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Karl Blechens Gemälde zeigt das Innere des Palmenhauses auf der Pfaueninsel - auch dort werden die Musikfestspiele gastieren.

© Wolfgang Pfauder

Musikfestspiele Potsdam Sanssouci: In weiter Ferne, ganz nah

„Inseln“: Das Motto der Musikfestspiele 2022 verbindet lokale Gegebenheiten mit historischer Tiefe – und mit dem Gepäck von zwei Jahren Corona.

Potsdam - Vor einem Jahr, die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci waren gerade zum zweiten Mal infolge abgesagt worden, sagte Leiterin Dorothee Oberlinger mit Blick auf das Jahr 2022: „Wir sind dann alle reif für die Insel.“ Das klang schon damals weniger resignativ, als es sich hier vielleicht liest – denn mit dem Stoßseufzer war ironisch bereits das Motto der diesjährigen Ausgabe beworben worden: „Inseln“.

Oberlinger und ihr Team haben Wort gehalten und am gestrigen Montag das prall gefüllte Programm für das Festival vom 10. bis 26. Juni vorgestellt. Geografischer Impuls war Potsdams Wasserlage zwischen Havel, Kanälen und Seen. Gedanklicher Impuls aber dürfte die Tatsache sein, dass die eigene Welt seit zwei Jahren pandemiebedingt enger ist, denn je – und die Sehnsucht nach fernen, besseren Orten größer denn je.

Dass die Musikfestspiele beide Facetten verknüpfen wollen, zeigt schon die Grafik, mit der die neue Ausgabe 2022 wirbt: bunt collagierte Reigen aus Palmen, Tieren, Reifröcken und Perücken. Das könnte die Draufsicht auf eine Insel sein – oder die gezackte Form des Coronavirus. Das Versprechen dahinter: Hier soll es um Exotik und Fernweh gehen, aber auch um Einsamkeit und Isolation.

Auch ein Inselparadies. Die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci richten 2022 ein "Fest für Potsdam" auf der Freundschaftsinsel aus.
Auch ein Inselparadies. Die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci richten 2022 ein "Fest für Potsdam" auf der Freundschaftsinsel aus.

© York Maecke

Referenz an eine griechische Insel

Los geht es am 10. Juni mit der Referenz an eine Insel, die der ultimative Inbegriff harmonischer Abgeschiedenheit ist: Kythera, Griechenland. Dort soll die schaumgeborene Liebesgöttin Venus dem Meer entstiegen sein, dorthin träumte sich der Rokokomaler Antoine Watteau in berühmten Gemälden, von denen eins im Schloss Charlottenburg hängt. Friedrich II. hatte das Bild gekauft – und, so beschreiben es die Festivalmacher:innen, schuf sich in Sanssouci danach „sein eigenes weltentrücktes Inselparadies der schönen Künste“. Einleuchtend also, dass das Festival mit einem Konzert namens „Aufbruch nach Kythera“ in der Friedenskirche beginnt: Die Sopranistin Deborah Cachet singt Barockwerke unter anderem von Jean-Baptiste Lully, Henry Purcell und Georg Friedrich Händel.

In diesem Jahr ist wieder ein Abschlusskonzert vor der Orangerie geplant.
In diesem Jahr ist wieder ein Abschlusskonzert vor der Orangerie geplant.

© Stefan Gloede

Friedrichs „Inselparadies“ Sanssouci wird natürlich auch 2022 wieder mannigfaltig bespielt – nicht zuletzt das Schlosstheater, wo zwei der fünf Opern Premiere feiern werden. Festivalleiterin Oberlinger spielt nicht nur als Flötistin einige Konzert, sondern hat mit „Die wundersamen Wirkungen von Mutter Natur“ (12.6.), auch eine Opera buffa von Giuseppe Scarlatti aus dem Jahr 1752 wiederentdeckt. Schon Friedrich II. soll Fan gewesen sein. Es ist die Kaspar-Hauser-Geschichte um einen, der, von aller Zivilisation abgeschnitten, erst wieder lernen muss, wie Zusammenleben funktioniert. Ebenfalls eine Wiederentdeckung ist „Die Amazonen auf den glückseligen Inseln“ von Carlo Pallavicino, die zweite Opernpremiere im Schlosstheater, unter der Leitung von Christophe Rousset (23.6.).

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Dass die Musikfestspiele nicht nur Alte Musik suchen, sondern die Antennen auch in andere Zeitalter und Richtungen ausrichten, zeigt „Ein Fest für Potsdam“ (12.6.) auf der Freundschaftsinsel: Mit Schiffshörnerkonzert, aber auch anderen „Inselmusikern aus Nah und Fern“, die an den Torhäusern auftreten werden – kostenfrei. Für Kinder ab zwei gibt der Percussionist Philipp Lamprecht sogar ein „Buddelkonzert“ auf dem Spielplatz.

Leiterin Dorothee Oberlinger.
Leiterin Dorothee Oberlinger.

© Stefan Gloede/promo

Erstmals wird der Alte Markt besungen

Auch die von Andrea Palent kuratierten Fahrradkonzerte (12.6.) wollen nicht Potsdams Inseldasein, sondern vor allem die 14 Brücken dazwischen erfahrbar machen. Es gibt in diesem Jahr drei Touren: eine Inselumrundung sowie „Inselhopping gemütlich“ oder „Inselhopping sportlich“. Kernthema ist der Brückenschlag – zwischen Fahrradfahrer:innen und Künstler:innen mit Handicap, zwischen Zeiten, Kulturen und Stilen – zwischen „urbanen Sounds“, wie Palent sagt, und fahrradfahrenden Spitzenmusiker:innen.

Wer musikalisch noch unerkundete Orte sucht, dürfte auf den Fahrradkonzerten fündig werden. Und auch mit „Händels Zauberinseln“ (17. 6.) ertastet das Festival Neuland: Hier wird erstmals der Alte Markt besungen. Passend zum wiederaufstehenden barocken Antlitz der Stadtmitte ist das Open-Air-Konzert „Barocker Stimmenzauber in Potsdams Mitte“ betitelt. Sopranistin Sophie Junker, Mezzosopranistin Ann Hallenberg und Countertenor Christophe Dumeaux schlüpfen in Händels Stimmen von Alcina, Medea, Theseus oder Ariadne.

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Verschiedenste Zeitschichten und Perspektiven in Einklang bringen

Anders als Potsdams architektonische Mitte um den Alten Markt herum bemüht das Festival sichtbar darum, verschiedenste Zeitschichten und Perspektiven in Einklang zu bringen. Auf den Terrassen des Orangerieschlosses in Sanssouci ist aufs Plastischste zu beobachten, wie sich König Friedrich Wilhelm IV. in den 1850er und 1860er-Jahren die exotische Ferne herbeiträumte – die Musikfestspiele zeigen hier die Kehrseite der kolonialen Träume, ein „Karibisches Concert Spirituel“. 

Erinnert wird an Elisabeth Ferrand, die gerade 14-jährig im Jahr 1780 in Port-au-Prince ihre Karriere als erste schwarze Sängerin in der Geschichte der französischen Oper begann. Die Leitung hat Pedro Memelsdorff, der sich intensiv mit der Geschichte Haitis beschäftigt und auch eine „Sklavenmesse“ aus der Zeit am Vorabend der Französischen Revolution aufgetan hat.

Eine Sehnsuchtsinsel der jüngsten Vergangenheit haben Musiker:innen der Kammerakademie Potsdam aufgetan: Das von DDR-Gelände umschlossene Westberlin der 1970er-Jahre. „Mit David Bowie durch den Tag“ (23. 6.) untersucht die produktive Zeit des Stars in Berlin-Schöneberg. Wer damals von Potsdam nach Berlin-Ost wollte, musste die Insel Berlin-West umfahren. Bespielt wird jetzt jener Ort, der damals Potsdams Hauptbahnhof war: Bahnhof Pirschheide.

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