zum Hauptinhalt
Posaunistin Polina Tarasenko gibt im leeren Nikolaisaal beim interaktiven Zoom-Konzert in der Reihe "Jetzt mit Euch!" ihr Potsdam-Debüt

© Philippe Schmidt

Neues Format am Nikolaisaal Potsdam: Zoom-Konzerte: Unbändige Spielfreude

„Jetzt mit euch!“ heißt die neue Programmreihe des Nikolaisaals Potsdam: Interaktive Konzerte, jeden Freitag live gespielt, übertragen per Zoom. Als nächste mit dabei ist die Posaunistin Polina Tarasenko.

Potsdam - Nie war es wichtiger, neue Wege einzuschlagen, um Kontakte zu halten als jetzt, in Zeiten der Pandemie. Und auch wenn die modernen Technologien dabei mehr als je zuvor den Schritt vorgeben, kann die Musik wie zu allen Zeiten dabei eine verbindende Rolle einnehmen. Mit einer neuen Veranstaltungsreihe zeigt der Nikolaisaal Potsdam, wie das gehen kann: Frei nach der alten Devise „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“ wurde hier eine Reihe mit interaktiven Livekonzerten gestartet. Unter dem Motto: „Jetzt mit euch!“ 

Mit Bild oder ohne? Jeder Zuschauer entscheidet selbst

Möglich wird die interaktive Kommunikation durch den Streamingdienst Zoom: Zuhörer schalten sich mit Bild zum Konzert im Saal und können live kommentieren. Und wer seine Wohnzimmerwand nicht öffentlich machen mag, kann sich per Youtube oder Facetime dazuschalten. „Jeder hat also die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wie viel er oder sie von sich preisgeben möchte“, erklärt Programmdirektor Michael Dühn, der das neue Format ins Leben gerufen hat. Eintrittspreise werden nicht erhoben, aber ein freiwilliger Obolus wird gern gesehen. Um den entsprechenden Link für die Veranstaltung zu erhalten, ist eine Anmeldung über die Webseite des Nikolaisaals notwendig. 

Solange der Lockdown andauert, kann man sich nun also immer freitagabends um 20 Uhr vor den Bildschirm setzen und womöglich näher als je zuvor mit den Musikerinnen kommunizieren. Wie das aussehen kann, zeigte das Auftaktkonzert mit der multikulturellen Freiburger Band El Flecha Negra: Nicht nur auf der Bühne des ansonsten leeren Nikolaisaals ging die Post ab, sondern auch in den Wohnzimmern von über einhundert Zuschauern. Zuhörer tanzten zuhause zur Musik und stießen mit den Musikern an. Im Chat konnten Fragen gestellt und gleich beantwortet werden.

Ein Multitalent aus der Ukraine 

Am heutigen Freitag tritt mit der erst 19-jährigen Polina Tarasenko ein höchst erstaunliches musikalisches Multitalent auf. Für die junge Frau aus der ukrainischen Stadt Cherson ist dieses Konzert eine Premiere im doppelten Sinne – als virtuelles Ereignis und als Debüt im Nikolaisaal. Wie Michael Dühn sie gefunden hat, weiß Polina Tarasenko gar nicht genau. Eines Tages rief er sie einfach an und lud sie zu seiner neuen Konzertreihe in Potsdam ein, erzählt sie im Gespräch. „Sie ist schon jetzt eine faszinierende Künstlerin mit einer großen Bühnenpräsenz“, sagt Michael Dühn. 

Im Gespräch mit Polina Tarasenko wirkt es tatsächlich so, als sei ihr mit Hilfe von einigen guten Lehrern alles zugeflogen. Auch die digitalen Medien haben dabei eine nicht unwichtige Rolle gespielt. Mit fünf Jahren begann sie in im Jazz-Kinderkollektiv ihrer Heimatstadt Schlagzeug zu spielen. 

Unterricht per Skype und dann in Moskau

Wenig später folgte das Saxophon, dann lernte sie auf Anregung ihres Lehrers, der eine Dixieland-Mädchen-Gruppe gründen wollte, Posaune. In der Musikschule kamen noch Klavier und Musiktheorie hinzu. Da es in ihrer Heimatstadt an guten Lehrern mangelte, suchte ihre Mutter nach dem Tod ihres ersten Lehrers einen neuen im Internet. 

Sie fand den russischen Posaunisten Alexandr Nyankin in Taiwan, der Polina ein Jahr lang per Skype Unterricht erteilte und sie auf den Eintritt in der Moskauer Musikspezialschule vorbereitete. Dort kam auch noch die Trompete hinzu. Nachdem auch ihr Moskauer Lehrer starb, konnte Nyankin dessen Posten übernehmen und so in seine Heimat zurückkehren. 

Eine kurze Folter für unbegleitete Posaune

Schließlich fand Polina ihren derzeitigen Professor Jonas Bylund von der Musikhochschule Hannover: zunächst auch eher zufällig über die Teilnahme an einem Wettbewerb – einer von vielen, die ihre Karriere bis heute begleiten. Überall fiel sie mit Talent und unbändiger Spiellust auf. Wie die Zwölfjährige als Solistin beim Kinderorchester-Festival von Iguazú in Argentinien leichtfüßig, taktsicher und virtuos von Posaune über Saxophon und Trompete zum Schlagzeug wechselt, ist auf einem von vielen Youtube-Videos anzusehen und – vor allem – anzuhören. 

In Potsdam präsentiert Polina Tarasenko eine bunte musikalische Mischung mit persönlichen Reminiszenzen – von ihrem Beginn im Dixieland über Jazz und Klassik bis hin zu „Doolallynastics“. Dieses kurze Stück mit dem kuriosen Untertitel „Eine kurze Folter für unbegleitete Posaune“ ist zwar recht unkonventionell, aber durchaus melodiös und stellt den Charakter des uralten Zuginstruments ins helle Rampenlicht. Denn als Solistin ist die Posaune nur höchst selten zu erleben. Das verleiht dem interaktiven Gesprächskonzert mit Polina Tarasenko ganz besonderen Reiz – und erhöht womöglich noch den angesagten Widerstand gegen die Unbilden unserer Zeit

Babette Kaiserkern

Zur Startseite