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Kultur: Nur Ort der Presseschau

Als Arbeitsmöbel für den Geist nutzte Wilhelm II. seine Schreibtische eher selten

Der im Neo-Rokoko-Stil weiß und golden gefasste hohe Schreibtisch hat eine beweglichen Arbeitsplatte. Noch vor 100 Jahren stand er im Arbeitszimmer Wilhelms II. im Neuen Palais. 1919, nach dem Ende der Monarchie in Deutschland, wurde er ins Exilschloss im holländischen Doorn gebracht. Die neue Reichsregierung ermöglichte dem Ex-Kaiser großzügig einen Möbeltransport, unter anderen mit wertvollem Mobiliar, kostbaren Porzellanen und Gemälden. Nun steht der Schreibtisch wieder an seinem alten Platz. Das Huis Doorn hat ihn für die Ausstellungsdauer von „Kaiserdämmerung“ im Neuen Palais als Leihgabe zur Verfügung gestellt.

Ob die Schreibtische in den Schlössern für Wilhelm zentrale Arbeitsmöbel in seiner Regierungszeit waren, ist fraglich. Militärische Paraden, Empfänge, Reisen, öffentliche Auftritte gehörten eher zu seinen Beschäftigungen, als sich am Schreibtisch herumzuschlagen. Dennoch musste der Kaiser an ihm Beschlüsse fassen, seinen Namenszug unter Dokumente setzen, Briefe verfassen. Die Vielzahl von Reden entstand weniger am Schreibtisch, er hielt sie meist aus dem Stegreif. Diese wurden von den Regierungsmitgliedern gefürchtet, da sie inhaltlich oft daneben lagen. Seine Mutter, Kronprinzessin Victoria, schrieb 1892 an ihre Mutter, Queen Victoria, nach London: „Ich wollte, ich könnte ihm bei allen Gelegenheiten, bei denen er öffentlich sprechen will, ein Schloss vor den Mund hängen.“

Die Schreibtische Wilhelms wurden ständig für seine persönliche Presseschau freigehalten. Der Kaiser interessierte sich intensiv, worüber und wie die Zeitungen über ihn berichteten. Auf kritische Texte gegenüber seiner Politik und Person reagierte er ziemlich allergisch, besonders, wenn sein äußeres Erscheinungsbild in den Medien nicht dem entsprach, wie er sich persönlich sah.

Während des Exils hielt er privat bei Abendgesellschaften ebenfalls gern Reden, die kein Ende finden wollten. Fotografien aus dem Huis Doorn zeigen aber auch einen nachdenklich gewordenen alten Mann am Schreibtisch. Wilhelm schrieb an seinen unkritisch reflektierenden Memoiren und erledigte eine umfangreiche Korrespondenz. Doch träumte er auch von einer Rückkehr nach Deutschland. Als Hitler 1923 seinen erfolglosen Putschversuch in München unternahm, schrieb Wilhelm zwei seiner ehemaligen Offiziere: „Wenn Ihr mich braucht, ruft mich, ich bin jederzeit bereit, zurückzukehren.“ Doch niemand rief ihn.

Eine Abneigung gegenüber Schreibtischen als Ort des Geistes muss Wilhelm schon als Kind sowie als Jugendlicher verspürt haben. Des Mutters Wunsch, dass Wilhelm in allen Dingen perfekt sein müsse, verfolgte sie mit Unnachgiebigkeit. Victoria, die Gattin des Kronprinzen des deutschen Kaiserreiches und 88-Tage-Kaisers Friedrich (Wilhelm), begrüßte natürlich alle Versuche, den bei der Geburt verletzten linken Arm des Prinzen zu kurieren. Vor allem sollte er intellektuell und politisch zum untadeligen Herrscher erzogen werden.

Der Prinz war diesen Ansprüchen nicht gewachsen. Dennoch – oder gerade deswegen – wurde dem nur mäßig intelligenten Knaben mit Georg Ernst Hinzpeter ein Privatlehrer an die Seite gestellt, der seine Aufgabe mit sadistischer Härte zu erfüllen suchte. Immerhin warnte Hinzpeter die Eltern mehrfach vor zu hohen Erwartungen. „Es sind Zweifel in mir wach geworden“, schrieb der Pädagoge im Dezember 1870, „ob es je gelingen wird, dem Prinzen eine gediegene humanistisch-historische Bildung zu geben.“ Die „innere Entwicklung des Geistes“ könne mit der „äußeren Dressur“ nicht standhalten.

Doch Wilhelm musste Latein und Griechisch pauken, nebenbei auch die diplomatischen Weltsprachen Französisch und Englisch. Anfangs kämpfte Wilhelm noch um die Liebe seiner Mutter. Aus Kassel, wo er das Gymnasium besuchte, schrieb er ihr, wie gewünscht auf Englisch, kleine Berichte aus dem Alltag. Da die Briefe nur so gespickt von Fehlern waren, schickte die Kronprinzessin sie postwendend korrigiert zurück: „Handschrift und Rechtschreibung“, so teilte sie ihm kühl mit, seien „jämmerlich schlecht“.

Als erwachsener Mann teilte er den Gymnasiasten in den Schulen nach damaliger Pädagogenart mit, was er von einem tadellos geschriebenen Aufsatz halte: „Wenn einer im Abiturientenexamen einen tadellosen deutschen Aufsatz liefert, so kann man daraus das Maß der Geistesbildung des jungen Mannes erkennen und beurteilen, ob er etwas taugt oder nicht.“ Seine eigenen gedruckten Reden voll hohlem Pathos und Selbstverherrlichung wurden jedoch das Ziel des Spottes vieler seiner Untertanen. Klaus Büstrin

Die Sonderausstellung im Neuen Palais ist bis 12. November zu sehen

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