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Fotoausstellung in der Potsdamer Villa Schöningen: Die drei Karrieren des Tony Vaccaro

Er fotografierte den Krieg, die Nachkriegszeit und die Stars. Die Villa Schöningen zeigt 120 Werke des Amerikaners Tony Vaccaro

Von Helena Davenport

Ein Soldat hat sich vor ein kleines Mädchen gekniet, hält sie fest an beiden Oberarmen und küsst sie auf die Wange: ein „Kuss der Befreiung“, mitreißend und herzlich, aufgenommen in Frankreich, 1944. Ein anderer Soldat hat den Krieg nicht überlebt. Auf der Fotografie von 1945 hat der Schnee seinen toten Körper nahezu vollständig bedeckt – obwohl sein Gewehr nur einen halben Meter von ihm entfernt liegt, so als wäre es gerade eben erst passiert.

Seine Karriere begann im Krieg

Tony Vaccaros Schwarzweißbilder vom Zweiten Weltkrieg sind schonungslos ehrlich. Vielleicht auch deswegen, weil der New Yorker selbst als Soldat in der 83. Infanteriedivision involviert war. Seine Argus C-3, seine erste Kamera, hatte er immer dabei. Hier beginnt seine Fotokarriere: Die Kameraden beim Marschieren oder ein Rückkehrer, der vor Trümmern steht und Halt auf einer Mauer sucht. Den Kopf hat er auf sein Köfferchen gestützt – mehr ist ihm nicht geblieben.

Die Villa Schöningen zeigt ab kommendem Donnerstag über 120 Fotografien aus den so verschiedenen Schaffensperioden Vaccaros. Später fotografierte der heute 95-Jährige die Großen und Berühmten, die Stars, ob Maler, Künstler oder Schauspieler. Am 2. September wird Vaccaro selbst zu Gast in seiner Ausstellung sein. Anlass ist die Premiere des Dokumentarfilms „Ein Leben für den Augenblick“, der sein bisheriges Lebenswerk zusammenfasst. Aus diesem Grund feiert die Villa Schöningen ein Sommerfest, dessen Eintritt frei ist.

Er entwickelte seine Bilder in den Helmen der Kameraden

Die Potsdamer Schau ist in sechs Teile gegliedert, jeder Raum zeigt eine andere Werkphase. Fast fühlt es sich so an, als würde man durch Vaccaros Leben spazieren. Seine Kriegsbilder, die er nachts in geliehenen Helmen seiner Kameraden entwickelt hat, machen den Anfang. Oft sind es Schnappschüsse, Momentaufnahmen, und doch hat Vaccaro die Ausschnitte so gewählt, dass die Bildsprache eindeutig ist. Auf manchen Aufnahmen hat er den Tod nahezu in ästhetischer Weise eingefangen. Und bei einigen Fotografien ging etwas beim Entwickeln schief, oder sie wurden nass beim Transport. Jedenfalls sind auf ihnen Spuren von Tropfen, die wie Tränen über das Abgebildete laufen. Erst in den 1990ern präsentiert der Amerikaner seine „Shots of War“ der Öffentlichkeit. In Frankreich wird er zum Ritter der Ehrenlegion ernannt und in Deutschland erhält er das Bundesverdienstkreuz.

In den Staaten geboren, verbringt Vaccaro seine Kindheit in Italien. Bis 1939 lebt er im Heimatdorf seiner Eltern, die er schon als kleiner Junge verliert. Anfang der Vierziger kehrt er dann nach New York zurück und besucht die High School in New Rochelle, wo er auch in den Camera Club eintritt. Das Dorf seiner Familie besucht er erst später wieder, nach dem Krieg, mit der Idee, es abzulichten. Die entstandenen Fotos, die nun im zweiten Raum der Schau ausgestellt werden, zeigen ein Leben auf dem Land, das von harter Arbeit geprägt ist. Doch die Menschen sehen zufrieden aus. Sie lachen, scheinen stolz zu sein.

Die Nachkriegszeit in Deutschland

In Europa bleibt Vaccaro bis 1949. Für die Zeitung der US-Army, The Stars and Stripes, dokumentiert er das Chaos und den Umbruch in Deutschland, bis zur Gründung der Bundesrepublik. Seine Bilder bringen zum Ausdruck, wie das Leben nach dem Krieg weitergeht. Ein Bild zeigt das zerstörte Berlin von oben. Aber auch schöne, wenngleich skurrile Momente fängt er ein: Wie etwa die Seiltänzer in Frankfurt, deren waghalsige Vorstellung das Publikum von Trümmerbergen aus verfolgt. In Darmstadt findet eine Stripshow statt und anderswo hat „Ein Fräulein auf Rollschuhen“ einen ziemlich kurzen Rock an.

In den Fünfzigern geht Vaccaro zurück in die Vereinigten Staaten. Seine dritte Karriere beginnt: Er arbeitet als Fashion- und Porträtfotograf für Zeitschriften wie Flair, Look oder Life. Von nun an macht er auch Farbfotos. Er lichtet Grace Kelly in pastelligen Tönen ab, fotografiert Shirley Maclaine mit Gänseblümchen im Mundwinkel, Jackson Pollock hingegen in nachdenklicher Miene. Marcel Marceau hat sich hinter Fässern versteckt und Pablo Picasso die Arme vor der Brust verschränkt. Die Liste der Porträtierten ist unendlich lang.

Vaccaro experimentiert mit Stilmitteln

In der Ausstellung, die etwas dicht gehängt ist, fällt es schwer, den Blick auf nur eine Fotografie zu lenken. Kein Porträt ähnelt dem anderen. Kein Vaccaro-Stil hat sich über die Gesichter gelegt. Jedes Foto ist individuell gestaltet. Vaccaro scheint sich nie zufrieden zu geben, das machen auch seine Modefotografien deutlich. Hier experimentiert er mit verschiedenen Stilmitteln. 1963 hat er kurzerhand Henri Rousseaus Bild „Die schlafende Zigeunerin“ nachgestellt. Das Model liegt am Sandstrand, während ein Löwe sie aufsucht. Kein echter natürlich, letzterer ist Teil der Tapete – ein Specialeffect aus den 1960ern.

Der letzte Raum der Schau veranschaulicht Vaccaros Liebe zu seiner Heimatstadt New York. Hier wird noch einmal klar, welche Bedeutung die Arbeit des Fotografen hat. Er war bei der Planung des World Trade Centers dabei, hat dann die fertigen Wolkenkratzer festgehalten und schließlich 2001 die Zerstörung fotografiert. Für eine Arbeit hat er zwei Fotos übereinander belichtet – die Hochhäuser erscheinen nun als Geister in einer Welt, in der es sie eigentlich nicht mehr gibt.

„A Life for Moments“, Tony Vaccaro, 9. August bis 9. September, Villa Schöningen, Berliner Straße 86. Am 2. September von 12 bis 18 Uhr ist der Fotograf selbst zu Gast

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