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Musikfestspiele Potsdam: Das dicke Ende

Mit Alessandro Melanis Barockoper „L’Europa“ holen die Musikfestspiele die Moralkeule heraus und inszenieren eine brutale Geschichte, die wie ein Trash-Film daherkommt.

Potsdam - Dass die Ära Palent der Musikfestspiele mit solch einem gewaltvollen, ja aggressiven Paukenschlag nach 27 Jahren endet, erstaunt dann doch. Schon im Vorfeld hatte Andrea Palent, die letztmalig amtierende Leiterin der Musikfestspiele, erklärt, dass man sich dem diesjährigen Thema Europa aus aktueller Sicht widmen müsse. Schon dieser Imperativ machte stutzig. Könnte man nicht gerade, gern mit einem Augenzwinkern, auf die Mythen, Sagen und Legenden der Vorzeit zurückgreifen und so vielleicht sogar positive Gegenbilder schaffen?

Indessen spielte solch ein utopischer Konjunktiv praktisch keine Rolle in den bisherigen Inszenierungen der diesjährigen Musikfestspiele. Ganz dicke kommt es nun in der Aufführung von Alessandro Melanis barocker Minioper „L’Europa“. Alle Übel dieser Welt, die ohnehin tagein tagaus in den Medien präsent sind, werden den Zuschauern noch einmal und mit dem Holzhammer auf die Sinne geschlagen – sei es nun Flüchtlingselend, Menschenhandel, Frauenunterdrückung oder Vergewaltigung. Ein Entkommen war nicht möglich, denn man saß in zwei Reihen in Form eines Ovals im Ovidsaal einander gegenüber – vermutlich war damit gemeint, dass wir alle in einem Boot sitzen. Wenngleich sich hier und da während der anderthalbstündigen Aufführung Unmut regte, so wagte doch nur ein Paar den vorzeitigen Ausstieg.

Wie in einem Trash-Film

Die Zuschauer werden nicht nur grausamen Gewaltorgien ausgesetzt. Geradezu bigott ist, dass dies unter dem Deckmantel der Moralität geschieht. Mit den schlichtesten Mitteln des Agitproptheaters wird die Betroffenheitskeule der sogenannten Willkommenskultur geschwungen. Das Stück will Betroffenheit erzeugen, macht das aber so grobschlächtig, dass – wie in einem Trash-Film – letztlich Abstumpfung erzeugt wird. Das macht die Sache so dubios.

Andrea Palent und ihr Dramaturg Thomas Höft kreierten im Verein mit der Neuen Hofkapelle Graz und der Regisseurin Deda Cristina Colonna ein Musiktheaterpasticcio aus Werken verschiedener Barockkomponisten. Im Zentrum stand allerdings nicht die Musik, sondern das aufdringliche Agieren der Schauspieler und Sänger. Verkleidet als Transgender-Transe mit Pumps, Netzstrümpfen, Faltenröckchen und bauchfreiem Netzhemd gibt Michael Ihlow einen besserwisserischen Erzähler, der das Publikum oberlehrerhaft mit statistischen Erkenntnissen und Zahlen traktiert – vom Reiseverhalten der Deutschen bis zu ertrunkenen Geflüchteten und Menschenhandel. Zum jeweiligen Land in Georg Muffats europäischer Suite verteilt er Bordkarten an alle Zuschauer – ein possierlicher Gag –, später aber auch mal olle Schuhe, Kuscheltiere und anderes Strandgut wie zerknitterte Fotoporträts. Dazu erklingt „The Tempest“ von Matthew Locke. Wer nicht brav die Hand ausstreckt, dem wirft er das Teil in den Schoß.

Liebe als ein Akt brutaler Vergewaltigung?

Das eigentlich nur halbstündige barocke Singspiel „L’Europa“ von 1667 basiert auf dem banalen Libretto eines unbekannten Verfassers. Es erzählt den alten Mythos von Gottvater Zeus und Europa, der Tochter des phönizischen Herrschers, als kriegerische Geschichte einer Unterwerfung unter den gierigen Gott Amor. Die Musik des weitgehend unbekannten italienischen Komponisten Alessandro Melani schwelgt dazu rasant und exaltiert, lyrische Momente gibt es nicht.

Im Potsdamer Ovidsaal, der die Metamorphosen der Liebe so galant in Szene setzt, erscheint nun Europa in zerfetzten Kleidern als Geflüchtete. Ein Opfer von vornherein, entkommt sie nicht den brutalen Vergewaltigungen von Jupiter, der wie ein Banker aus der Führungsebene auftritt. Sieger ist allemal Amor, ein veritabler Beelzebub und fieser Ganove mit Glatzkopf, Shorts und Jackett, der auch gern mal mit gierigen Blicken das Publikum mustert. Nicholas Tamagna, Countertenor, verleiht ihm gebührend blechernen, „dreckigen“ Ausdruck. Mit eher hart dröhnendem Bariton singt Renato Dolcini den Jupiter. Üblicher Dur-Moll-Schönklang ist auch nicht im Orchester gefragt, das auf die Werkmeister-Stimmung von 1691 setzt und damit viele schräge, harsche Klänge produziert. Einzig Roberta Mamelli hat eine dankbare Partie als Europa und überzeugt mit leuchtendem, emphatischen Sopran.

Von einigen Operninszenierungen der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci kannte man schon einen gewissen Hang zu Klamauk und Krudität. Jetzt lernen wir, dass die Liebe nur mehr ein Akt brutaler Vergewaltigung ist. Und dass Europa ein elender Ort, eine schlimme Dystopie ist. Schräger kann der Abgesang darauf nicht sein als in dieser gefühlskalten, abstrusen und zynischen Inszenierung. Weiter weg von glückhafter Poesie und spielerischer Sinnlichkeit könnten die Musikfestspiele nicht sein. 

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Alle kommenden Vorstellungen von „L’Europa“ sind ausverkauft

Babette Kaiserkern

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