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Hier kommt keiner rein. Alexander Janetzkos Foto "Mikwano Jjange" ist ein Stimmungsbild für die Coronapandemie. Es entstand allerdings schon 2018.

© Alexander Janetzko

Neue Kunst in Zeiten von Corona: Das Ende des Stillstands

Kinos und Theater sind noch zu, aber Potsdams Kunstszene erwacht wieder zum Leben. Ab Samstag sind gleich drei neue Ausstellungen zu sehen. Und eine neue Galerie öffnet.

Potsdam - Wie sähe sie aus, die Coronakrise, zusammengefasst in einem Bild? Vielleicht so: Drei Menschen in einem abgedunkelten Raum. Zwei stehen nahe beeinander, der Dritte hält Sicherheitsabstand. Alle drei tragen Masken. Im Hintergrund eine Tür: verschlossen natürlich. Hier kommt keiner rein. Und keiner kommt raus. Alle Zeichen stehen auf Stillstand.

Das Bild gibt es tatsächlich. Man kann das Foto ab dem 15. Mai im Kunstraum Potsdam besichtigen. Eigentlich hat es nichts mit Corona zu tun, ist lange vor der Krise entstanden. Und weit weg von hier: in Uganda. "Königsland" heißt die Ausstellung, mit der die Schiffbauergasse als einer von vielen Orten in Potsdam das Ende der Coronakrise einläutet. Nachdem einige Galerien schon Anfang Mai wieder ihre Ausstellungen wieder geöffnet hatten, folgte am 6. Mai das Museum Barberini, wo seitdem wieder Monets Landschaften bewundert werden können. Und im Potsdam Museum kann man sich seit dem 12. Mai wieder mit Lichtzauberer Karl Hagemeister auf Naturerforschung begeben. Mit Maske natürlich, mit Abstand - und, im Falle des Museum Barberini, nur mit Voranmeldung.

Corona hat unseren Blick verändert

Dennoch, es lässt sich verkünden: Potsdams Kulturleben ist am Erwachen. Ist durchaus noch eingeschränkt, aber in Bewegung. Am Wochenende folgt nun der nächste Schritt in Richtung Normalität: die ersten neuen Ausstellungen können besucht werden. Die im Kunstraum gezeigten Fotografien stammen von dem Berliner Alexander Janetzko, begleitet werden sie von Hinterglasmalereien des Cottbusser Künstlers Matthias Körner. Körner reist seit 30 Jahren regelmäßig nach Uganda, seit 2008 ist Janetzko mit dabei. Gemeinsam beobachten sie den dortigen Alltag: Kinder beim Spielen, Jugendliche beim Posen, Männer und Frauen beim Arbeiten. Menschen, die die beiden Künstler aus Deutschland mit den Jahren in ihre Leben gelassen haben.

Und obwohl all das nichts mit Corona zu tun hat, hat es doch mit Corona zu tun. Die afrikanischen Masken auf den Bildern erinnern plötzlich an die Masken, die einem im Stadtbild begegnen. Die Kinder, die auf einem der Fotos gemeinsam auf einen Fernsehbildschirm starren, erinnern an die Kinder, die in Zeiten des Home-Schoolings zuhause viel zu lange auf Bildschirme starren. Und wo auf den Fotos viele Menschen dicht zusammengedrängt stehen, durchzuckt es einen unwillkürlich: Dürfen die das?

Der Potsdamer Maler Wolfgang Liebert im Jan Bouman Haus im Holländischen Viertel. Hier sind erstmals die Bilder versammelt, mit denen er den Verfall des Viertels bis 1990 dokumentierte. 
Der Potsdamer Maler Wolfgang Liebert im Jan Bouman Haus im Holländischen Viertel. Hier sind erstmals die Bilder versammelt, mit denen er den Verfall des Viertels bis 1990 dokumentierte. 

© Andreas Klaer

Wolfgang Liebert im Jan Bouman Haus

Corona hat unseren Blick verändert. An Ausstellungen wie "Königsland" kann man diesen Blick testen, und muss gleichzeitig anerkennen: Es gibt noch so viel anderes als Corona. Auch davon erzählen die Fotos. Von Armut, Hunger, ganzen Vorstellungswelten, von denen wir hier in Europa keine Ahnung haben. Das erdet. Auch darum ist es so zu begrüßen, dass die hiesige Kultur wieder in Schwung kommt. Sie hilft, mehr zu sehen als das, was man tagtäglich sieht. Hilft, mehr zu sehen als sich selbst.

Auch das Jan Bouman Haus im Holländischen Viertel lenkt den Blick weg vom unmittelbaren Jetzt. Ab Samstag, dem 16. Mai ist im durchsanierten Museumsbau wieder das Viertel zu sehen, wie es einst aussah. Gezeigt werden Werke aus den Jahren 1986 bis 1991 von dem Potsdamer Maler Wolfgang Liebert. "Dinge, die gelebtes Leben zeigen, sind interessanter", sagte Liebert einmal, und solche "gelebten Dinge" sind auch die Sujets dieser Schau: das noch unsanierte Holländische Viertel aus den Jahren vor und kurz nach der Wende. Zwei Haushalte sind in dem Ausstellungsraum zugelassen.

Vor dem Abriss. Das von Knobelsdorff errichtete Haus musste 1988 einem Hubschrauberlandeplatz der neuen Klinik weichen. Wolfgang Liebert zeigt sie links im Bild.
Vor dem Abriss. Das von Knobelsdorff errichtete Haus musste 1988 einem Hubschrauberlandeplatz der neuen Klinik weichen. Wolfgang Liebert zeigt sie links im Bild.

© Andreas Klaer

Der liebende Blick des Bewahrens

Damals war das Viertel alles andere als ein Touristenziel, die Stadt hatte sich sogar mit dem Gedanken getragen, es völlig abzureißen. Bis der Architekt Christian Wendland 1974 zeigte, wie so ein saniertes Holländisches Haus aussehen konnte. Damit waren die Abrisspläne vom Tisch - was die Stadtverwaltung nicht davon abhielt, noch 1988 ein von Jan Bouman entworfenes, von Stararchitekt Knobelsdorff errichtetes Haus neben der Französischen Kirche abzureißen.

Wolfgang Liebert hat das Gebäude gemalt, kurz dem Abriss. Im Hintergrund gluckt schon das neue Klinikgenäude, für dessen Hubschrauberlandeplatz das Holländerhaus damals weichen musste. Der Himmel darüber ist bedrohlich grau. "Aber Wut war damals kein Impuls für mich beim Malen", sagt Wolfgang Liebert. "Eher der liebende, humanistische Blick des Bewahrens." Liebert, 1944 in Westpreußen geboren, lebt seit 1949 in Potsdam. Hier besuchte er als Kind die Eisenhartschule, später das Helmholtz Gymnasium. Das Holländische Viertel querte er hundertfach, er ist ihm, wie er selbst sagt, in "tiefer Zuneigung verbunden."

Die Malerin Anne Preuß, Nichte des bekannten Illustrators Gerhard Preuß, eröffnet in Potsdam-Eiche eine eigene Galerie.
Die Malerin Anne Preuß, Nichte des bekannten Illustrators Gerhard Preuß, eröffnet in Potsdam-Eiche eine eigene Galerie.

© privat

Malen, als würde man die Falten eines alten Gesichts streicheln

Die Idee, den Verfall des Viertels zu dokumentieren, gab ihm der Berliner Maler Otto Nagel, der ein ähnliches Projekt mit der Berliner Fischerinsel verfolgte. Das ist Liebert wichtig: die Bilder des Holländischen Viertels entstanden aus einem ureigenen Impuls, kein Auftrag, keine Verkaufsstrategie war dahinter. Sondern: Zuneigung. Seinen Blick auf die maroden Häuser, die bröckelnden Fassaden, bloßliegende Dachstühle vergleicht er mit der liebenden Berührung eines altgewordenen Gesichts: als wolle man die Falten streicheln.

Heute ist von diesen Falten nichts mehr zu sehen. "Als Maler interessiert einen immer die Bewegung", sagt Liebert und erklärt damit, warum das aussanierte Viertel heute für ihn malerisch nicht mehr interessant ist. Oder vielmehr: interessant nur aus der Distanz. Denn auch einige neuere Werke Lieberts sind im Bouman Haus zu sehen - mit dem Holländischen Viertel als Detail im Hintergrund. Das Porträt seiner Enkelin etwa, die einen knallroten Pullover trägt und auf ihr Smartphone schaut. Das Holländische Viertel hinten rechts im Bild scheint sie gar nicht wahrzunehmen. Oder es ist ihr, anders als ihrem Großvater, einfach zur Selbstverständlichkeit geworden, dass es so rot leuchtet.

Der Illustrator Gerhard Preuß schuf unter anderem den Einband des Lesebuch 3 (1970). Dass sein Werk viel vielfältiger ist, soll künftig ind er Galerie Preuß zu sehen sein.
Der Illustrator Gerhard Preuß schuf unter anderem den Einband des Lesebuch 3 (1970). Dass sein Werk viel vielfältiger ist, soll künftig ind er Galerie Preuß zu sehen sein.

© Anne Preuß

Eine neue Galerie für die "Preußen"

In Potsdam-Eiche ist unterdessen sogar die Eröffnung einer neuen Galerie angekündigt. "Galerie Preuß" heißt der Ort, der sich in der ehemaligen Postfiliale eingenistet hat. Der Name ist Programm: In der "Galerie Preuß" sollen künftig Arbeiten der umtriebigen Künstlerfamilie Preuß zu sehen sein. Ausgangspunkt bilden die Grafiken und Illustrationen von Gerhard Preuß (1935 - 2014), dessen Buchillustrationen in der DDR vielfach ausgezeichnet wurden. Sein künstlerisches Erbe umfasst jedoch viel mehr als das, das zeigten bereits die beiden Nachlassverzeichnisse, die Ende Januar mit Hilfe des Vereins Private Künstlernachlässe im Land Brandenburg veröffentlicht wurden - online.

In der Galerie Preuß soll man der Kunst von Gerhard Preuß jetzt auch direkt begegnen können. Ebenso wie den Werken des Schrifstellers, Regisseurs und Malers Ulrich Preuß, der im Jahr 2000 noch nicht 40-jährig starb. Die Malerin und Fotografin Anne Preuß ist seine Schwester, sie hat die neue Galerie ins Leben gerufen. "Nachdem mein Onkel mir sein Gesamtwerk durch Schenkung 2014 überlassen hatte, wuchs mein Wunsch sehr stark, eine Galerie für die vielen Werke der 'Preußen' einzurichten", sagt sie. Der Ort in den Räumen der ehemaligen Post ist für sie perfekt, sie wohnt ganz in der Nähe. Lesungen, Vorträge, Gespräche soll es hier geben. Die Galerie Preuß will ein Ort für Kunst und Begegnung werden. Wenn auch vorerst noch mit Maske und Sicherheitsabstand.

Rudi Fischer zeigt im Rechenzentrum Potsdam bis zum 31. Mai die Ausstellung „Zeichen der Zeit“.
Rudi Fischer zeigt im Rechenzentrum Potsdam bis zum 31. Mai die Ausstellung „Zeichen der Zeit“.

© Rudi Fischer

Kunst ohne Maske und Sicherheitsabstand

Einer, der die Problematik mit den Sicherheitsvorkehrungen gleich mitgedacht hat, ist Rudi Fischer. Früher war er Manager eines Versicherungskonzerns, jetzt macht er Kunst. Seit 2018 hat er ein Atelier im Rechenzentrum. Am Freitag (15.05.2020) öffnete er dort seine Ausstellung "Zeichen der Zeit". Sie umfasst drei Werkzyklen, die sich mit eben jenen "Zeichen der Zeit" auseinandersetzen: Klimawandel und Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Populismus und Autoritarismus, Strukturwandel, Folgen der Finanzkrise. Und Pandemien.

Gezeigt werden Fischers Arbeiten im Kosmos des Rechenzentrums - aber Achtung, maximal zwei Personen sind hier zugelassen, und diese werden gebeten, sich zuvor direkt beim Künstler anzumelden. Wem das kompliziert scheint, der kann auf die Alternative zurückgreifen, die Fischer sich überlegt hat: einen Besuch auf seinem Youtubekanal. Auch dort wird die Ausstellung ab Montag zu besuchen sein. Ganz im Zeichen der Zeit. Und ganz ohne Maske.

+++ Überblick +++

Alexander Janetzko und Matthias Körner: "Königsland", Eröffnung am Samstag, den 16. Mai 2020 von 14 bis 20 Uhr im Kunstraum Potsdam. Geöffnet Mittwoch bis Sonntag 13-18 Uhr. Zu sehen bis 21. Juni.

Wolfgang Liebert: "Das Holländische Viertel in den Jahren 1986 bis 1990" im Jan Bouman Haus, Mittelstraße 8. Eröffnet wird am Samstag, den 16. Mai um 18 Uhr. Zu sehen bis 30. August.

Galerie Preuß: Neueröffnung am Samstag, den 16. Mai um 16 Uhr, Am Alten Mörtelwerk 10 in Potsdam-Eiche. Geöffnet Freitag, Sonntag, Montag und Dienstag von 15 bis 19 Uhr sowie Samstag 11 bis 15 Uhr.

Rudi Fischer: "Zeichen der Zeit", vom 15. Mai bis zum 31. Mai im Kosmos des Rechenzentrums, Dortustraße 46. Geöffnet am Donnerstag-, Samstag- und Sonntagnachmittag. Um Anmeldung unter fischer-rudi@t-online.de wird gebeten. Zu sehen bis 31. Mai.

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