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Volles Leben. „Chanson-Nette“ Jeannette Urzendowsky und Henry Nandzik bei ihrer schwungvollen Runde durch die bunte Welt des poetischen Tausendsassas Robert Gilbert. Seine Texte tragen bis heute den Sound Berlins hinaus in die Welt. Das Programm wird im Theaterschiff Potsdam sowie in Berlin im „Charlottchen“ und „Theater Adlershof“ gezeigt.

© Thilo Rückeis

Musikalische Erinnerung an Robert Gilbert: Evergreens auf dem Theaterschiff

Jeder hat von ihm gehört, aber kaum einer kennt ihn: Der Poet Robert Gilbert schrieb Evergreens, Chansons und Gedichte. Nun erinnert eine Revue in Potsdam an sein Leben und Werk.

Potsdam - Regel Nr. 1 für den Filmkomponisten: Lies vor dem Notensetzen das Drehbuch. Oder erkundige dich zumindest, worum es geht, ob der neue Streifen also etwa im Wald spielt oder auf dem Meer. Hat der poetische Tausendsassa Robert Gilbert wohl leider beides versäumt, als er sich daran machte, die Filmoperette „Bomben auf Monte Carlo“ mit Liedtexten zu veredeln, so auch bei dem von Hans Albers, Heinz Rühmann, Peter Lorre und einem Chor geschmetterten Gassenhauer „Das ist die Liebe der Matrosen“. Der soll anfangs ganz anders geklungen haben: „Marie, wir wollen in den Wald jehn“ – Gilbert hatte nicht mitbekommen, dass es statt um Blätter um Wellenrauschen ging, musste daher hastig umdichten.

Jedenfalls hat er es später so erzählt, eine der keineswegs deckungsgleichen Versionen über die Genese des Ufa-Shantys. Der Ohrwurm aus dem Kinohit der Saison 1931/32, ein nur dem Titel nach martialisches Filmlustspiel, ist noch immer unvergessen, die mit Gilbert befreundete Philosophin Hannah Arendt wünschte ihn sich sogar zu ihrer Beerdigung.

Aber wer, bitteschön, war dieser Robert Gilbert, an den in seiner Geburtsstadt Berlin keine Straße, keine Gedenktafel erinnert, der fast vergessen ist, anders als seine Liedtexte, etwa dieser: „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen.“ Ganz recht, Eliza Doolittles Zungenbrecher aus „My Fair Lady“, für die deutsche Premiere 1961 im Berliner Theater des Westens ersonnen. Das englische Original wäre übersetzt völlig unbrauchbar gewesen: „In Spanien fällt der Regen vor allem in der Ebene.“

Musikalisch-biografische Revue

Aber zurück zur Frage, wer dieser Robert Gilbert war – und wie man seinen Namen überhaupt ausspricht: Robert ganz klassisch wie Robert, Gilbert aber à la française. Ein vom Vater geerbter Künstlername: Der hieß an sich Max Winterfeld, nannte sich als erfolgreicher Operettenkomponist aber Jean Gilbert.

Doch egal, ob nun Winterfeld oder Gilbert – der Mann, der im so grün grünenden Spanien die Blüten erblühen ließ, bliebe vergessen und sein 120. Geburtstag am 29. September dieses Jahres wäre sang- und klanglos untergegangen, hätten nicht die Berliner „Chanson-Nette“ Jeannette Urzendowsky, Bühnenpartner Henry Nandzik, das Trio Scho und Isabelle Gensior (Regie) dies mit ihrem Gratulationsprogramm verhindert. „Ich hätt’ getanzt heut’ Nacht“ heißt ihr Stück. Der Titel ist einem weiteren „My Fair Lady“-Song entliehen, an dem Gilbert diesmal nicht viel herumdoktern musste. Schon Audrey Hepburn schmachtete im Original „I Could Have Danced All Night.“

Die musikalisch-biografische Revue war schon hier und da auf Kleinkunstbühnen zu sehen. Im Dezember ist sie nun im Theaterschiff Potsdam am Kai der Schiffbauergasse und in Berlin zu erleben.

Das ist nicht allzu weit von Robert Gilberts Elternhaus entfernt: In Wannsee, in der Scabellstraße 7, verbrachte er seine Jugend. Sein Vater hatte die Villa 1911 gekauft und wohnte dort mit seiner Familie acht Jahre lang. Heute wird der Bau vom Deutschen Unterwasser-Club genutzt. Sollte Gilbert also doch irgendwann eine Gedenktafel spendiert bekommen – hier wäre ein prima Ort, sie anzuschrauben.

Ein Hit für Wencke Myhre

Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten, eines musikalischen Verseschmieds wie Robert Gilbert mit einem Jubiläumsprogramm zu gedenken. Die simpelste bestände in einer Best-of-Nummernrevue. Bei einem wie Gilbert dürfte wohl schon dies das Wohlwollen des Publikums finden, zumal des älteren, das die Refrains noch mitsingen könnte. Zum Beispiel „Durch Berlin fließt immer noch die Spree“ – von 1958 bis in die 70er Jahre war diese von Vater Jean vertonte Liebeserklärung Gilberts an seine Geburtsstadt die Erkennungsmelodie der SFB-Abendschau. Oder „Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln geh’n“: Das war 1929 ein Erfolg, kam 1961 als Titelsong eines Kinofilms erneut in die Charts, verhalf 1969 Wencke Myhre zum Hit und sogar die Fab Four haben sich daran versucht. Zugegeben nur privat, doch das wirkte bis ins Studio von Radio Luxemburg hinein: Als George Harrison im Interview zu einer Beatles- Platte um ein deutsches Lied gebeten wurde, stimmte er ein paar Takte von Gilberts altem Segelsonntagssong an.

Material für solch eine gesungene Hitliste gäbe es also genug, aber das war der „Chanson-Nette“, auch sie eine Friedrichshainer Kiezpflanze, zu wenig. Ein biografisch-musikalisches Programm sollte es sein, höchst unterhaltsam, aber eben auch über den Menschen Gilbert. Und so grub sie sich – unterstützt von Elisabeth Trautwein-Heymann, der Tochter von Gilberts Lieblingskomponisten Werner Richard Heymann – durch biografische und musikalische Archive, wohl mit derselben Beharrlichkeit, mit der sie einst Medizin studiert hatte. Mit der Begeisterung auch, mit der sie seit den 90ern einen parallelen Weg in die Kabarett- und Chanson-Welt vornehmlich der 20er Jahre eingeschlagen hatte, samt Schauspiel-, Gesangs- und Tanzunterricht, bis aus Jeannette Urzendowsky die „Chanson-Nette“ wurde, erfolgreich auf Kleinkunstbühnen in Berlin, Wien, ja selbst Rom, Nizza, Namibia – ein waschechter Berliner Exportartikel, Herz mit Schnauze, wie man so schön sagt.

Auch ein Politbarde

Das Material hat sie in eine spannende, angenehm konsumierbare Erzählform gebracht, gemeinsam mit Bühnenpartner Henry Nandzik, einem Hans-Eisler-Absolventen, ebenso talentiert als Komiker wie als hinreißender Sänger. Mit Theatererfahrung , vom einstigen Berliner „Metropol“ über das Theater des Westens bis zum Friedrichstadt-Palast und BE. Große Requisiten? Brauchen sie nicht – Barhocker, Stühle, ein Tisch genügen und ein Regenschirm tut’s auch, wenn Chanson-Nette als ulkiges Cowgirl ihr Seufzerlied vergeblichen Liebessehnens aus „Annie Get Your Gun“ schmettert: „Am Schießeisen beißt keiner an.“

Das kommt ziemlich weit hinten im Programm, Nachkriegszeit eben, Gilbert hatte da schon ein bewegtes Leben hinter sich – auch als Politbarde. Aus seiner Feder flossen nicht nur amüsante Zeilen wie „Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist“, romantische Refrains wie „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen“ und sehnsuchtsvolle wie „Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder.“ Von ihm stammen nicht nur wehmütige Nachklänge wie „Oh mein Papa, war eine wunderbare Clown!“ oder die Verbrüderungsarie der „Drei von der Tankstelle“ mit Willy Fritsch, Heinz Rühmann und Oskar Karlweis: „Ein Freund, ein guter Freund.“

Vor den Nazis geflohen

Gilberts Herz aber schlug auch weit links. Er verfasste neben Texten der leichten Muse, die das „Weiße Rössel am Wolfgangsee“ und andere schöne Dinge verherrlichten, unter dem Pseudonym David Weber auch politische Couplets und Arbeiterkampflieder wie das „Stempellied“, von Hanns Eisler vertont, von Ernst Busch vorgetragen: „Ohne Arbeit, ohne Bleibe/Biste null und nischt./Wie ’ne Flieje von der Scheibe/Wirste wegjewischt.“

Neben seiner jüdischen Herkunft war das Grund genug, aus Berlin vor den Nazis zu fliehen – über Österreich und Frankreich in die USA. Eine Zeit der unfreiwilligen Untätigkeit begann, wie für so viele Emigranten, die auf ihre Muttersprache angewiesen waren. Nach der Rückkehr 1949 machten sich die in Amerika erworbenen Sprachkenntnisse aber dann doch bezahlt, Gilbert brillierte mit Übertragungen von Broadway-Musicals ins Deutsche: „Nur een Zimmerchen irjendwo, mit ’nem Sofa drin sowieso. Und Jasbeleuchtung, oh oh wäre det nich wundascheen.“ So wurde die Londoner Göre Eliza Doolittle zur Berliner Kodderschnauze.

Also eine, bei deren Darstellung Chanson-Nette sich nicht groß verstellen muss. Ein Temperamentsbolzen mit feuerrotem Haar, beherzt von den Alltagsfreuden der kleinen Ladenmädchen singend, dann wieder Claire Waldoff mimend, wie sie – „Warum liebt der Wladimir, jrade mir“ – frech die eigene Attraktivität bilanziert. Oder sie tut sich im Duett mit Henry Nandzik als emanzipierte Wildwest-Schützin Annie Oakly dicke: „Alles, was du kannst, kann ich viel besser, ja, ich kann alles viel besser als du.“

„War det nich wundascheen?“

Was hätte Robert Gilbert, der nach der Rückkehr Berlin zwar nicht mied, aber nie wieder herzog und 1978 im Tessin starb, wohl zu dieser Würdigung gesagt? Zu dem geschwinden, vom biografischen Leitfaden im Zaum gehaltenen Querfeldeinritt durch die kunterbunte Welt seiner Gassenhauer, zu den stimmungsvollen Darbietungen immergrüner Glücksfantasien, ja auch zu dem gnadenlosen Anprangern der gar nicht so goldenen Zwanziger? Schließlich zum begeisterten Zuspruch des Publikums bei der Premiere und sicher auch danach? Vielleicht würde er sich selbst zitieren, mit einer Zeile aus Elizas erstem Song, leicht verändert: „War det nich wundascheen?“

Mittwoch, 4. Dezember, 20 Uhr, Theaterschiff, Schiffbauergasse 9b, Tel.: (0331) 972302, kontakt@theaterschiff-potsdam. de, www.theaterschiff-potsdam.de; Samstag, 28. Dezember, 20 Uhr, Theater-Restaurant Charlottchen, Droysenstr. 1 in Berlin, Tel.: (030) 3243 829 , www.restaurant-charlottchen.de; www.chanson-nette. de. Im Ch. Links Verlag ist soeben Christian Walthers Biografie „Ein Freund, ein guter Freund. Robert Gilbert“ erschienen.

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