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Die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci finden 2020 nur als Kondensat statt - und openair. Hier Luise Enzian auf der Nordseite der Orangerie.

© Sebastian Gabsch PNN

Nikolaisaal und Musikfestspiele Potsdam: Erste Konzerte nach Corona-Lockdown

Der Nikolaisaal und die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci haben sich nach wochenlanger Zwangspause aus der Corona-Stille zurückmeldet - ein gelungener Auftakt?

Potsdam - Endlich! Eine Dame, im Festtagsgewand heranrauschend zum Einlass des Nikolaisaals, bringt in einem Wort, ein Stoßseufzer eigentlich, auf den Punkt, was wohl viele nach Musik und Live-Erlebnis Hungernde an diesem Wochenende empfanden. Endlich geht der Live-Betrieb auf Potsdams Bühnen wieder los. Drei Monate lang waren Bühnen und Konzertsäle coronabedingt zu. Jetzt wird wieder gespielt. Unter Auflagen, versteht sich.

Der Nikolaisaal gab am Freitagabend im Foyer den Auftakt dazu: Die Ehre wurde der Berliner Liedermacherin Dota Kehr zuteil. Anfang Juni hatte der Veranstalter als erster in Potsdam einen Corona-Spielplan bis zur Sommerpause vorgestellt, unter dem gleichermaßen Unglauben, Staunen und Vorfreude bündelnden Titel „Echt jetzt?!“. Die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci zogen wenig später nach und kündigten ein coronagemäßes „Kondensat“ des Programms an. Auch hiervon gab es am Wochenende den Auftakt: ein von Gewitterwolken und Donnergrollen durchzogenes Frischluftkonzert im Park Sanssouci.

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Die Berliner Songwriterin Dota Kehr eröffnete mit Gitarrist Jan Rohrbach die Corona-Saison im Potsdamer Nikolaisaal.
Die Berliner Songwriterin Dota Kehr eröffnete mit Gitarrist Jan Rohrbach die Corona-Saison im Potsdamer Nikolaisaal.

© Annika Weinthal/promo

Die von Corona geschundene Seele verarzten

Zunächst aber verarztete Dota Kehr im Foyer des Nikolaisaals die von Home Office und Vereinzelung, Maskenpflicht und Kontaktverbot geschrundene Corona-Seele. Einlasskräfte mit Gesichtsvisier, vereinzelt sitzende Menschen im Publikum, ein Aufsteller aus Plexiglas an der Bühnenseite: Was unter normalen Umständen ein trauriges Bild abgegeben hätte, fühlte sich angesichts der Auftrittverbote der vergangenen Wochen wie ein Triumph an. Und auch für Dota Kehr haben sich die Parameter verschoben: „Hätte ich nie gedacht, dass ich mal was Gefährliches machen würde“, sagt sie zwischen zwei Songs. In Zeiten der Maskenpflicht beim Sprechen ist Singen  beinahe Subversion.

Die Lieder von Dota Kehr sind wie gemacht für ein Auftauchen aus der totalen Corona-Stille. Kein Knall, kein Feuerwerk, sondern: Konzentration. Schillernde Texte, melancholische Melodien. „Es ist bunt und hell und leise und schön“, singt sie zu Beginn. Als hätte sie es für diesen Tag im Nikolaisaal geschrieben. Sie besingt Zwitterzustände zwischen Daseinsfreude und Endzeitgefühl, Melancholie und Übermut. Die Einsiedelei einer Corona-Existenz ist ihnen bereits eingeschrieben, könnte man sagen – die Sehnsucht nach dem prallen, echten Leben, das da draußen irgendwo pulsiert, auch. Immer wieder schleichen sich, gerade durch Jan Rohrbach an Keyboard und E-Gitarre, tänzerische, Rhythmen ein: ein Impuls, dem im Nikolaisaal niemand nachgeben mochte. Auch zum Mitsummen war das Publikum nicht aufgelegt, obwohl Dota Kehr, die Jahrmarkterprobte ehemalige „Kleingeldprinzessin“, das gern gesehen hätte.

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Juliane Laake im Säulenhof der Orangerie im Rahmen der Musikfestspiele 2020. Sie finden unter Corona-Bedingungen unter dem Titel "Nah/Distanz" statt.
Juliane Laake im Säulenhof der Orangerie im Rahmen der Musikfestspiele 2020. Sie finden unter Corona-Bedingungen unter dem Titel "Nah/Distanz" statt.

© Sebastian Gabsch PNN

Mascha Kaléko und Dota Kehr: Sie hätten sich gut verstanden

Eingebettet in eigene Texte – über Grenzen und Flüchtlingspolitik („Ich will einen Pass, auf dem Erdenbürger steht“), Rassismus („Wie diskriminiert man korrekt einen Rassisten?“) und immer wieder: die Liebe – singt Dota Kehr eigene Vertonungen von Mascha Kaléko. Poesie der 2010er trifft auf Poesie der 1930er Jahre. Was für die starken Texte von Dota Kehr spricht: Der Unterschied ist kaum zu hören. Kaléko flüchtete vor den Nazis, sehnte sich ein Leben lang nach ihrer Jugend in Berlin, dem Geburtsort von Dota Kehr. Der Humor, die Sehnsucht, die Poesie: „Wir hätten uns gut verstanden, glaube ich“, sagt Kehr. Wir glauben das auch.

Der Sopranist Philipp Mathmann ließ in der Friedenskirche die Töne wie Eistropfen aus höchsten Höhen fallen.
Der Sopranist Philipp Mathmann ließ in der Friedenskirche die Töne wie Eistropfen aus höchsten Höhen fallen.

© Sebastian Gabsch PNN

Musikfestspiele: Musik auf Distanz, körperlich spürbar

Mit den Musikfestspielen ging es am Samstag dann ins Offene – mit allen Konsequenzen. Das Frischluftkonzert im Park Sanssouci erinnerte an die schon fast vergessene Tatsache, dass sich Abstände, Maskenpflichten, Gehwege planen lassen, nicht aber: das Wetter. Es erinnerte auch daran, wie beflügelnd sich das anfühlen kann, dem zu trotzen. Openair ist herrlich gefährlich.

„Pan liebt Echo, Echo flieht vor Pan“ war das Konzert überschrieben: ein Spiel von Begehren und Verweigerung, Nähe und Distanz. Den Auftakt gibt, im sicheren Hafen der Friedenskirche, die Akademie für Alte Musik. Wie Musik Nähe und Distanz zugleich kann, wird hier gleich zu Anfang ganz körperlich spürbar: Zwei der drei Violinen in Biagro Marinis „Sonata a tre violini in ecco“ spielten in sicherer Distanz hinter den Zuschauern – und jagen einem doch Schauer über den Rücken. Auch der Sopranist Philipp Mathmann schafft das: Wie Eistropfen fallen die Töne aus Giulio Caccenis „Amarilli mia bella“ auf die von der Sommerschwüle durchhitzten Zuhörer. Glasklar, aus unerhörter Höhe. Elektrisierend beim Aufprall.

Auch die Capella de la Torre spielte im Säulenhof der Orangerie, an der Posaune Tural Ismayilov.
Auch die Capella de la Torre spielte im Säulenhof der Orangerie, an der Posaune Tural Ismayilov.

© Sebastian Gabsch PNN

Eine Gartenwanderung auf der Flucht vor Gewitterwolken

Die folgende Gartenwanderung ist durch die Guides kenntnisreich, aber auch etwas verplaudert – wie viel schöner wäre es gewesen, mit dem Nachhall der Musik allein durch die Gärten zu lustwandeln. Aber natürlich sollen anvisierte Ziele – Froschfontäne, Orangerieschloss, Marlygarten – sicher erreicht werden. Der Wolken wegen wird umdisponiert: Flötist Michael Schmidt-Casdorff spielt Jaques Hotteterres luftige „Echos“ im Säulenhof der Orangerie, ebenso wie Juliane Laake den Auszug aus „Echo du Danube“ von Johann Schenck. Danach sind die Wolkenberge bedrohlich nah, man wirft die Regencapes über und eilt durch die Nordischen Gärten zurück. Nicht schnell genug, auf dem Weg zur Friedenskirche holen Wolken und Donner auf.

In der Kirche aber harrt schon Trost: Violinistin Mayumi Hirasaki. Unbeirrt von der durchnässten Zuschauerschaft schraubt sie die Passacaglia g-Moll aus Bibers „Rosenkranz-Sonaten“ in unwirkliche Höhen. Virtuos und wütend, versöhnlich und tröstend. Das Donnergrollen draußen ist kaum noch zu hören. Und alles bunt und hell und leise und schön, auch hier.

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