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Museum Barberini in Potsdam: „Das Publikum will seine Helden leiden sehen“

Beckmanns Welttheater lässt grüßen: Norbert Lammert sprach im Museum Barberini über die Verquickung von Politik und Theater.

Ausgerechnet Ödipus! Der zum Synonym für Unglück gewordene Vater-Mörder, Mutter-Bräutigam, der zum Schluss von allen verlassene Held, diente Norbert Lammert am Dienstagabend im Museum Barberini als Einstieg dazu, um über Macht und Ohnmacht in der Politik zu reden. „Alles nur Theater?“, so der Titel des Vortrages, zu dem Direktorin Ortrud Westheider den Bundestagspräsidenten a. D. eingeladen hatte – vor der großen Bühne der „Welttheater-Ausstellung“ mit Werken von Max Beckmann. Seit Januar ist der 69-jährige CDU-Politiker Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Bis auf den letzten Platz besetzt war der Vortragsraum, wo Lammert daran erinnerte, dass Ödipus seine Prophezeiung erfüllte, indem er ihr auszuweichen suchte. Der die Verantwortung für seine Taten übernahm, obwohl er sie nicht in böser Absicht begangen hatte. Nur ein Mal, 427 vor Christus, wurde Sophokles’ Stück den Zeitgenossen vorgespielt: im Rahmen der alle vier Jahre abgehaltenen Dionysos-Festspiele in Athen, dessen Schutzheiliger Dionysos war. Die Zeitgenossen wussten, sagt Lammert, dass die Figur des Ödipus eng an den realen Herrscher Perikles angelehnt war, der zwar die Stadt Athen gegen die Spartaner zu verteidigen wusste, allerdings nicht das Umland. Als im ausgehungerten Landstrich die Pest ausbrach, ließ Perikles die Flüchtenden in die Stadt. So kam die Pest in die Stadt, die Bürger wüteten gegen ihren einstigen Helden Perikles. „Bis heute“, sagt Lammert, der 40 Jahre lang im Bundestag saß, bestimme die „Diskrepanz zwischen Absicht und Wirkung, zwischen Macht und Ohnmacht“ das Leben der Politiker wie der Gesellschaft. Und am meisten Gefahr drohe dem Mächtigen dann, wenn er sich sicher glaube. Sagt auch Barack Obama.

„Wer mächtig ist, macht sich unbeliebt."

Wer sich der Macht nähert, muss vor allem Widersprüche aushalten. Etwa diese: Macht sei verführerisch und zugleich verdächtig, so Lammert. „Wer mächtig ist, macht sich unbeliebt – spätestens dann, wenn er davon Gebrauch macht.“ Und das muss er, denn sonst kann er nicht gestalten. Am sympathischsten seien dem Volk die Mächtigen in ihrem Scheitern, Fürstenhochzeiten deshalb so beliebt, weil sie „die Ohnmacht in ihrer schönsten Verkleidung“ zeigten. „Das Publikum will seine Helden leiden sehen – auf dem Fußballplatz wie im Theater.“

Auch der Rechtsstaat eliminiert nicht die Gewalt der Mächtigen – er legitimiert sie. Die Verfassung kommt nicht ohne sie aus: „Alle Gewalt geht vom Volke aus“, zitiert Lammert. Und bohrt weiter: „Die Unterwerfung unter einen fremden Willen wird auch durch vorhergehende Wahlen und die Begrenzung der Macht nicht gemütlich.“ Denn Gewalt, das sind nicht nur Raub, Mord und Totschlag, sondern auch die Rechtsgewalt von Politikern, etwa „legal erworbenes Vermögen durch die Erhebung von Steuern zu vergemeinschaften. Oder sogar Land preiszugeben“. Unter „dem Vorwand der Gleichheit“ ertrügen die Menschen heute die tatsächliche Ungleichheit noch viel weniger als vorhergehende Generationen. Am ehesten sei man noch geneigt, Unterschiede in der Intelligenz anzuerkennen, schließlich habe man von der eigenen ohnehin oft eine hohe Meinung; doch am meisten störe die Menschen ihr spürbar differierender Einfluss.

Die Kunst als Trostmittel

Wohl auch daher komme es, dass die Bürger selbst immer häufiger zur Macht drängten. „Sie bezweifeln die Kompetenz oder die Redlichkeit der Politiker, oft beides.“ Getrieben seien sie von dem Wunsch, es besser zu machen – wenn die Betroffenheit und das eigene Interesse am Thema groß genug ist. Hier zitiert Lammert Umfragen: „Neun von zehn Deutschen halten die Demokratie für die beste aller Regierungsformen. Acht von zehn denken, auf die Interessen des Volkes werde kaum Rücksicht genommen. Und nur einer von zehn denkt, dass man durch Wahlen Einfluss nehmen kann auf die Politik.“

Doch was folgt daraus – für Politiker wie für Bürger? Für Akteure wie Zuschauer? Lammert schlägt den Bogen zurück zum Welttheater, in die deutsche Geschichte: Die Weimarer Republik, sei „nicht an ihrer Prosa gescheitert – eher an der lustlosen Umsetzung“. Ja, wird er nach dem Vortrag den PNN sagen: Auch den Bundestag habe er manches Mal als Theater empfunden, „aber dann hat er den Ansprüchen nicht genügt, die ich an ordentliche Aufführungen habe“. Doch der Bundestag dürfe auch gar keine Showbühne sein: „Er ist ein Debattenforum, in dem die großen Streitfragen unseres Landes in öffentlicher Auseinandersetzung behandelt werden sollen, da muss es ernsthaft und seriös zugehen.“

Tröstlich sei, dass die Kunst bei der Suche nach Antworten helfe, indem sie die Realität spiegle – wie Sophokles im „Ödipus“. Denn der Mensch sei stets auf der Suche. Entweder nach dem, was er verloren habe – oder nach dem, was er dringend zu brauchen glaubt. 

Stefanie Schuster

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