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Noldes Nordsee-Bild "Brecher" von 1936 hing bisher im Büro der Kanzlerin, als Leihgabe. Nach der Ausstellung im Hamburger Bahnhof möchte die Kanzlerin es nicht mehr zurück.

© AFP/Tobias Schwarz

Nolde und die Nazis: Warum sind die Nordseewellen so martialisch?

Die Kanzlerin will zwei Nolde-Gemälde nicht mehr im Büro: Seine Nähe zu den Nazis ist gerade Thema einer Berliner Ausstellung. Ein Kommentar zu Kunst und Moral.

Ein Kommentar von Christiane Peitz

Ach, diese Blumen. Sind sie nicht schrecklich düster, ja monumental? Und diese Nordseewellen, warum so martialisch? Oder hat man plötzlich einen Knick in der Optik? Der Kunstgenuss beim Betrachten der Bilder des großen Malers Emil Nolde ist jedenfalls erstmal verdorben. Die jüngsten Erkenntnisse machen es unmöglich, Noldes Nähe zum Nationalsozialismus zu ignorieren, die Ambivalenz eines als „entartet“ verfemtem Künstlers, der gleichzeitig Hitler-Fan war. Die Blumen haben ihre Unschuld verloren.

Die einen sagen: Gut, dass Angela Merkel die Nolde-Bilder „Blumengarten“ und „Brecher“ nicht mehr in ihrem Büro hängen hat. Gemälde eines Antisemiten und Nazi-Freundes im Kanzleramt, das geht ja gar nicht. Die anderen sagen: Wenn die Leute sich nur noch Werke von moralisch einwandfreien Künstlern zu Gemüte führen würden, wären Museen, Konzerthallen und Bibliotheken bald leer.

Es sind ja so viele: Nolde ein Hitler-Freund, Günter Grass Mitglied der Waffen-SS, Walter Jens NSDAP-Mitglied, Richard Wagner und Luther Antisemiten, Picasso Sexist – und Brecht hat die Frauen bekanntlich auch ausgebeutet. Vom mutmaßlich pädophilen „King of Pop“ Michael Jackson oder sexuell übergriffigen Hollywoodmogulen, Schauspielern und Dirigenten ganz zu schweigen. Also ab in den Giftschrank mit Luther-Bibel, „Meistersinger“, „Dreigroschenoper“ und „House of Cards“? Und nie mehr tanzen auf „Billie Jean“?

Auch die Ästhetik hat ihre Ethik. Aber wie viel Moral verträgt die Kunst? Wieder, wie bei den Diskussionen um gendergerechte Sprache, um Kunst aus kolonialem Kontext, um Klima-Sünder oder ein des Sexismus verdächtigen Gedichts an einer Hochschulfassade sind die Fronten schnell verhärtet. Entweder man wirft den anderen moralinsaure Zensurgelüste vor und umgekehrt Machismo, Rassismus, Geschichtsverklärung.

Wissen kann anstrengend sein, Aufklärung ist kein Kinderspiel. Umso größer wird die Sehnsucht, wenigstens in den schönen Künsten neben der Schönheit auch das Wahre und Gute zu finden, sich einmal nicht beschäftigen zu müssen mit der Zwiespältigkeit der wirklichen Welt. Die Menschen werden diese Sehnsucht immer haben und sie weiter in der Musik stillen wollen, in der Literatur, der Bildenden Kunst. Aber die Kunst sagt: Ich habe dir nie einen Blumengarten versprochen.

Der Maler Emil Nolde, hier auf einem Foto von 1952, trat 1934 in die NSDAP ein.
Der Maler Emil Nolde, hier auf einem Foto von 1952, trat 1934 in die NSDAP ein.

© picture alliance / dpa/dpa

Künstler sind keine besseren Menschen. Es gibt genauso viele miese, widersprüchliche und großartige Charaktere unter ihnen wie in anderen Berufsgruppen. Mehr noch: Monster können Meisterwerke schaffen, herzensgute Menschen schlechte Maler oder Musiker sein. Wenn es etwas taugt, dann verrät ein Kunstwerk nicht nur etwas über das subjektive Befinden seines Schöpfers, sondern auch über die kollektive Befindlichkeit der Gesellschaft, in der es entstand. Künstlerinnen und Künstler sind Kinder ihrer Zeit. Und doch sind ihre Werke weit mehr als bloß ein Spiegel. Sie führen ein Eigenleben, sie übersteigen die Absichten ihres Schöpfers. Sonst ist es keine Kunst.

Ambivalenzen und Unbehagen: Kunstgenuss ist nicht umsonst zu haben

Deshalb ist es einerseits unmöglich, Künstler und Werk voneinander zu trennen. Der Chor „Kreuzige ihn“ in Bachs Johannespassion trägt Züge einer antisemitischen Karikatur. Und Nolde verabschiedete sich von seinen alttestamentarischen, also jüdischen Motiven, je mehr er sich den Nazis anbiederte. Gleichzeitig ist diese unmögliche Trennung geboten: Die Johannespassion bleibt eines der bewegendsten, wahrhaftigsten Werke der christlichen Passionsmusik, trotz dieses Chors, der heftiges Unbehagen auslöst. Und Noldes Blumen? Sie können nichts dafür, dass sie auf kontaminiertem Grund blühen.

Auch zum "King of Pop" Michael Jackson (hier 1997) gibt es neue, konkrete Vorwürfe der Pädophilie. Kann man auf seine Musik jetzt noch tanzen?
Auch zum "King of Pop" Michael Jackson (hier 1997) gibt es neue, konkrete Vorwürfe der Pädophilie. Kann man auf seine Musik jetzt noch tanzen?

© dpa/Herbert Spies

Ja, Wissen ist anstrengend, aber auch eine aufregende Sache. Gut, dass wir wissen, wie Brecht seine Mitarbeiterinnen schikaniert und seine Ko-Autorinnen verschwieg. Gut, dass die Provenienzrecherche vorangetrieben wird. Gut, dass es Ausstellungen gibt wie jetzt die kritische Nolde-Schau in Berlin im Hamburger Bahnhof, dass die Kunst auch mal unsanft aus ihrem Elfenbeinturm geschubst wird. Was keineswegs heißt, dass ihr Genuss sich verböte. Er ist nur nicht umsonst zu haben.

Merkel bevorzugt jetzt die weiße Wand. Das ist auch keine Lösung

Die Kanzlerin hatte sich als Ersatz für Nolde zunächst Bilder des Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff ausgesucht. Aber auch von diesem Maler gibt es judenfeindliche Äußerungen. Also bevorzugt Merkel einstweilen die weiße Wand, sagte ein Sprecher. Das erinnert an die leere Bühne in Bayreuth nach dem Krieg, die berühmte Scheibe von Wieland Wagner. Man probte den Neuanfang auf Basis einer Tabula rasa. Das ging in Deutschland bekanntlich schief.

Im Jahr 2019 wünschte man sich: eine Regierungschefin, die sich zur Geschichte der Kulturnation bekennt. Sei es, indem sie sich zu Nolde erklärt, sei es, indem sie sich für ein Kunstwerk entscheidet, das auf andere Weise von Deutschland erzählt. Und wenn sie Besuch bekommt, sagen wir aus Israel? Die Wahrheit ist auch Staatsgästen zumutbar.

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