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Neustart am Hans Otto Theater: Der ganz banale Kapitalismus

Am Samstag eröffnet Bettina Jahnke mit einer Doppelpremiere ihre erste Potsdamer Spielzeit. Eines der Stücke ist von Thomas Köck, der sich sprachgewaltig an das vielleicht wichtigste Thema unserer Zeit wagt: den Klimawandel.

Der österreichische Autor Thomas Köck ist kein Mann für kleine Themen. Schon seine Titel zeigen das. Das Stück von ihm, das heute als eines von zweien Bettina Jahnkes erste Spielzeit am Hans Otto Theater eröffnen wird, heißt: „paradies spielen“. Es ist der Abschluss seiner Klima-Trilogie „abendland. ein abgesang“. Köcks jüngster Erfolg in Wien hieß, unbescheiden: „Die Zukunft reicht uns nicht (Klagt, Kinder, klagt). Eine postheroische Schuldenkantate“. Die Uraufführung, die er gerade für das Hamburger Thalia Theater als Co-Regisseur vorbereitet, ist vergleichsweise schlicht „Berliner Republik“ betitelt. 

Zukunft, Klima, Abendland: Thomas Köcks Themen sind die großen, ganz großen. Das mag, irgendwie, für viele zeitgenössische Autoren stimmen, ihrem Selbstverständnis nach sowieso. Da werden dann oft Beziehungsgeflechte erzählt, und hier und da scheint eine politische Dimension durch. Bei Thomas Köck ist das andersrum: private Geflechte werden angerissen, das Politische steht unübersehbar im Vordergrund. Es geht Köck um den unguten Zustand der Welt, nichts weniger. 

Mit der Deutschen Bahn ins Nirgendwo

„paradies spielen“ Stück spielt in einem Zug der Deutschen Bahn – ein Zug auf dem Weg ins Nirgendwo, wie sich bald herausstellt: der Zugführer weigert sich, anzuhalten, später wird er zum Amokläufer. So braust der Zug dahin, an den Bahnhöfen vorbei, was die mitfahrenden Passagiere mit zunehmender Panik verfolgen. Ebenfalls treten auf: zwei chinesische Wanderarbeiter und „ein ausgebrannter Chor im ewigen ICE der Spätmoderne“. Wie Letzterer zu besetzen wäre? Thomas Köcks Idee: als Kinderchor. Wie überhaupt der Text auch gerne als Oper zu inszenieren sei, wenn möglich. 

Bei solchen Vorschlägen mag angesichts des begrenzten Etats, der für zeitgenössische Texte an deutschsprachigen Bühnen gemeinhin vorgesehenen ist, ein bisschen Koketterie im Spiel sein, die leicht als gute Portion Größenwahn missverstanden werden könnte. Köck aber denkt einfach groß, also schreibt er auch so. In „paradies spielen“ ist in den Regieanweisungen von bröckelnden Mauern die Rede, Risse durchteilen Räume, draußen „rauscht das ewige eis vorüber“, dann wieder steht der Zug „mitten auf einer theaterbühne vor vollem haus“. 

China oder Italien: Ähnliche Ausbeutung unter verschiedenen Vorzeichen 

Das Stück ist in Teilen selbst im ICE geschrieben worden, erzählt Thomas Köck am Telefon von Hamburg aus, wo er gerade probt. „Hätte ich ein richtiges Büro, dann wäre das ein Bahnabteil“, sagt er. Die ständige Bewegung, das Ein- und Aussteigen, das hat eine Energie, die ihm gefällt. 

Zuerst aber war beim Schreiben nicht der ICE da, sondern das Motiv der beiden chinesischen Wanderarbeiter, die im Stück vorkommen. Erst im smogverseuchten Zhengzhou in der chinesischen Provinz Henan, wo sie Lithium-Ionen-Akkus herstellen, dann als illegale Geflüchtete irgendwo am italienischen Mittelmeer. Die bittere Pointe: Die gesundheitsschädigenden Arbeitsbedingungen, die sie hier finden, gleichen denen, vor denen sie geflüchtet sind. Nur dass die Chinesen nun unter dem Label „Made in Italy“ produzieren – und als Illegale „zum Abschuss freigegebenes Leben sind“, sagt Köck.

Ähnliche Ausbeutung unter verschiedenen Vorzeichen mit dem immer gleichen Ziel, Profitmaximierung: Das war für Köck der Ausgangspunkt beim Schreiben. Er nennt es: „den ganz banalen Kapitalismus“. Und der schert sich nicht um Kollateralschäden, ob verbrauchte Menschen oder vernichtete Umwelt. Hauptsache, die Produktion geht weiter.

Übers Musikmachen zum Theatermachen: Die Musikalität ist geblieben

Thomas Köck ist in Oberösterreich aufgewachsen. „Ich bin ein Arbeiterkind“, sagt er. Das Berufsbild „Dramatiker“ gibt es in seinem Umfeld in dem Städtchen Steyr, wo er 1986 zur Welt kommt, nicht. Ins Theater geht er zum ersten Mal erst mit Anfang 20, als er nach Wien gezogen ist, zum Philosophiestudium. Keine Liebe auf den ersten Blick, das Theater und er begegnen sich zunächst „höflich distanziert“, wie er sagt. Zum Theatermachen kommt er über die Musik. „Die Lust am Komponieren, am Texteschreiben, die Teamarbeit, all das habe ich in meiner Arbeit als Musiker kennengelernt.“ 

Und die Musikalität, sie ist in seinen Texten geblieben. In den rhythmisch genau gefeilten Sätzen, die nie nur Alltagssprache sind. In dem Soundtrack, den er bei jedem Stück als Empfehlung mitliefert (für „paradies spielen“: Max Richter, Einstürzende Neubauten, Antonio Vivaldi). Und in dem Element des Chors, den Köck so gern einsetzt, „weil man nicht hinterfragt, was er sagt.“ Was, natürlich, nicht bedeutet, dass Chöre immer recht haben – sondern, dass man sie hinterfragen muss. Ob die auf der Bühne oder die auf der Straße. In „paradies spielen“ sagt dieser Chor einmal: „dem menschen ist der mensch ziel/ der natur auslöschung ihrer selbst“. 

Im Autorenkollektiv gegen die Ökonomie des Individualismus 

Mit Mitte 20 fängt Thomas Köck an, für Performances Texte zu schreiben, experimentiert mit Prosa. Er arbeitet als Lektor, als Übersetzer. 2012 schreibt er sich im Studiengang Szenisches Schreiben an der Berliner UdK ein. Schon für seinen Erstling, „jenseits von fukuyama“, erhält er 2013 den Osnabrücker Dramatikerpreis. Und so geht es dann weiter: 2014 der Nachwuchspreis des Else-Lasker-Schüler-Preises. 2015 Hausautor in Mannheim. 2016 der Kleist-Förderpreis. 2018, für „paradies spielen“, der Mülheimer Dramatikerpreis. 

„Die Erfolge hat man als Autor allein, die Misserfolge auch“, sagt Thomas Köck. Umso wichtiger ist da der Austausch mit anderen Autoren, gerade in Zeiten wie diesen. Die Webseite www.nazisundgoldmund.net ist ein Ort, an dem das sichtbar wird. Laut Selbstauskunft versteht sie sich als „vielköpfiges poetologisches Monstrum, das die Entwicklungen und Aktionen der Europäischen Rechten und ihrer internationalen Allianzen kritisch beobachtet“. 

Was Thomas Köck schön finden würde

Neben Thomas Köck plublizieren hier Jörg Albrecht und Gerhild Steinbuch – in den 1980er Jahren geborene Autoren, die vor allem für das Theater schreiben und sich, so nennt Köck das, gegen die „Ökonomie des Individualismus“ wenden. Ein neues Autorenverständnis, eine Generation von Autoren, die auf ihre Zeit mit einem neuen kollektiven Anspruch reagieren? Vielleicht, sagt Köck. Das müsse man erst noch sehen. Aber: „Schön wäre es.“
Und noch etwas würde Thomas Köck schön finden. „überlegen sie dreimal bevor sie ins eigene verderben und auf die kleine bühne mit dem text laufen“, stellt er seinem Stück voran. Potsdam hat sich für die Reithalle entschieden. Diesmal. 

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Die Spielzeiteröffnung:

Am heutigen Samstag, dem 22. September eröffnet die neue Intendantin Bettina Jahnke, die zuvor Intendantin am Landestheater Neuss war, ihre erste Spielzeit am Hans Otto Theater. Um 17 Uhr ist auf den Terrassen des Großen Hauses ein Künstlerisches Entree mit symbolischer Türöffnung angekündigt. Um 18 Uhr hat dann im Großen Haus „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ von Eugen Ruge in der Regie von Bettina Jahnke Premiere. Um 21 Uhr folgt in der Reithalle die Premiere von Thomas Köcks „paradies spielen (abendland. ein abgesang)“ in der Regie von Moritz Peters. Beide Vorstellungen sind bereits ausverkauft. Um 22.30 Uhr spielen dann bei freiem Eintritt die 17 Hippies auf, zur großen Spielzeit-Eröffnungsparty. 

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16 neue Schauspieler bringt Bettina Jahnke mit nach Potsdam. Die PNN-Serie mit Kurzporträts der Neuen am Hans Otto Theater finden Sie hier.

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