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Fotograf Ralph Gräf dokumentiert in seiner Ausstellung „Brandenburg unplugged“ den Wandel im Land – wie auf dem Foto „Time Stands Still“.

© Ralph Gräf

Neue Ausstellung von Ralph Gräf: Märkische Ansichten ohne Verstärker

Die Schau „Brandenburg unplugged“ des Fotokünstlers Ralph Gräf dokumentiert Veränderungenund Vergängliches im Land. Die Bilder lassen Raum für Geschichten und Geschichte der Region

Nauener Vorstadt - Auf den ersten Blick ist auf dem Foto nicht viel zu sehen – nur alte Fabrikhallen und eine große, vermutlich jahrzehntealte Uhr. Um kurz nach drei sind ihre Zeiger stehengeblieben, der Bildtitel heißt demzufolge auch „Time Stands Still“. Stehengeblieben vielleicht noch in den 1990er-Jahren, vielleicht aber auch erst gestern, wann genau, das lässt sich schlichtweg nicht sagen. Genauso wenig, wann die Aufnahme entstanden ist. Es könnte 1995 gewesen sein oder 2020. 
Es ist genau das, was neugierig macht beim Anschauen der Bilder von Ralph Gräf. Früher oder später will der Betrachter wissen: Von wo und wann ist es? Was ist hier geschehen? Und: Was passiert hier als nächstes? 


2006 beginnt der aus Bayern stammende Wahlpotsdamer, im Land Brandenburg zu fotografieren. „Als ich von München nach Potsdam zog, war ich sofort fasziniert von den Veränderungen, die dieses Bundesland bis heute durchlebt“, sagt er. Er hält fest, was langsam verschwindet oder sich wandelt: Aufgegebene landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) , leere Ladengeschäfte mit historischen Schriftzügen, verwaiste Straßenzüge, leere Plattenbauten. Es werden bis Ende 2019 so viele Bilder, dass daraus im Frühjahr 2020 der Bildband „Brandenburg Unplugged“ entsteht. Die Corona-Pandemie verhindert zunächst die schon für März geplante dazugehörige Ausstellung im Potsdamer Treffpunkt Freizeit, doch jetzt kann sie besichtigt werden, noch bis zum 7. August ist die Schau zu sehen.

Die "Andersartigkeit" der Dörfer hier inspiriert Gräf

Was Ralph Gräf bei seinen Fotoreisen für den Bildband inspiriert habe, sei die „Andersartigkeit der brandenburgischen Dörfer gegenüber Bayern“. Zum einen nahm die Bevölkerung in den brandenburgischen Dörfern nach der Wende kontinuierlich ab und Geschäfte und Betriebe schlossen, was allein schon besondere Fotomotive hervorgebracht habe. Zum anderen seien hier Straßendörfer typisch, also lange Straßen, an die sich die Häuser reihen, wobei die Menschen in Bayern in sogenannten Haufendörfer lebten, also ganz klassisch in versetzten Straßenzügen um einen Dorfkern mit Kirche herum. „Das ist etwas Besonderes“, findet Gräf, auch, weil dadurch die brandenburgische Landschaft ganz anders sei. 

Das Gewerbegebiet in Wust bei Brandenburg/Havel entstand Anfang der 90er Jahre.
Das Gewerbegebiet in Wust bei Brandenburg/Havel entstand Anfang der 90er Jahre.

© Ralph Gräf

Gebe es in den ländlichen Gegenden Bayerns viele einzelne Bauernhöfe und Felder, sei Brandenburg noch heute vom genossenschaftlichen Landwirtschaftsbetrieb in der DDR geprägt, in dem riesige, weitläufige Felder bestellt wurden. „Dadurch hat man hier einen weiten Blick“, der sich auch in den Fotos wiederfindet. Skurril wirken dabei zum Beispiel Aufnahmen von Plattenbauten, die mitten auf diesen Feldern zu stehen scheinen - gebaut wurden sie einst für Mitarbeiter der LPG-Betriebe.

Wer sich einlässt, hört noch Arbeiter und Maschinen

Ohne große „Lautstärke“ kommen derartige Fotos aus – vielmehr wirken sie wie Stillleben und werden damit dem Titel des Bildbandes „Brandenburg Unplugged“ gerecht. Menschen sind kaum zu sehen, dafür aber zum Beispiel stillgelegte Hotels, Fabriken oder eben die ehemaligen Landwirtschaftsbetriebe. Der Verfall ist sichtbar, nur noch ein paar Silos, Ställe oder Pförtnerhäuschen sind übrig, aber wer sich auf die Szenen einlässt, hört sie noch, die Arbeiter und Maschinen – auch ganz ohne Verstärker. Das „Unplugged“ kann hier als Synonym für das Vergangene gesehen werden, für die verstummten Geräusche. Damit scheint – wie bei der Uhr in dem Bild „Time Stands Still“, das in einem Gewerbegebiet in Ludwigsfelde aufgenommen wurde – in Gräfs Arbeiten die Zeit stehengeblieben zu sein und doch weiterzulaufen, wenn auch mit dem Verfall ein Ende in Sicht scheint. 

Und so gibt es einige Orte, die Gräf fotografiert hat, inzwischen auch nicht mehr, wie zum Beispiel ein riesiges LPG- Gelände nahe Lübben. „Als ich noch mal hingefahren bin, um zu schauen, war alles weg“, erzählt er. Ähnlich sei es auch mit den wenigen Bildern aus Potsdam. Da gibt es ein Foto eines Feldes in Bornstedt von 2015, auf dem nicht nur Schutthaufen gerade abgerissener Gebäude zu sehen sind, sondern auch schon ein paar neue Reihenhäuser. „Heute ist da alles zugebaut“, sagt Gräf, Feld sei dort nicht mehr vorhanden. Somit finden sich im Bildband inzwischen Fotos, die als historisch bezeichnet werden können.

Viele Bilder lassen sich schwer zuordnen

Es ist ein kleiner Wermutstropfen, gerade weil die Bilder die Neugier des Betrachters wecken, dass es kein Bildverzeichnis im Buch gibt. Zwar erkennt der Potsdamer Szenen aus Brandenburg an der Havel und umgekehrt, und hin und wieder sind die Orte durch zum Beispiel die Namen von Ladengeschäften erkennbar; viele Bilder aber lassen sich nur schwer zuordnen. Doch das sei Absicht, so Gräf: „Die Bilder sollen für sich sprechen.“ Und das tun sie am Ende – auch, wenn es auf den ersten Blick scheinbar nicht viel zu sehen gibt. Alles in allem ist „Brandenburg Unplugged“ eine Schau und ein Bildband, die sich lohnen und interessant sind, weil nichts vordergründig aufgelöst und deshalb viel Raum für die Geschichten und für die Geschichte gelassen wird, die sich beim Betrachten der Bilder auftun.

Ausstellung „Brandenburg unplugged“ im Treffpunkt Freizeit, Am Neuen Garten 64, bis 7. August, täglich von 8 bis 21.30 Uhr, Eintritt frei

Andrea Lütkewitz

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