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Kultur: Mutiger „Funkspruch an alle“ Im Truman-Haus: DDR-

Bildung und Brüsewitz

In einem Protokoll der Staatssicherheit sind die dramatischsten Minuten im Leben von Oskar Brüsewitz detailliert festgehalten. Der evangelische Pfarrer verbrannte sich am 18. August 1976 in Zeitz selbst auf offener Straße. Kurz bevor er sich mit 20 Litern Benzin aus einer Milchkanne übergoss und entzündete, hatte er ein Plakat entrollt, auf dem er das Bildungssystem der DDR als ideologische Drangsalierung von Kindern und Jugendlichen anklagte. Etwa 150 Zeugen waren bei diesem Fanal dabei, doch der mutige „Funkspruch an alle“ erreichte in der ehemaligen DDR keine Massenwirksamkeit, wie das Stasiprotokoll vermerkte.

„Das Leben und das Sterben des Oskar Brüsewitz“ ist der Titel eines Buches, aus dessen bisher unveröffentlichtem Manuskript der Journalist Alexander Richter am Mittwochabend im vollbesetzten Kaminzimmer des Trumanhauses las. Richter, der 1949 geboren wurde und bis zu seiner Verhaftung 1982 eine, wie er selbst sagte, „normale“ DDR-Biografie hatte, ist seit 1995 Redakteur der „Freiheitsglocke“, einer Monatszeitschrift der Vereinigung der Opfer des Stalinismus. In seinen Büchern beschäftigt er sich immer wieder mit dem sozialistischen Unrechtssystem.

Gemeinsam mit Manfred Kruczek vom Forum zur kritischen Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte im Land Brandenburg holte er auch an diesem Abend vieles von dem, was heutzutage oft mit „so schlimm war das doch gar nicht“ in Bezug auf das Bildungssystem verharmlost wird, ans Tageslicht.

Kruczek zitierte beispielsweise aus dem Lehrmaterial der Schulen für Kindergärtnerinnen von 1985, wo schon die Jüngsten in freundschaftlichen Kontakt mit den bewaffneten Organen der DDR gebracht werden sollten. Neben der gezielten Beeinflussung kindlicher Gefühle, der Gewöhnung an sozialistische Normen und den Zwängen zur allgegenwärtigen Kollektiverziehung vergaß er auch nicht den finanziellen Druck auf Eltern zur Teilnahme ihrer Kinder an der Jugendweihe oder auch das Erpressungspotenzial bei der späteren Studienplatzwahl zu erwähnen.

Welche zahlreichen und subtilen Folgen diese allgegenwärtige Erziehungsdiktatur auch heute noch hat, analysierte Linda Teuteberg von den Jungen Liberalen in ihrem klugen pointierten Vortrag, der in Obrigkeitsdenken, Fürsorgementalität und geringem Selbstbewusstsein Bestandteile der gegenwärtigen hiesigen politischen Kultur festmachte. Der Drill zu Disziplin und Ordnung, das Leistungsprinzip und die schlichte Gut-oder-Böse-Weltsicht hatten nicht nur das Ziel, Individualität zu verhindern, sondern auch eigenständiges Denken und freiheitliche Grundwerte im Keim zu ersticken. Wie unmittelbar damit auch an den deutschen Untertanengeist und die Mechanismen der vorangegangenen faschistischen Diktatur angeknüpft wurde, kam danach in der manchmal etwas ausufernden Publikumsdiskussion ebenfalls zur Sprache.

Die Liedermacherin Bettina Wegner formulierte in ihrer Ballade „Sind so kleine Hände“ mit „gerade, klare Menschen“ bereits 1979 ein weiterhin gültiges Erziehungsziel. Der Pfarrer Oskar Brüsewitz hat mit ausstrahlender Kinder- und Jugendarbeit das in seinem Rahmen Mögliche schon damals getan und erst, als ihn selbst seine eigene „Kirche im Sozialismus“ fallen ließ, nur noch den Ausweg in seiner unglaublichen Verzweiflungstat gesehen. An Menschen wie ihn zu erinnern und die jüngste Vergangenheit nicht zu verharmlosen, sollte verstärkt Inhalt politischer Bildungsarbeit an Schulen sein, zu der sich Mehrere aus dem Publikum, der von der Friedrich-Naumann-Stiftung initiierten Veranstaltung, bekannten. Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger D

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