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Kultur: Neue deutsche Zweisamkeit Martin Sonneborns „Heimatkunde“ im Thalia

Das neue Deutschland ist gerade volljährig geworden. Aus diesem Anlass hat ihm Martin Sonneborn – vor allem bekannt als ehemaliger Chefsatiriker des Magazins „Titanic“ – ein Geschenk gemacht.

Das neue Deutschland ist gerade volljährig geworden. Aus diesem Anlass hat ihm Martin Sonneborn – vor allem bekannt als ehemaliger Chefsatiriker des Magazins „Titanic“ – ein Geschenk gemacht. „Heimatkunde“ heißt es, und Sonneborn bemüht sich, nicht als Urheber des „Machwerkes“, wie er es selber nennt, dazustehen. Jedenfalls tut er das am Mittwochabend im nahezu ausverkauften Babelsberger Thalia. Das gehört bei einem Mann wie ihm, der vor vier Jahren auch eine eigene (Spaß)Partei gegründet hat, die die kommenden Bundestagswahlen gewinnen will, natürlich zur PR in eigener Sache.

Als „üble Ossihetze im Kino“ bezeichnete der „Berliner Kurier“ den skurrilen Dokumentarfilm und auch die Potsdamer Besucher werden vorgewarnt: „Sie gucken heute Heimatkunde – hoffentlich bis zum Ende“. Um es hier vorab zu sagen: Niemand verließ vor Filmende und auch während des darauffolgenden Zuschauergesprächs den Saal. Ganz im Gegenteil, bereitwillig und höchst amüsiert ließ man sich ein auf die satirische Erkundung des ehemaligen Grenzbereichs rund um die gesamte Berliner Stadtgrenze.

Sonneborn wanderte hier mit Rucksack und Kameramann Andreas Coerper in vier Wochen 250 Kilometer, er durchschwamm die Havel und überwand so manchen (Garten)-Zaun. Denn darum ging es. Der auf den ersten Blick harmlos wirkende Zweimetermann mit der überaus spitzen Zunge wollte Leute treffen, die heute rund um die deutsche Hauptstadt wohnen und erkunden, was dieses neue Deutschland und seine Bewohner eigentlich ausmacht.

Gleich zu Beginn landet er in Großbeeren, einem deutlich zweigeteilten Ort. Auf der einen Seite die „Ureinwohner“ und ein ganzes Stück davon entfernt, wahrscheinlich in Überzahl, die zugezogenen Wessis in ihrer flotten, genormten Eigenheimsiedlung Marke Friesenhaus.

Miteinander zu tun haben wollen jedoch alle nichts und auch die Jungmänner an der Tankstelle in Hohenneuendorf „wissen“ ganz genau, dass sie selbst „keine Neandertaler“ und Wessis grundsätzlich hochnäsig sind. Diese wünschen sich in Frohnau sogar offen die Mauer zurück und ziehen stattdessen erst mal einen langen Zaun, um den Müll, den angeblich (immer) die anderen hinterlassen, nicht mehr ertragen zu müssen. Überhaupt Zäune. Die scheinen ein wesentlicher Bestandteil des gesamtdeutschen Wesens zu sein, was der Film genussvoll bebildert.

Die Ostdeutschen hingegen leiden augenscheinlich unter Amnesie, was ihre Vergangenheit betrifft und sind auch in der Ausblendung der Gegenwart ganz gut, wie die Episode in der Kleingartenidylle in Bohnsdorf mit einiger Situationskomik zeigt. Eher nachdenklich wird der Betrachter, wenn er den arbeitslosen Marzahner Modelleisenbahner erlebt. Denn dem etwa Mitte fünfzig Jährigen bleibt eigentlich nichts weiter übrig, als die DDR in guter Erinnerung zu behalten und selbstbewusst zu verkünden: „Ich bin und bleibe DDR“. Eine Perspektive hat er unter den jetzigen marktwirtschaftlichen Bedingungen doch wirklich nicht.

Sonneborn sind auf seinem Weg auch noch so manche „Aussteiger“ begegnet. Aber wenn man ehrlich ist: Im richtigen Leben möchte man mit keinem der gezeigten Protagonisten wirklich etwas zu tun haben, egal ob rückwärtsgewandter Ossi oder selbstgefälliger saturierter Wessi.

Auch Sonneborn bleibt lieber vier Stunden im Asylbewerberheim, um mit dem humorvollen Palästinenser Abbas zu reden oder trifft am Wegesrand mehrmals Chinesen, die nicht nur mit ihrer Tatkraft unser Land verändern werden. Insgesamt zeigt der Film nicht wirklich Originäres, jedenfalls nicht aus ostdeutscher Sicht. Er ist aber in seiner situativen Komik und der gelungenen Gesprächsinszenierung durchaus sehenswert. Allerdings über die Mauern in den Herzen und Köpfen aller Deutschen sollte man sich besser jetzt als später mehr als nur Gedanken machen. Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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