zum Hauptinhalt
Ohne geht es nicht. Druck kann durchaus eine positive Sache sein, finden Paula E. Paul und Sirko Knüpfer von Kombinat. Manchmal sogar lebenserhaltend.

© Sebastian Gabsch

Neues Stück des Potsdamer Duos Kombinat: Intensiviere dich

Mit dem neuen Stück „Druck“ will das Potsdamer Künstlerduo Kombinat einem alten Wort seinen gehetzten Beigeschmack nehmen. In den Hauptrollen: Vier Tänzer – und drei Nadeldrucker

Wann hat das eigentlich begonnen, dass die Menschen bei dem Wort „Druck“ zusammenzucken? Ob Leistungsdruck, Arbeitsdruck, Zeitdruck: Eine schöne Sache ist das nicht. Wer heute von „Druck“spricht, meint meistens Stress. Erwartungen, die nicht getroffen werden können, Ziele, die nicht erreicht werden. Kein Wunder vielleicht in Zeiten, da sogar besagtem Druckempfinden noch mit Maßnahmen wie Yoga-Kursen beigekommen werden soll, die letztlich auch nur der Selbstoptimierung dienen. Damit sie wieder schnurrt, die Maschine Mensch. Damit sie weiter produziert.

„Druck“, so heißt die neue Arbeit von Paula E. Paul und Sirko Knüpfer, die am Freitag in der fabrik Premiere feiern wird. Die beiden Künstler, die seit 2009 als das Kollektiv Kombinat zusammenarbeiten, können sich noch an Zeiten erinnern, als man den Druck anders wahrnahm. Als Druck für etwas Positives stehen konnte. Für Kraft, für Power. Darin waren sie, die Ostsozialisierten, sich schnell einig, als sie „Druck“ zum Thema machten. Der gehetzte Beigeschmack tauche tendenziell zuerst bei Westsozialisierten auf, sagen sie – bei denen, könnte man ergänzen, die das Mensch-als-Produktionsmaschine-Prinzip im Blut haben. „Mehr Druck in die Stimme geben, das ist als Regieanweisung für Sänger oder Schauspieler zum Beispiel normal“, sagt Paula E. Paul. Heißt also nicht automatisch: Hetze dich. Sondern, motivierend: Intensiviere dich.

Es war daher schnell klar, dass die neue Arbeit viel mehr behandeln würde als nur die beständig der eigenen Optimierung hinterher hechelnde Gesellschaft im Produkte- und Produktionswahn. Eher zielen sie in Richtung Gegenteil: „Wir wollen mit Kombinat ja immer auch einen Gegenentwurf aufmachen“, sagt die Choreografin Paula E. Paul. Denn: „Ohne Druck passiert gar nichts.“ Künstler, Autoren, Journalisten kennen das: Erst vor dem Horizont einer Deadline werden viele aktiv. Dann staut sich soviel Druck auf, dass irgendetwas am Ende dabei herauskommen muss.

Der Medienkünstler Sirko Knüpfer denkt sogar noch grundsätzlicher über die Sache nach: „Ohne Luftdruck würden wir Menschen platzen.“ Ihn fasziniert, wie alt das Wort ist, wie alt also auch die Idee, die dahinter steht: die Last von etwas Unsichtbarem – etwas, sagt er, „das man nur über Umwege beschreiben kann“. Das Wort „Albdruck“ mag heute aus der Mode gekommen sein, Hans Falladas aber nannte in den späten 1940er-Jahren noch einen Roman danach, in dem der Protagonisten vom Zweiten Weltkrieg in albtraumhafter Weise heimgeholt wird.

Auch die konkreteste Bedeutungsebene des Drucks wird bei Kombinat auf der Bühne vorkommen – und sogar für den Sound des Abends sorgen: drei Nadeldrucker. „Unser Ensemble“ nennt sie Tobias Unterberg zärtlich. Der Cellist, der unter dem Künstlernamen „B. Deutung“ bei der Band „The Inchtabokatables“ spielte, stieß vor gut zwei Jahren für die Produktion „Mein Touristenführer“ zu Kombinat. Jetzt komponierte er für „Druck“ Tonabfolgen für die Drucker, deren Bewegungen über ein Keyboard ausgelöst werden können. Jeder Drucker erhält so eine eigene Stimme: „Einer ist Drummer, einer Bratsche und einer R2-D2“, sagt er. Zur Erinnerung: R2-D2, das ist der kleine Roboter aus „Star Wars“. Der Scanner auf der Bühne ist Singstimme und Dirigent zugleich. Zusammen sollen sie dem, was gemeinhin als Alltagslärm abgetan wird, ihre klangvolle Seite entlocken. Bürogeräusche zu Liedgut machen. Plastemaschinen zu Poesie. Und den Menschen etwas weniger maschinell?

Unter dem Titel „Überdruck“ hatte Kombinat im Januar dieses Jahres eine Vorgängerarbeit von „Druck“ im T–Werk und im Rechenzentrum vorgestellt. „Überdruck“ war eine künstlerische Kombination aus Kurzfilmen, die Interviews mit Druckexperten aller Art (vom Zeitungsdrucker bis zur Yogalehrerin) zeigten, und einem Apparat, mithilfe dessen sich Luftballons aufblasen ließen.

Statt vorrangig technischer Tüftelei soll im neuen Stück jetzt das Menschenmaterial wieder in den Mittelpunkt rücken. Statt Worten, die alles auserzählen, offene Bewegungen. „Worte sind klar, Bewegung ist ambivalent“, sagt Paula E. Paul. „Eine Berührung kann zum Beispiel zärtlich und brutal zugleich sein.“ Kombinat hat sich dafür erstmals vier professionelle Tänzer mit an Bord geholt, mit denen sie gemeinsam Assoziationen zum Thema erarbeitet haben. Vier Tänzer, drei Nationalitäten. Drei? Nein, vier, einigen sich Knüpfer und Paul. „Immer dieser Zahlendruck.“ Lena Schneider

„Druck“, Uraufführung 8.9. um 20 Uhr in der fabrik, Schiffbauergasse 10

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false