die zahlreiche Ausstellungen und Aktionen initiierte, hatte immer auch in Verbindung zum öffentlichen Apparat gestanden. Sie musste Kompromisse eingehen, um nicht geschlossen zu werden.“, sagt die Kuratorin der Barberini-Ausstellung, Valerie Hortolani. 1982 endete das Kapitel Clara Mosch.

Nach anhaltenden Meinungsverschiedenheiten mit den Funktionären des Kulturbundes im Beirat und ihrer zunehmenden Einmischung in die Galeriearbeit war es auch zu Zerwürfnissen innerhalb der Gruppe gekommen. Das perfide „Zersetzungs-Programm“ der Staatssicherheit mit dem Ziel gegenseitiger Verdächtigung hatte Wirkung gezeigt. „Und Michael Morgner wurde mit Großaufträgen für Wandbilder und einem Pass für Reisen ins nichtsozialistische Ausland versorgt, um Distanz zu den anderen herzustellen.“ Das ist in einem Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung von 2012 zu lesen, das sich mit der Autonomen Kunst in der DDR beschäftigt.

Nach dem Ende der Galerie Clara Mosch engagierten sich Michael Morgner und Thomas Ranft nach wie vor im Künstlerverband und in der Genossenschaft bildender Künstler, zu der seit 1973 die „Galerie Oben“ in Karl-Marx-Stadt gehörte. In dieser von Morgner mit begründeten selbstständigen Galerie konnten von der Mosch-Gruppe geplante Ausstellungen in den folgenden Jahren verwirklicht werden. Sie besteht noch heute in einer Jugendstilvilla auf dem Chemnitzer Kaßberg und vertritt nach wie vor Michael Morgner und Thomas Ranft.

Der 1942 in Karl-Marx-Stadt geborene Arztsohn Michael Morgner, der an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studiert hatte, könnte wohl als Grenzgänger bezeichnet werden. Fast obligatorisch nahm er an den DDR-Kunstausstellungen in Dresden teil. Mit Reisepass „privilegiert“, fand er schon zu DDR-Zeiten in der internationalen Kunstszene Aufmerksamkeit. Carl Vogel, Rektor der Hamburger Kunsthochschule, zählt zu seinen wichtigsten Sammlern und Förderern. Morgner besaß aber auch das Rückgrat, 1984 aus dem Bezirksvorstand des Verbandes Bildender Künstler der DDR auszutreten und eine Teilnahme an der X. DDR-Kunstausstellung 1987/88 zu verweigern. Trotz dieser kritischen Haltung erhielt er 1985 den Kunstpreis des FDGB.

Michael Morgner agierte sowohl in der Gruppe als auch allein. Anfang der 80er-Jahre wandte sich der Maler verstärkt der Druckgrafik und Zeichnung zu, es entstanden die ersten Lavagen und abstrakten Zeichnungen, fernab vom sozialistischen Realismus. Die Bezüge zur christlichen Ikonografie behielt er bei. „Er sah darin eine Möglichkeit, existenzielle Fragen zu verhandeln: auch in einem sich atheistisch verstehenden Staat. Die christlichen Motive waren wie ein Vokabular, mit dem man auf eigene und andere Zusammenhänge anspielen kann“, betont Valerie Hortolani.

Morgner hatte gehofft, dass nach dem Mauerfall die Westmuseen genauso an der Arbeit der Künstler aus der DDR interessiert sein würden wie die Ostkünstler an der Arbeit ihrer Westkollegen. „Doch wir sind anders aufgewachsen, das wird man nicht wieder los. Und manchmal denke ich, dass eine gewisse innere Wut – dass es nicht ganz geklappt hat – einen munterer hält.“ Das sagte Michael Morgner 2011 in einem seiner Interviews.

Der inzwischen 77-jährige Künstler, der sich auch in Stahl-Skulpturen verewigte, lebt bis heute in Einsiedel bei Chemnitz. Dort widmet er sich weiter seinem Beruf, dem, „was unter der Oberfläche ist“.

„Hinter der Maske. Kunst in der DDR“, bis zum 4. Februar 2018 im Museum Barberini

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