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Musikfestspiele: Der gute Geist geht

Gewandt und charmant – zum Abschied von Jelle Dierickx, dem Programmleiter der Musikfestspiele.

Ein wenig wehmütig ist Jelle Dierickx derzeit gestimmt. Und auch irgendwie übersinnlich. Seltsame Dinge sind dem Belgier in diesen Tagen passiert: Zur diesjährigen Eröffnung erschien plötzlich ein doppelter Regenbogen, just als das Konzert „Musik in ihrem Element“ in der Friedenskirche endete. Und kurz darauf, ausgerechnet in der Grotte im Neuen Garten, hallte während eines Telefonats eine weitere Stimme durch sein Handy. Aus einem anderen Gespräch, für ihn wie ein Zeichen wie aus einer anderen Welt. Spooky. Vielleicht ist der Programmkoordinator der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci einfach gerade sehr sensibel. Schließlich ist es seine letzte Saion. Dann scheint es manchmal, als ob alles an Bedeutung gewinnt und überall Zeichen zu lesen sind – weil es eben der Abschied ist.

Fünf Jahre war Jelle Dierickx mit Festspielleiterin Andrea Palent zusammen für das Programm der Musikfestspiele verantwortlich. Seit Februar schon leitet er parallel eine Sektion des Flandern Musikfestivals. „Es ist jetzt dran“, sagt der 40-Jährige – zu gehen und etwas Neues zu bewegen. Noch vor einigen Jahren sei er nicht so weit gewesen, nun aber hat er für sich die Musikfestspiele zu einem Höhepunkt und zu einem Abschluss gebracht. „Glücklicher kann man nicht sein“, sagt er. Und die Wehmut des Jelle Dierickx scheint schon wieder verflogen.

Der promovierte Musikwissenschaftler, der zuvor das Programm des Rotterdamer Gergiev Festivals koordinierte, war so etwas wie der gute Geist der Potsdamer Musikfestspiele. Stets zugegen, stets zugänglich, äußerst wendig und gewandt. Wenn er etwa sein musikhistorisches Wissen in Einführungsvorträgen zu Konzerten mit einer eleganten Leichtigkeit aus dem hellen Sakkoärmel schüttelte. Ein Kommunikationsgenie ist er – und muss es auch sein, wenn man eben nur einmal im Jahr zur Festspielzeit in einer Stadt wie Potsdam präsent ist und der Eindruck ein bleibender sein soll.

Jelle Dierickx schafft das in Sekundenschnelle: Menschen für sich einzunehmen, ohne dass er ihnen zu nahe tritt, einfach nur, indem er menschenfreundlich ist. Sein flämischer Akzent und sein Humor tun das Übrige, und zweifelsohne auch seine Angewohnheit, Frauen mit drei Küssen auf den Wangen zu begrüßen. „Sein Charme“, sagt Andrea Palent, „das fällt natürlich in Preußen sehr auf.“

Für Jelle Dierickx waren die Jahre in Potsdam vor allem eins: arbeitsreich. „Ich habe noch nie so viel gearbeitet wie hier“, sagt er. Einmal, 2014, war er für die Musikfestspiele 24 Stunden hintereinander unterwegs. 24 Stunden Antike hieß das Programm. Ein Husarenstück, wie er sagt. Der Sonnenuntergang am Schloss Glienicke, der Sonnenaufgang am Marmorpalais. Erinnern werde er sich immer daran, wie er um drei Uhr nachts mit dem Fahrrad durch Potsdam geradelt ist, von einem Programmpunkt zum anderen.

Die konzeptionelle Arbeit der Musikfestspiele sei immer im Einklang mit Andrea Palent geschehen, wie er betont: „Nur wenn wir uns einig waren, kam etwas ins Programm.“ Ihre Zusammenarbeit hat er wie ein Pingpong erlebt – als leichtes Kinderspiel – nicht ohne Widerstand, den es aber auch braucht, um Impulse zu setzen. „Jelle brachte die Leichtigkeit und die Fröhlichkeit der Jugend mit“, sagt Andrea Palent über ihren Kollegen. Als sein Nachfolger tritt nun im kommenden Jahr und interimsweise Thomas Höft an, Geschäftsführer am Kölner Zentrum für Alte Musik, der bei den diesjährigen Musikfestspielen bereits das Konzert „Das fünfte Element“ kuratierte.

Ein Programm zu gestalten - er würde sagen, „mitzugestalten“ - in dem sich Natur und Kultur fein vermischen, ist Jelle Dierickx ein Herzensanliegen. In dieser Saison die vier Elemente, Feuer, Wasser, Erde, Luft, in den Fokus zu rücken, heißt für ihn auch, die grundsätzlichen Fragen des Lebens zu stellen und neu zu verhandeln. „Für mich ist das Elementare wieder Thema“, sagt er. „Was ist Liebe, was ist Gemeinschaft, was sind Werte? Das schwingt mit. Wir sagen das nicht, aber es sind die großen moralischen Fragen.“

Kultur ist für Jelle Dierickx auch nicht nur die bloße Kunst. Es ist eine Haltung, eine Art in der Welt zu Gast zu sein und lichte Momente zu schaffen. „Ein Festival ist etwas Heiliges“, sagt er. Und resümiert später, „ich bin hier, um den Regenbogen zu schaffen.“ Aus seinem Mund klingt es nicht mal nach Anmaßung.

Auch in Flandern wird ihn das Heilige, die Divinität, weiter beschäftigen. Unter das Motto „Musica divina“ hat er sein erstes Festival gestellt. Im September soll es stattfinden. Im Februar, als er mit der Arbeit begann, sei nichts dagewesen, sagt er – wupp, er schnippst mit den Fingern, „jetzt steht das Programm.“ Dazu eine neue Webseite, eine neue Anmutung – die Schnelligkeit, mit der in Flandern gearbeitet wird, ist auch ihm eigen. Fortan wird er an erster Stelle stehen, nicht mehr in der zweiten Reihe. Seinen neuen Mitarbeitern hat er gleich zu Beginn klargemacht, dass es künftig auch ihr Festival ist. Im Vorwort zum Programmheft, und das ist ihm wichtig, korrigiert er ein „Ich“ in der Ansprache zu einem „Wir“.

In seinem Büro, ein mittelalterliches Haus in der flämischen Stadt Mechelen, hat er ein kleines Büchlein über Potsdam Sanssouci gefunden und bewahrt es. Die nächsten hiesigen Musikfestspiele werden nicht mehr seine sein, aber auch nicht ohne ihn stattfinden. Selbstverständlich wird es Kooperationen zwischen beiden Festivals geben. Thema ist schließlich „Europa“, auch das so ein Stoff des Jelle Dierickx.

Die Musikfestspiele 2017 gehen am Sonntag um 21 Uhr mit dem Abschlusskonzert am Neuen Palais zu Ende

Grit Weirauch

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