zum Hauptinhalt
Gruppenbild mit Dame. Subway to Sally mit neuer Geigerin Ally Storch und vielen Fans. Die Potsdamer Band gründete sich in Nachwendezeiten, entschied sich irgendwann für deutsche Texte und gewann 2008 den Bundesvision Song Contest. Legendär sind die Auftritte der „Eisheiligen Nacht“ zum Jahresende.

© promo

"Neon" von Subway to Sally: Jetzt mit mehr Strom

Die Potsdamer Band Subway to Sally experimentiert auf ihrem neuen Album „Neon“ mit Elektroeffekten.

Potsdam - Einen Aufschrei hatte er erwartet, und dass die Fans es ihnen übel nehmen würden, Metal-Rock und Gothic mit Elektro zu mischen. Subway to Sally mit Dubstep, mit Effekten und Mitteln der Rapmusik, wie sie es für das neue Album ausprobiert haben – welch Sakrileg! Aber: „Es gab keinen Aufschrei, die Leute mögen das“, sagt Michael Boden, Gitarrist, Sänger und Texter der Potsdamer Band um den Frontmann Eric Fish, die sich Anfang der 1990er-Jahre gründete. Boden klingt dabei fast ein wenig verzweifelt, als hätte er es irgendwie auch gut gefunden, wenn die Gothic-Szene ihnen dieses Experiment übel genommen hätte. Aber jetzt ist das Album da, „Neon“ gibt es ab dem heutigen 10. März überall im Handel. Mit 23 Best-of–Songs, live aufgenommen während der Neon-Ekustik-Tour, die noch bis Sommer 2017 läuft.

Die bisherigen Konzerte waren Test und Bestätigung zugleich: Die Fans kommen mit dem Neuen, dem Elektro-Input, zurecht. Für die Band selbst ist das Album die Brücke zwischen Routine und dem nächsten Album mit neuen Songs. Das muss kommen und das sei auch der Band klar, sagt er. Das letzte, „Mitgift. Mördergeschichten“, ist schon wieder drei Jahre her. „Neon“ ist ihre kreative Pause. Die Erneuerung steckt schon im Namen, er klingt nach flackerndem, blauem Licht.

Live auf der Bühne wird ein Theremin bedient

So wie das Album-Cover im Steampunk-Look, wie der Retro-Futurismus genannt wird, in dem historische, mechanische Technik-Details mit viktorianischen Stilelementen zusammenfließen. Eine skurrile Kunstrichtung. Auf dem Neon-Cover hält ein maskierter Mann eine Kugel in den Händen, durch die elektrische Blitze knistern. Die Kugel sei eine Art Elektro-Filter, erklärt Michael Boden. Man steuert das Teil mit den Händen, um dabei neue Töne zu kreieren.

Ein weiteres Elektro-Gimmick, das sogar während der Konzerte live auf der Bühne bedient wird, ist das Theremin, ein um 1920 erfundenes, elektronisches Instrument, dessen Prinzip später in die Entwicklung der Synthesizer einfloss. Beim Theremin entstehen die Töne ohne Berührung, allein durch die Entfernung der Hände zu zwei Antennen und dem elektromagnetischen Feld. Das beschwörerische Bewegungsspiel lässt sich gut für ein Subway-to-Sally-Konzert inszenieren, dunkle Kapuzen und Gesichtsmasken inklusive. Gast-Theremin-Spieler ist Johannes Schlump, Sounddesigner, in der Szene als Cop Dicke bekannt. Bei der Produktion des „Mitgift“-Albums lernte man sich kennen, jetzt holte sich STS den Elektro-Experten für die Tour und auch gleich die Albumproduktion ran. Warum eigentlich, wo doch alles bestens funktioniert und, so sagt Boden selbst, die Band genauso gut Festivals hoch und runter tingeln und nur noch ihre größten Hits spielen könnte, um im Geschäft zu bleiben? Warum also Veränderung?

Jedes der Bandmitglieder spielt mehrere Instrumente

„Im Rock ’n’ Roll ist alles schon gespielt und gehört, jeder Griff, jedes Gitarrenriff, jede Kombi aus Gitarre, Schlagzeug und Bass. Alles schon ausgereizt“, sagt der Gitarrist. Irgendwann gehen einem die Ideen aus, selbst Subway to Sally, die ja von Anfang an mit einem Riesen-Instrumentarium hantieren, darunter viel Historisches, Lauten, Leiern, Schalmei, Sackpfeifen und Dudelsack, Mandolinen, Geige und diverses Perkussionsgerät. Jedes der sieben Bandmitglieder spielt mehrere Instrumente. Und trotzdem habe sich da so eine Müdigkeit eingeschlichen, eine ungesunde Routine. Mit dem Elektro-Input wollten sie dagegen steuern und mal ein bisschen über ihren geliebten Tellerrand, den Mittelalterhorizont, blicken. Es tat ihnen gut. Sie waren ein bisschen überrascht. Auch weil es live so gut funktionierte. „Johannes manipuliert unsere angebotenen Sounds, er greift direkt im Konzert ein und jedes Mal klingt es anders – das macht es so interessant.“

Dabei haben sie sich auch an anderen Musikern und Bands orientiert, an Skrillex aus den USA und dem Rapper Casper; Einflüsse, die sie für ihre eigene Musik nie in Betracht gezogen hatten. Aber das Genre verändert sich, so Boden. „Wir müssen unsere Berührungsängste zu Hip-Hop und Rap abbauen.“ Von dem neuen Schwung werde sicherlich auch etwas auf dem nächsten Album zu spüren sein.

In den Liedern wird geliebt und gestorben

Die Texte für neue Songs gehen ihm jedenfalls nicht aus. In dieser Hinsicht bleibt alles schön beim Alten, in den Liedern wird geliebt und gestorben, es wimmelt von Wasserleichen, schönen, toten Mädchen und gefallenen Engeln, dunklen Vögeln, Schlangen, Wölfen, Göttern und Glocken. Liebe und Verrat, Rache, Einsamkeit, Gewalt und Besitztum allerorten. Es geht selten gut aus für die Beteiligten der Balladen. In denen in der Regel Geschichten und Bilder stecken, die sich in die Gegenwart holen lassen. Die Figuren erleben Gewaltphantasien, leiden am Borderlinesyndrom oder einer vermurksten Eltern-Kind-Beziehung, sie fühlen sich missverstanden oder nicht gebraucht und sind von ihrem „falschen Heiland“, der eben auch jeder Politiker sein könnte, enttäuscht. „Und wir pinkeln auf dein Grab, halleluja.“ Ein uraltes Lied von 2003 – geht aber immer.

Was ist neu? Geigerin Frau Schmitt, seit Gründungszeiten mit dabei, hat sich von der Band verabschiedet, weil sie etwas Neues beginnen möchte. Der Abschied fiel schwer, sagt die Band, und sie werde immer Teil der Band-Familie bleiben. Jetzt spielt Ally Storch die Rock-Geige, sie habe sich während der Eisheilige-Nacht-Tour, bei der STS stets am 30. Dezember in ihrer Heimatstadt vor Tausenden spielen, tapfer geschlagen. Festival-Auftritte, bei denen schnell mal 30 Leute hinter der Bühne rumrennen, Kostüme und Instrumente sortieren, seien anstrengend, sagt Michael Boden, und man werde schließlich nicht jünger. „Wir sind jetzt alle um die 50.“ Rockmusiker gehen nicht in Rente. „Seit David Bowie und Prince ist klar, dass man auch auf der Bühne sterben darf.“

 

Subway to Sally: Neon. Erschienen 2017 bei STS Entertainment, Doppel-CD für 17,99 Euro, Doppel-Vinyl plus mp3-Version des kompletten Albums für 22,99 Euro.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false