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Kultur: Nachbar Hitler

Edgar Feuchtwanger stellt sein Erinnerungsbuch in der Kleist-Schule vor

Von Sarah Kugler

Er war acht Jahre alt, als Adolf Hitler Reichskanzler wurde – zu diesem Zeitpunkt lebte er bereits seit drei Jahren Tür an Tür mit ihm. Edgar Feuchtwanger, Neffe des bekannten Schriftstellers Lion Feuchtwanger, erlebte ab seinem fünften Lebensjahr hautnah den Aufstieg und vor allem die Person Hitler. Zehn Jahre lang wohnte er ihm als Nachbar am Münchner Prinzregentenplatz gegenüber. Seine Erinnerungen an diese Zeit hat er in dem Buch „Als Hitler unser Nachbar war. Erinnerungen an meine Kindheit im Nationalsozialismus“ festgehalten. Am morgigen Samstag ist er zu Gast in der Kleist-Schule Potsdam und wird aus seinem Buch lesen.

In seinem Buch erzählt Feuchtwanger die Geschehnisse in der Zeit von 1929 bis 1939. Er nimmt dabei wieder die Perspektive des Kindes von damals ein und schildert seine Erinnerungen in einem kindlichen, manchmal fast putzigen Ton. Dabei liegen gerade am Anfang typische Kindheitserlebnisse deutlich im Vordergrund: So beschreibt er, wie er auf seinem „Rollelefanten Hannibal“ reitet oder funktioniert die Sessel in Boote um. Über die polit-historischen Geschehnisse erfährt man eher durch aufgeschnappte Gespräche der Erwachsenen, die er nach seinem Verständnis wiedergibt. Dabei stellt er gleich zu Beginn klar: „Ich bin vielleicht erst fünf Jahre alt, aber ich verstehe alles.“ Dieser kindlich-altkluge Ton zieht sich durch das gesamte Buch, nimmt aber mit zunehmendem Alter etwas ab.

Auch bei der Beschreibung des berüchtigten Nachbarn greift er darauf zurück. Er beschreibt, dass dieser einen kleinen schwarzen Schnurrbart trägt, „den gleichen wie Papa“, und dass er nicht böse guckt. Anders als der Titel vermuten lässt, liegt der Hauptfokus des Buches allerdings nicht auf der Person Hitler. Natürlich spielt er in den historischen Zusammenhängen die tragende Rolle, ist auch immer wieder Gesprächsthema im Elternhaus von Feuchtwanger, doch konkrete Erinnerungen an ihn als Nachbarn werden nur ab und zu eingestreut. Meist sind es Gedanken über Hitler als Menschen, die Feuchtwanger äußert. Er fragt sich, ob er in die Ferien fährt, ob er zu Weihnachten wohl einen Baum aufstellt oder was er zum Frühstück isst. Am Anfang findet er es noch lustig, wie die vorübergehenden Menschen den Wachmann vor Hitlers Tür grüßen. Doch wie eine Vorahnung erscheint er ihm gleich im ersten Kapitel als alles verschlingender Menschenfresser im Traum. Sieben Jahre später wird Hitlers Haus von mehreren Soldaten bewacht, sodass man nicht mehr direkt daran vorbeigehen kann. Traurig kommentiert Feuchtwanger: „Er hasst uns. Er hasst mich. Ohne überhaupt zu wissen, dass es mich gibt.“

Viel mehr im Vordergrund steht der Alltag Feuchtwangers. 1924 in München geboren, wuchs er in behüteten, bildungsbürgerlichen Verhältnissen auf. Sein Vater war Verleger des angesehenen Verlages Duncker & Humblot, seine Mutter Pianistin. Feuchtwanger schreibt, wie sich der Aufstieg Hitlers auf sein Leben ausgewirkt hat: Er erzählt, wie er irgendwann Hakenkreuze in sein Schulheft zeichnen muss, von den Veränderungen im Verlag seines Vaters, der schließlich seine Stelle verliert und verhaftet wird. Von Freunden, die sich mit der Zeit abwenden und der schmerzlichen Trennung von seinem katholischen Dienstmädchen Rosie, die nach der Verabschiedung der Nürnberger Gesetze nicht mehr bei den Feuchtwangers arbeiten durfte. Seine simple Einschätzung „Rosie liebt mich, und ich liebe Rosie. Jetzt bin ich Jude, einfach ein Jude, nichts als ein Jude, nichts anderes und Rosie darf nicht mehr bei uns wohnen“ lässt den Leser seinen Schmerz fast körperlich mitfühlen. Wut liest man hingegen selten. Selbst die Worte „In einigen Tagen werden wir keine Deutschen sein. Niemals mehr“, mit denen er im letzten Kapitel die Auswanderung nach England im Jahr 1939 kommentiert, klingen eher traurig-nüchtern als zornig. Mit der Auswanderung per Schiff und der Erinnerung an den Geruch der Gischt beendet Feuchtwanger, der später mehrere historische Publikationen zum viktorianischen Zeitalter und zur deutschen Zeigeschichte veröffentlichte, sein Buch.

Durch die geschickte Verwebung all der persönlichen Erlebnisse mit historischen Fakten – die sicherlich nicht immer nur seiner Erinnerung entsprungen sind, sich aber perfekt an den Ton des Buches anpassen – gelingt es ihm, ein umfassendes Bild vom Untergang der Weimarer Republik und vom Verlust der Kindheit zu zeichnen. Sarah Kugler

Edgar Feuchtwanger liest aus „Als Hitler unser Nachbar war. Erinnerungen an meine Kindheit im Nationalsozialismus“ (Siedler Verlag, 19,99 Euro) am morgigen Samstag, dem 25. Oktober, um 18 Uhr in der Kleist-Schule Potsdam, Friedrich-Ebert-Straße 17. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 6 Euro.

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