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Neue Musik in Potsdam: Der Vermittler

Thomas Gerwin will Neue Musik in Potsdam verankern und die Intersonanzen erweitern. Jetzt müssen nur noch 10 000 Euro her

Potsdam - Einfach und vergnüglich soll es zugehen, ohne Angst vor schrägen Tönen. Ein Festival, das seine ihm oft zugeschriebene Nische verlässt. Gern erzählt Thomas Gerwin, wie im vergangenen Jahr bei den Intersonanzen zwei junge Männer im Kunsthaus Sans Titre auftauchten, nicht ahnend, dass dort gerade das Festival für Neue Musik stattfand. Sie wollten sofort wieder kehrt machen, ließen sich aber doch zum Zuhören animieren. Das Ergebnis: Sie kamen am nächsten Abend wieder.

Es bedarf also eines Türöffners zu den ungewohnten Werken zeitgenössischer Musik. Und als diesen versteht sich das Festival Intersonanzen. Zum zweiten Mal findet es unter der Leitung des festivalerfahrenen Komponisten Thomas Gerwin statt. Der möchte das Brandenburgische Fest der Neuen Musik erstmals auf zehn Tage ausweiten und im Mai platzieren: vor den Musikfestspielen. Der September habe sich als zu festivalüberladen erwiesen.

Vertracke Situation

Nun soll der Frühsommer neue Geister wecken: Dafür werben allein 42 Uraufführungen. Insgesamt stehen 14 Konzerte mit 71 Werken auf dem Programm der Intersonanzen, die vom 25. Mai bis 3. Juni das Sans Titre drinnen und draußen in Musik packen. Das hört sich höchst ambitioniert an – trifft aber auf eine finanzielle Realität, die den ideenreichen und sattelfest wirkenden Festivalchef etwas unruhig werden lässt. Von den beantragten 20 000 Euro Projektförderung bei der Stadt wurden nur 10 000 Euro bewilligt. Auch andere Antragsteller stehen vor einem ähnlichen Dilemma: wie die Bachtage, das Neue Globe Theater oder das Ensemble I Confidenti. Nicht alle Wünsche können von den rund 200 000 Euro, über die die Jury in der Projektförderung jährlich entscheidet, erfüllt werden.

Für die einzelnen Kulturträger ist es eine vertrackte Situation. Vieles ist vorbereitet und lässt sich wohl nur unter Qualitätseinbuße oder abgespeckt realisieren. Darüber möchte Thomas Gerwin noch nicht nachdenken. „Ein Festival ist wie eine Riesenkomposition, wie ein Gesamtkunstwerk, in der ganz viele Elemente ineinandergreifen.“ Wenn der gebürtige Kasseler über die Intersonanzen 2018 spricht, über das Zusammenspiel von Musikern und Publikum, Innen- und Außenräumen, Wandel- und Sitzkonzerten, klingt es bereits sehr „stimmig“. „Stimmt!“ ist auch die Überschrift des Festivals. Das meint neue Arten musikalischer Stimmung ebenso wie das Stimmige im Gehörten. Gerwin weiß, wovon er spricht: Schließlich ist er seit 30 Jahren unterwegs, um Festivals zu etablieren. Nach seinem Studium der Gitarre, Musikwissenschaft und Komposition entwickelte er in Tübingen die Raumkunst-Tage, später in Berlin das Internationale Klangkunstfestival. Auch in Tokio und Sydney organisierte er im Auftrag des Goethe-Instituts Festivals für Neue Musik.

Auch neue Kompositionen können berühren

Bei den Intersonanzen ist er inzwischen zehn Jahre dabei, zuerst als Komponist, dann auch als Verbandsmitglied und schließlich als Cheforganisator. Es sei ihm vor allem wichtig, Vorurteile gegenüber der Neuen Musik abzubauen und Überzeugungsarbeit zu leisten. Er ist ein Vermittler. „Unsere Lehrer sagten noch: ,Wir müssen uns abheben’. Diese bewusste Abkehr von der Musik der Väter war nach dem Zweiten Weltkrieg gewiss eine verständliche und durchaus sinnvolle Reaktion. Heute, in der globalisierten Welt, geht es aber eher um das differenzierte Zusammenführen.“ Bei den Intersonanzen 2018 sind die Partnerländer Polen und Russland eingebunden. Helmut Zapf, der ein Kompositionsstipendium des Landes Brandenburg erhielt, schrieb ein Stück für das „Moskau-Ensemble“, das nun seine Uraufführung bei den Intersonanzen erlebt. Die Gäste spielen die Programme auch bei sich zuhause. Jedes Konzert wird von Gesprächen begleitet, kündigt Gerwin an. Auch das sei neu. Und eine Ausstellung gehört ebenfalls zum Konzept. Die widmet sich den Partituren, den Notenbildern. Von jedem aufgeführten Werk wird eine Partiturseite gezeigt. Da darf man durchaus auf individuelle Handschriften gespannt sein. „Gerade auch wegen der Ausstellung wollen wir das Festival an zehn Tagen stattfinden lassen. So kann man auch innerhalb der Woche die Schau besichtigen. Und Musik gibt es immer dazu, drinnen und draußen. Die Konzerte an den beiden Wochenenden werden indes richtig inszeniert. Seine eigene Komposition hat Gerwin schon genau vor Augen, seine „Structurescape“, mit Klarinetten, Akkordeon und Zuspiel: raumgreifend und mit einem Schritt ins Freie. „Das Sans Titre ist ein schöner Ort zum Wandeln.“ Der Komponist ist sich sicher, dass auch neue Kompositionen sofort in Herz und Seele gehen können. „Die 12-Ton-Musik, in der es hieß, dass sie keine Harmonien haben darf, ist für uns eine unter vielen Methoden. Die Zeit, in der wir uns bewegen, ist total interessant. Es entstehen ganz neue Formen der Musik: begehbare Klanglandschaften, Performances oder Tele-Konzerte. Wie im vergangenen Jahr, als wir gemeinsam mit Musikern aus Toronto musizierten: Wir haben uns über Bildschirme gesehen und gehört. Und es war durchaus stimmig, trotz der kleinen Zeitverzögerung.“

Gerwin bleibt zuversichtlich

Der Verband für Neue Musik Brandenburg ist mit Projekten auch in den Schulen unterwegs, plant zudem mit der Musikschule Potsdam eine Zusammenarbeit. „Die Schüler möchten ihr Repertoire erweitern und wir könnten ihnen neue Literatur anbieten.“ Neue Musik sollte nicht nur einmal im Jahr als Festival über die Stadt hereinbrechen, findet er, sondern in festen Reihen an verschieden Orten zu jeder Zeit. Fest verankert in der Stadt.

Ab dem kommenden Jahr soll es einen richtigen Festivaltopf für die Intersonanzen geben, so Thomas Gerwin. In diesem Jahr muss er noch um den Etat kämpfen. „Es ist schwierig, einfach mal so ein paar Konzerte rauszustreichen. Mit den Honoraren kann ich auch nicht runter gehen, es sind schließlich hochkarätige Leute, die wir zu Gast haben.“ Der Gesamtetat beträgt 60 000 Euro, davon kommen 25 000 Euro vom Land und 12 000 vom Musikfonds. Aber auch das sei noch nicht ganz sicher. „Vielleicht haben wir unser Konzept etwas zu mutig gestrickt.“ Aber Thomas Gerwin bleibt zuversichtlich, dass sich irgendwo noch Türen öffnen. Nicht nur die zum Publikum.

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