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Nachdenken über Paulus: Ud Joffe interpretiert Mendelssohn Bartholdy

Was haben der Apostel Paulus, Felix Mendelssohn Bartholdy und Ud Joffe gemeinsam? Sie alle standen und stehen am Übergang vom Judentum zum Christentum.

Was haben der Apostel Paulus, Felix Mendelssohn Bartholdy und Ud Joffe gemeinsam? Sie alle standen und stehen am Übergang vom Judentum zum Christentum. Paulus und Mendelssohn Bartholdy vollzogen den Schritt aktiv als Konvertiten. Joffe, Dirigent aus Israel und gläubiger Jude, erlebt und praktiziert ihn als Leiter der Kantorei der Erlöserkirche. Stets zieht er dabei interpretatorisch den großen Bogen und darf – vielleicht auch gerade weil er beide Seiten und Standpunkte verinnerlicht – mit seinen Positionierungen Debatten anstoßen. Jetzt also mit dem „Paulus“. Das große Oratorium von Mendelssohn Bartholdy wird am 25. Mai, am Himmelfahrtstag, in der Erlöserkirche aufgeführt. Ein Mammutwerk der Romantik, zwei Stunden Musik, vorgetragen von 100 Chorsängern der Potsdamer Kantorei, 45 Instrumentalisten des Neuen Kammerorchesters Potsdam und vier Solisten: Esther Hilsberg, Sopran, Regina Jakobi, Alt, Markus Schäfer, Tenor und Sebastian Noack, Bass.

Es ist lange her, dass es in Potsdam aufgeführt wurde, zuletzt vor ziemlich genau 19 Jahren. Es war, nach dem Weihnachtsoratorium, das erste große Werk unter Joffes Leitung an der Erlöserkirche. „Ich hatte mich damals sehr mit diesem Stück an der Schnittstelle zwischen Judentum und Christentum auseinandergesetzt“, erinnert sich Joffe, „und habe es dann doch erst mal jahrelang an die Seite gelegt.“

Was er sich auch dieses Mal wieder fragt: Wie kann man den „Paulus“ heute aufführen, wie soll man sie lesen, diese Geschichte eines Mannes, der vom überzeugten und fanatischen Christenhasser und -verfolger zum glühenden Christusanhänger wird? Der heute als einer, wenn nicht sogar der Kirchenbegründer gilt? Der von einem Extrem ins andere schwenkte und dafür zuletzt zum Märtyrer wurde? Wie bitte erzählt man heute so ein Stück, ohne beispielsweise Juden zu verletzen? „Es ist ein extremes Fanatikerstück“, sagt Joffe, „ich hatte natürlich Bauchschmerzen damit.“ Überall begegne einem heute Radikalität, religiöser Fanatismus.

Joffe möchte zu neuen Gedanken und Fragestellungen zu dem großen romantischen Werk, das die großen religiösen Gefühle verherrlicht, einladen. Paulus, der Umkehrer, verkündet hier seine göttlich inspirierte Wahrheit und verspricht Erlösung allein durch den Glauben an Christus. Er fordert Umkehr, Gehorsam – und unbedingte Treue zu Gott. „Sei getreu bis den Tod – aber was bedeutet das?“, fragt Joffe. Es müsse heute erlaubt sein, das infrage zu stellen. „Wann sagen wir Stopp, bis hierher und nicht weiter? Dürfen Fanatismus und Martyrium der Preis für göttliche Wahrheit sein?“

Die Frage finde sich bereits im Eingangschoral: „Herr, der du bist der Gott, der Himmel und Erde und das Meer gemacht hat. Die Heiden lehnen sich auf.“ Joffe: „Es gibt also noch Ablenkung in dieser Welt vom Glauben – wie wollen wir damit heute umgehen?“ Darüber möchte er nachdenken – mit dieser Musik. Und vor allem einladen zum Nachdenken über Gemeinsamkeiten dieser Religionen. Das sei heute die viel wichtigere Aufgabe. Diese neue, offene Lesart tue auch anderen großen kirchenmusikalischen Kompositionen gut, ob nun Bartholdy oder Bach. „Es gibt leider zu wenig neue Stücke zum Thema Glauben.“ Steffi Pyanoe

„Paulus“, am 25. Mai um 19.30 Uhr in der Erlöserkirche, Nansenstraße. Karten kosten 10, 15 und 20 Euro, erhältlich an allen bekannten Vorverkaufsstellen

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