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Malte Kreutzfeldt inszeniert „Der gute Mensch von Sezuan“ mit Alina Wolff als Shen Te atmosphärisch mit Jazzband. 

© Thomas M. Jauk

Neustart am Hans Otto Theater: Solange der Trompeter Luft hat

Brecht als Film Noir? Mit „Der gute Mensch von Sezuan“ in der Regie von Malte Kreutzfeldt hält ein neuer Sound Einzug am Hans Otto Theater: jazzig fesselnd, müde und nimmermüde zugleich. Die vierte Premiere unter der neuen Intendanz ist ein musikalisch starker Abend, der Lust macht auf mehr vom neuen Ensemble.

Dieser Brecht-Abend beginnt denkbar unerwartet: Wie ein früher Film von Louis Malle. Die Dunkelheit, der Regen, und vor allem der melancholische Jazz, eine klagende Trompete, von süßer Erschöpfung getriebenes Schlagwerk: All das erinnert stark an „Fahrstuhl zum Schafott“. Auch die Bühne (Malte Kreutzfeldt) ist atmosphärisch nah am Film Noir: ein schwarzer Schlund, bestehend aus zwei knöchelhoch mit Wasser gefüllten Becken, ganz hinten eine Treppe. Oben: das Jazzquartett um Martin Klingeberg. Dessen Livemusik ist der voranpeitschende Puls des Abends, wo man sie lässt. Wo sie nachlässt, geht ihm die Kraft aus. Später dann.

Zunächst aber bleibt festzuhalten: Mit „Der gute Mensch von Sezuan“ in der Regie von Malte Kreutzfeldt, der vierten Premiere unter der neuen Intendanz von Bettina Jahnke, hält ein Sound im Hans Otto Theater Einzug, der so hier noch nicht zu hören war. Düster, fesselnd, fatalistisch, müde und nimmermüde zugleich. Eine Musik, die sagt: Es muss weitergehen, solange der Trompeter Luft und der Mensch Kraft hat. Dass überhaupt ein Brecht-Stück am Hans Otto Theater zu sehen ist, kann ebenfalls fast als Novum in Potsdam gelten – von vier „Dreigroschenopern“ und einem Liederabend unter Tobias Wellemeyer einmal abgesehen.

Schauspieler zeigen, was sie gesanglich drauf haben

So schön es ist, dass das jetzt anders wird: Der Abend erinnert doch auch daran, warum Brechts Lehrstücke so zögerlich behandelt werden. Freilich, die verwendeten Songs („Die Ballade vom Wasserrad“, „Über den Selbstmord“) gehen auch heute durch Mark und Bein, und einige der neuen Ensemble-Mitglieder zeigen hier, was sie gesanglich draufhaben. Alina Wolff, Guido Lambrecht, Kristin Muthwill: Von ihnen allen wird man gern mehr hören. Das Lehrstückhafte aber, der als Parabel offensiv durchdeklinierte, unmögliche Versuch, gut zu sein, wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse es nicht sind, das bleibt heute schwer zu vermitteln. Zumindest dann, wenn man, wie Malte Kreutzfeldt, die Parabel sich inszenatorisch nicht vom Leib hält, sondern sie in ihrem Ansinnen – ein Lehrstück! – so ernst nimmt.

Mit dem "Gutes tun" geht die Misere los

Shen Te ist Prostituierte in der Hauptstadt von Sezuan. Die Stadt wird, siehe Bühnenbild, seit Langem von Überschwemmungen heimgesucht. Gottesfürchtige Bürger wie Wasserträger Wang (stimmlich Rio-Reiser-stark: Moritz von Treuenfels) legen das als Folge mangelnder Gottesfurcht aus. Unsinn, finden die drei Götter selbst, die die Stadt aufsuchen: Die Menschen ließen den Staudamm verfallen. Shen Te nimmt die ordentlich mafiös aussehenden Götter (die Neuzugänge Andreas Spaniol, Jan Hallmann, Hannes Schumacher) bei sich auf – und qualifiziert sich so zu dem „guten Menschen“, den die Götter suchten. Als Lohn erhält sie Geld für einen eigenen Tabakladen. Hier will sie Gutes tun, und so geht die Misere los.

Denn sobald Shen Te den Laden hat, macht sich die Teppichhändlerin (nochmals Kristin Muthwill) mit Mann und Kind hier breit, und beim Ankauf des Ladens betrogen wurde sie auch: Nun soll sie doppelt zahlen. Um den neuen Laden nicht gleich wieder zu verlieren, erfindet sich die gutmeinende Shen Te ein geschäftstüchtiges Alter Ego: ihren Onkel Shui Ta. Der zögert nicht, die Schmarotzer aus dem Laden zu werfen und hat auch sonst die kapitalistische Ader, die es braucht, um in der Parabel-Welt Brechts zu bestehen. Das geht gut, bis Shen Te sich in den arbeitslosen Flieger Sun (Guido Lambrecht) verliebt – und alles Gewonnene für ihn hergibt.

Starkes Debüt von Guido Lamprecht

Guido Lambrecht, das erste Mal in Potsdam zu sehen, spielt Sun als zunächst Lebensmüden, den Strick schon in der Hand, dann im Wechsel als weichen Verführer und knallharten Kalkulierer. Dass man nie weiß, was er denn nun wirklich ist, ist stark. Ein bisschen mehr von dieser Ambivalenz würde auch Shen Te guttun: Nur leider, so hat Brecht das aufgeschrieben, darf sie immer nur gut oder böse sein, schwarz-weiß, und die Regie hilft ihr da nicht raus. Alina Wolff hat für beide Facetten die jeweilige Stimme, die Körperhaltung parat, wechselt virtuos hin und her - und muss doch immer Sieger oder Verlierer sein. Am Ende Letzteres.

Nach der Pause überlässt die von enttäuschter Liebe verhärtete Shen Te ihrem Onkel den Platz, der hier Big Business aufzieht: eine Tabakfabrik. Shui Ta wird zum Zigarre rauchenden Plantagenbesitzer – und der Jazz weicht illustrierendem Sklavengeraune. Hier hat der Abend seine größten Längen, dem Stück geht der (musikalische) Gegenpol verloren. Die ohnehin als Witzfiguren angelegten Götter werden zu nackten Menschlein – gegen die sogar der brave Wasserträger Wang aufbegehrt. Eine etwas mühsam erkämpfte, erwartbare Pointe ist das, aber sie wirkt trotzdem. Den müden, nimmermüden Jazz nimmt man im Kopf mit nach Hause. Und die Lust, mehr von diesem neuen Ensemble zu sehen, auch.

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"Der gute Mensch von Sezuan" gastiert am 12.10. im Brandenburger Theater, am 6.11. im Graf-von-Zeppelin-Haus in Friedrichshafen und am 10.11. im Kleist-Forum in Frankfurt/Oder. Im Großen Haus des Hans Otto Theater ist es erst wieder am 21.10. um 15 Uhr zu sehen.

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