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Helena Rasker als Meeresgott Glauco bei den Potsdamer Musikfestspielen.

© promo/Stefan Gloede/Musikfestspiele Potsdam Sanssouci

Musikfestspiele Potsdam Sanssouci: Nicht so nah an die Flamme, Schmetterling!

So könnte eine Soap Opera zu Barockzeiten ausgesehen haben: Bononcinis „Polifemo“ bei den Musikfestspielen wirkt wie Fassadenpflege.

Potsdam - Klar, man kann alte Schlösser und Kirchen originalgetreu neu aufbauen, sodass zumindest die Fassade wieder stimmt. Gerade in Potsdam finden sich viele Beispiele dafür. Jetzt zeigen die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci, wie das mit einer Barockoper geht. Als Ausgangspunkt wählte die neue Intendantin Dorothee Oberlinger Giovanni Bonocinis „Polifemo“. Einst wurde die Pastorale am Lustschloss der Königin Sophie Charlotte (dem heutigen Schloss Charlottenburg) im Jahr 1702 uraufgeführt. Bei der Hommage für die Königinmutter wirkten Hofdamen und „hohe Personen“ mit, während die Königin am Cembalo begleitete.

Auf dem literarischen Niveau einer Soap Opera

Nun gibt es im Orangerieschloss von Sanssouci ein Revival dieses Werks mit einem Libretto von Attilio Ariosti nach Motiven aus Ovids grandiosen „Metamorphosen“. Das dem Anlass gemäß zurechtgebastelte Stück wurde schon von seinem Schöpfer als „Galimathias“ bezeichnet, was soviel wie „verworrener Unsinn“ bedeutet. 

Auf dem literarischen Niveau einer heutigen Soap Opera werden antike Mythen, Themen und Schlagworte wie Liebe und Intrige, Eifersucht und Freiheit, Rache und Leidenschaft verquirlt – wohl einzig, um die barocken Arien-Standards zu gewährleisten. Die Moral der Geschichte lautet – nach einer alten Metapher – dass der Schmetterling nicht der Flamme zu nahe kommen darf: „Er wird den Schmerz finden, weil er die Lust sucht“, heißt im Chorfinale.

Dem Muster treu

Nur ein Jahr wirkte Komponist Bononcini in Charlottenburg, später konkurrierte er lange Jahre mit Georg Friedrich Händel in London bis dieser den Sieg davontrug. Für den „Polifemo“ schrieb Bononcini schön tönende, geschmeidige Musik mit vielen Da-Capo-Arien nach dem stets gleichen Muster. Trotz gelegentlicher Wechsel in Instrumentation und Rhythmus kann es dauern, bis die finale Bravoura-Kadenz erklingt. Die sorgfältig ausgesuchten Sänger und Sängerinnen erfüllen die hohen Anforderung mustergültig. Allen voran beeindruckten Roberta Invernizzi als Galatea mit goldenem Stimmglanz und Helena Rasker mit bronzenem Alt in der Rolle des Glaukos. Der junge Sopranist Bruno de SÀ imponiert in der Rolle des verliebten Acis und João Fernandes verleiht der Basspartie des tumben Kyklopen beachtliche Präsenz.

Die Präsenz der Stimmen überzeugt

Auch Roberta Mameli, Sopran, als freiheitsliebende Nymphe Silla und Liliya Gaysina, Sopran, als Zauberin Circe überzeugen mit starker vokaler Ausstrahlung. Als Venus hat die junge Sopranistin Maria Ladurner einen kurzen, lieblichen Auftritt. Das einst von Dorothee Oberlinger gegründete Ensemble 1700 spielt unter ihrer Leitung flott bis temperamentvoll, mit groovenden Bassläufen und herben Streicherklängen.

Die Ausführenden wirken dennoch wie Marionetten

Indessen war nicht nur die Musik „historisch informiert“, sondern auch die Darstellung, für die Margit Legler sorgte. Die Spezialistin für historische Schauspielkunst instruierte die Sänger bis in die Fingerspitzen hinein. So bleibt kein Spielraum mehr für eigene Gestaltung und die Ausführenden wirken bisweilen wie Marionetten. Die schematischen Affekte in der Musik und die preziöse, artifizielle Darstellung überzeugen auf ihre Art.

Auf einmal versteht man sehr gut den Drang der Aufklärer nach Wahrhaftigkeit und Schlichtheit, nach echtem Gefühl. Was schließlich zur Absetzung des Adels und zu einer nicht nur kulturellen Revolution führte. Doch die Musikfestspiele Potsdam pflegen beim „Polifemo“ mit viel Aufwand die alten Fassaden.

Babette Kaiserkern

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