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Oper vom Feinsten. Emilie Renard (Armide), Rubert Charlesworth und die Nordic Baroque Dancers.

© Stefan Gloede

Musikfestspiele Potsdam Sanssouci 2016: Zauberische Vergnüglichkeiten

Umjubelte Premiere von Jean-Baptiste Lullys Barockoper „Armide“ im Orangerieschloss Sanssouci.

Augenwonniglicher und musikalisch authentischer als bei dieser Produktion von Jean-Baptiste Lullys Tragédie lyrique „Armide“ geht es wahrlich nimmer. Diese Koproduktion der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik mit den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci in Zusammenarbeit mit dem Centre de musique baroque de Versailles, die am Samstag im Orangerieschloss Sanssouci ihre umjubelte Premiere erlebte, geht so akribisch und spannend zu Werke, dass es einem fast den Atem verschlägt.

Aufgeführt wird eine gekürzte Fassung der Innsbrucker Festwochen, die erfreulicherweise den Prolog-Lobpreis auf Lullys königlichen Dienstherren Ludwig XIV. gestrichen hat. Das Ensemble „Les Folies françoises“ unter dem Violinisten und musikalischen Leiter Patrick Cohën-Akenine musiziert auf Kopien historischer Streichinstrumente, wie sie einst am Hofe von Versailles in Gebrauch waren. Diese fünfstimmige Streicherbesetzung mit fünf unterschiedlich groß gebauten Geigen sorgt im perfekten Zusammenspiel mit Cembalo, Theorbe, Gambe und Blockflöten für einen faszinierenden Klang, der rauer, nasaler, prägnanter und intensiver als gewohnt timbriert ist. Und wesentlich von der französischen Sprache inspiriert ist.

Wie denn auch die italienischen Vertonungen des Sujets einer bekannten Episode aus Torquato Tassos Kreuzzugs-Epos „Das befreite Jerusalem“ beispielsweise durch Gluck oder Rossini nach entsprechend anderen Instrumenten verlangen. Hier also das Französische in Reinkultur. Es basiert auf der Kunst der Deklamation – sowohl instrumental als auch vokal. Und da ist ebenfalls alles zum Besten bestellt, denn die Sänger beherrschen die nahtlose Einheit von Rezitativ zu Arie mühelos. Es ist wie ein unaufhörliches Fließen eines Melodienstromes, der, mit Trillern, Vorschlägen, Schleifer und Doppelschlag reich versehen, verzierungsreich durch die musikalische Landschaft mäandert. Hat man sich auf die Besonderheiten à la française erst einmal eingestellt, ist des Vergnügens kein Ende.

Es beginnt bei den überraschend straff artikulierten und tempozügigen Ouvertürenklängen, währenddessen der Blick auf die karge Podestszenerie mit gefällig drapierten Pappkameraden fällt, die wohl symbolisch einige von Armides Zauberkünsten besiegten Kreuzritter darstellen sollen. Mit dem Gesang dreier Damen von der Seitengalerie herab beginnt die nächste Verzauberung. Sie tragen farbenprächtige barocke Roben nebst federreichem Kopfputz wie aus dem Bilderbuch, will heißen: aus dem Kostümfundus des Versailler Barockmusikzentrums und nach den Originalentwürfen für die „Armida“-Uraufführung geschneidert. Diese Opulenz steigert sich, als die Herren mit überdimensionierten Allongeperücken, Helmbüschen im XXL-Format und in verschnörkelten und bänderverzierten Gewändern der buntesten Art in Erscheinung treten. Doch Blick zurück auf die Galerie. Die in Rot schleppkleidgewandete, mit Brustpanzer und einer Haube mit üppigem Federputz ausgestattete Dame entpuppt sich als Titelheldin (Emilie Renard), die ihren beiden sopranlieblichen Vertrauten Phénice (Daniela Skorka) und Sidonie (Miriam Albano) sowie dem andächtig lauschenden Publikum mit leidenschaftlicher Sopranintensität und ausgeprägter Mittellage erzählt, dass sie über Renaud, den tapfersten der Kreuzritter, nicht triumphieren konnte. Was ihr allerdings zuvor die Unterwelt schon prophezeit hat. Armides Onkel Hidraot alias Pietro di Bianco feiert nebst Gefolge mit bassbaritonaler Präsenz ihren Triumph, hofft auf eine baldige Hochzeit. Sie hat da so ihre Zweifel: „Das Herz wird unglücklich, wenn es die Freiheit verliert.“ Vorm Eingehen einer gefühlsmäßigen Bindung fürchtet sich auch Renaud. Ein ideales Paar also? Dass es mit der Liebe so ein eigen Ding ist, erfahren beide alsbald. Aus Feind wird Freund wird Liebhaber. Lust und Hass, Zu- und Abneigung, Binden und Nicht-loslassen-Können liegen da dicht beieinander. Der Zwiespalt der Gefühle ist vorprogrammiert und führt schließlich zum tragischen Ende von Armide, die nach dem Renaudschen Valet (salopp: war schön mit dir, aber nun muss ich mich wieder um den Kriegsruhm kümmern) den Einsturz ihres (Video-)Palastes zaubert, der sie unter sich begräbt.

Doch was wäre eine französische Barockoper ohne Ballettzutaten? Ein Ei ohne Dotter. Dafür sind die schwedischen Nordic Baroque Dancers zuständig, die auf die Finessen des Barocktanzes spezialisiert sind: rasante und raffinierte Schrittkombinationen, kleine Hüpfsprünge, zeremonielles Schreiten, rhythmisch stampfende Kriegstänze, pantomimischer Ganzkörpereinsatz. Sehr beeindruckend – genauso wie die einfallsreiche Inszenierung (Regie & Choreografie: Deda Cristina Colonna) und das ungemein lebendige, farbenschillernde Singen und Musizieren. Die beiden restlichen Vorstellungen (21./22. Juni, jeweils 20 Uhr) sollte man sich nicht entgehen lassen.

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Peter Buske

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