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Mit Maske und Mut: Zivilcourage aus dem Bilderbuch

Zehn Jahre arbeitete der Potsdamer Comiczeichner Tomppa an seiner Serie „Der Engel“, die im Berlin des Jahres 2029 spielt. In diesem Jahr hat er nun den letzten Band vorgelegt

Von Helena Davenport

Berlin, 2029. Der Fernsehturm ist längst nicht mehr das höchste Bauwerk. Dort, wo heute der Tiergarten liegt, stehen unzählige Wolkenkratzer, die das Wahrzeichen der Stadt um viele Meter überragen. Mangelnder Platz ist aber nicht das größte Problem. Rechtsextreme tyrannisieren die Bewohner. Sie planen ein Attentat auf den türkischstämmigen Bürgermeister, um an die Macht zu kommen. Dem Bösen gegenüber steht ein selbsternannter Beschützer: „Der Engel“. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, seine Stadt zu verteidigen. Ohne besondere Superhelden-Kräfte lässt er sich nachts in Mantel und mit Maske furchtlos in Straßenschluchten hinab, um gegen die rechten Schläger zu kämpfen – Zivilcourage aus dem Bilderbuch.

„Mir war es wichtig, dass man sich mit der Hauptfigur identifizieren kann“, erzählt der Potsdamer Comiczeichner Tomppa, der eigentlich Thomas Leopold heißt. Der komplett furchtlose Protagonist seiner sechsteiligen Comicserie „Der Engel“ erinnert im schwarzen Outfit eher an Batman als an den Typen von nebenan. Aber die Tatsache, dass auch er sein Päckchen zu tragen hat, beruhigt: Er begeht Fehler, hat Selbstzweifel und wird von Liebeskummer gequält. Die Szenerie um ihn herum hingegen kann nur beunruhigen. Sie wirkt erschreckend realitätsnah – wie eine Horrorprognose, der man lieber nicht glauben möchte.

Er selbst sei kein politischer Mensch, sagt Leopold, während er im Schneidersitz auf dem Ecksofa in seiner Groß Glienicker Wohnung sitzt. Die obere Etage gehört allein Tomppa und seinen Comics, Sammlerstücken, Zeicheninstrumenten. Aber es gebe da eine Sache, die ihm wichtig ist: Toleranz. Und so hat er den Kampf für die Toleranz zum Thema seiner Serie gemacht, die er im Laufe der vergangenen zehn Jahre Heft für Heft je mit circa 20 Seiten veröffentlichte. Der finale Comic „Teil 5.2“ erschien vor Kurzem im September 2017, im Chemnitzer Verlag Thenextart.

Thomas Leopold – in Berlin geboren, in Wernigerode aufgewachsen – zeichnete schon als Kind. Als leidenschaftlicher „Star Wars“-Fan, bildete er zu Anfang hauptsächlich seine liebsten Charaktere der Fantasy-Science-Fiction-Saga ab. Auch darüber hinaus habe er alles verschlungen: „Asterix und Obelix“, „Fix und Foxi“, „Tim und Struppi“. Aber die amerikanischen Comics mochte er am liebsten: nicht so kleinteilig, mehr Action, leichter. Für ein Kunststudium habe seine Zeichenkunst leider nicht gereicht. Mit diesem Traum im Hinterkopf machte er erst eine Ausbildung zum Immobilienkaufmann, anschließend studierte er BWL. Dann landete er im Vertrieb der Potsdamer Softwarefirma Oracle, wo er nach kurzer Pause auch heute arbeitet.

Zum Comiczeichnen gehören viele Jobs dazu, erklärt Leopold. Man sei Regisseur, Kameramann, Bühnen- und Maskenbildner zugleich. Zuallererst entwickelt er das Layout für die komplette Geschichte, teilt die Seiten auf, skizziert die Charaktere. „Zu irgendeinem Zeitpunkt zieht es mich dann raus in die Stadt und ich mache Fotos“, heißt es im Making-of zum ersten Comic. Die Fotos dienen Tomppa als Vorlagen. Dass einige der Charaktere dem Autor stark ähneln, ist also kein Zufall. Die Zeichnungen kolorierte er bis vor Kurzem mit Gouache – genauso wie sein großes Vorbild Alex Ross, der unter anderem „Batman – Krieg dem Verbrechen“ von 2001 zeichnete.

Blau, Rot, Schwarz, Weiß – Tomppas Farbpalette ist klein. Aber seine eindeutige Farbgebung sorgt für Klarheit in den feingliedrigen Zeichnungen. Der Strich ist nicht flüssig, die Gesichter seiner Figuren sind oft kantig, weswegen die Charaktere schnell verschroben wirken. Regen lässt Szenerien verschwimmen, es ist fast ständig düster – überhaupt passt hier vieles gut zu Berlin. Sein etwas wortkarger Superhero ist ziemlich brutal. Für die Visualisierung seiner Sprünge und Fausthiebe sorgt mal grob, mal präzise verwischte, getropfte, gesprenkelte Farbe. Die Perspektiven wechseln ständig, die Heftseiten sind immer wieder anders aufgeteilt – mal durch Diagonalen, mal klassischer in Kästen, aus denen Arme hinausragen und Tränen herausfließen – keine Szene wirkt wie die vorige.

Ein „intensives Hobby“ nennt Leopold das Comiczeichnen, mit dem er vor zehn Jahren begann. Seine Frau hatte ihm von dem Comicdesign-Kurs in der Berliner Games Academy berichtet. Ein Jahr jeden Samstag sechs Stunden Zeichnen unter Anleitung – er habe sofort Feuer gefangen, erzählt Leopold. Die einzige Vorgabe für den ersten selbst gestalteten Comic lautete: Ein Vollmond soll auftauchen. Kein Problem für eine Superhelden-Story – „Der Engel“ war geboren.

„In erster Linie will ich unterhalten“, sagt Leopold. Er wolle genau das, was der deutsche Comic eigentlich nicht könne und noch nie gekonnt habe: Unterhaltung ohne zu viel Tiefe, ohne zu viel Witz, aber auch nicht trivial, amerikanisch halt. In Amerika sei der Comic als Ersatz für die Mythen Teil der Kultur und wie etwa in Frankreich und Japan eine Kunstform. In Deutschland gelte er noch immer als Bildergeschichte für Kinder und sei deswegen entweder pädagogisch wertvoll oder urkomisch wie „Werner“, findet Leopold. „Die Deutschen fühlen sich unwohl dabei, den Comic wie einen Roman ernst zu nehmen“, sagt er. „Der Engel“ ist ernst, sehr ernst sogar.

2011 kam Leopold seinem Traum zum Greifen nah. Die Stan Lee Foundation in Springfield, Virginia, hatte einen internationalen Talentwettbewerb ausgelobt, an dem rund 1700 junge Zeichner teilnahmen. Der Preis: neben Geld ein Tag mit Legende Stan Lee, dem Erfinder von Spiderman. Tomppa entwarf den „Counselor“, einen unscheinbaren Berater à la Walter White aus der TV-Serie „Breaking Bad“ mit Stoffhose, Umhängetasche und Grips. Und er gewann – ganz ohne feste Fangemeinde. Leopold kündigte seinen festen Job. „Ich hatte mir natürlich ein finanzielles Polster zurechtgelegt. Für etwas anderes wäre ich gar nicht der Typ“, erzählt er. Eineinhalb Jahre war er hauptberuflich Tomppa. „Es ist gut, dass ich das mal ausprobiert habe. Ich mag das Zeichnen zu sehr, als dass ich es beruflich machen könnte“, sagt er. Wenn man Geld mit etwas verdienen wolle, gehe dieses Etwas kaputt. „Ich habe außerdem schon bei Stan Lee gemerkt, dass ich nicht schnell genug bin“, sagt Leopold. Er brauche für eine Seite einen kompletten Arbeitstag.

Seit drei Jahren zeichnet Tomppa wieder abends nach der Arbeit und am Wochenende. Bald soll es eine Fortsetzung des „Counselors“ geben. Den Druck bei dem Verlag Thenextart, den ein Freund hobbymäßig betreibt, bezahlt er meistens aus eigener Tasche. Die Hefte verkauft er auf Messen.

Seit fünf Jahren arbeitet Tomppa digital mit Photoshop, seit drei Jahren sogar ausschließlich. Die letzten beiden Hefte von „Der Engel“ sind nur noch schwarz-weiß-rot, die Szenen sind kleinteiliger und wilder. Die Akzente durch Tusche, die einen Kontrast zum harten Strich bildeten, fehlen – dafür sind die Mimiken präziser, das Tempo ist rasanter. Für mehr Feinheiten innerhalb der Geschichte sorgt Robert Heracles, der seit Heft Nummer vier von „Der Engel“ die Texte für Tomppa schreibt.

Reine Unterhaltung ist „Der Engel“ nicht. Man könnte sogar meinen, dass seine Geschichte veranschaulicht, wie sich die Situation in der Realität Stück für Stück zugespitzt hat. „Ich hoffe, die Geschichte ist utopischer, als sie jetzt gerade den Anschein macht“, sagt Thomas Leopold. Ein richtiges Happy End hat sie nicht. Wie auch, in einer Welt ohne Toleranz.

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„Der Engel“ von Tomppa, Thenextart Verlag 2017, 28 Seiten. Preis: 4 Euro.

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