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Kultur: Mit Fotos malen

Ludwig Rauch schafft einzigartige Bilder, ab Freitag stellt er im Kunstraum aus

Das Unvermittelte, das ist es nicht. Nicht für Ludwig Rauch. Vielleicht liegt es daran, dass ihm, dem Fotografen, die Malerei schon immer näher lag. Das sagt er selbst. Schnell lässt sich für ihn keine Kunst machen. Das sagt er selbst nicht so, aber das merkt man, wenn man ihm zuhört. Ihm geht es nicht so sehr um Konzepte, auch nicht ums Dokumentarische, beides hat in der Kunst – ob Fotografie, Malerei, Theater – gerade Konjunktur. Ludwig Rauch interessiert sich für das Bild. Es muss stimmen. Nur den Absprung, sagt er, darf er dabei nicht verpassen. Ist alles schon vorgekommen: dass er noch etwas und noch etwas hinzugefügt oder verändert hat. Und irgendwann erkennen musste, dass es zu viel war. Dass er den Augenblick, als das Bild gut war, übersehen hat.

Und dann gibt es Bilder, die lange nicht stimmig waren. Die ihn aber trotzdem nie aus dem Kopf gegangen sind. Wie das des Straßenzeichners in Venedig: Ludwig Rauch hat ihn festgehalten, mit seiner Kamera, wie der da am Canale Grande saß, den Kopf tief gesenkt über seiner Skizze. „Der hat mich nicht losgelassen, das Ganze drumherum aber, das Foto an sich, hat mich nie ganz überzeugt.“

Gut, dass Ludwig Rauch jetzt – nach harter Arbeit, nach vielem Scheitern – eine Methode gefunden hat, um den einsamen Zeichner nach Hause zu bringen. An einen Ort, in ein Bild, in dem er das ist, was Rauch in ihm sieht, und all die Jahre gesehen hat. Jetzt sitzt er im Grünen, genauer: vor einer Wand aus Grün, nein, eigentlich mehr ein Horizont. So weit spannt sich die Farbe über das Bild, durchmasert von Jahresringen – Holz, doch kein Himmel. Und weiter unten wird es nicht nur verwirrend, sondern rasend gefährlich: Zu den Füßen des Zeichners stürzt Wasser ins Nichts, die Niagara-Fälle vielleicht, aber auch das ist nicht sicher. Der Zeichner aber, der sitzt auf der Kante, völlig ungerührt, und zeichnet.

Was hier ein Bild ist, sind eigentlich viele. Nur sieht man, anders als bei Collagen, keine Ränder, keine Überschneidungen. Hier ist kein Bruch. Nur Bild. Wie Rauch das macht? Lauter Fotos aus seinem Archiv, aus 30 Jahren des Fotografierens, verwendet er für seine neuen Arbeiten. Er legt sie übereinander, am Computer, klar, manchmal drei, manchmal bis zu 20, bis etwas entsteht, das an alte Meister erinnert, oder an ein Musikvideo. Oft etwas, aus dem man den Geruch von Farbe und die Leinwand herauszuriechen glaubt – und das doch ganz und gar aus Fotografie gemacht ist. „Alles meine Bilder“, sagt Rauch. Nichts ist hinzugefügt, es ist nichts drin, was er nicht live gesehen hat. Auch am Rechner fügt er nichts hinzu. Er schichtet nur.

Es sind Fotos, aber was sie zeigen, ist – totale Verdrehung der Grundidee von Fotografie – nichts, was sich wirklich zugetragen hat. Niemand hat diese Szenen je gesehen. Es sind, das ist das Erstaunliche, Fotos von Träumen, von Erinnerungen. Und genau wie Träume und Erinnerungen entstehen sie auch. Aus Versatzstücken, Überlagerungen. Jeder weiß, dass sich auch über selbst Erlebtes mit der Zeit Erfahrungen, Erzählungen anderer, Wünsche und Hoffnungen legen. Bis man die eigene Geschichte überschrieben, neu geschrieben hat. Nichts ist, wie es scheint. „Nothing true at all“, so heißt auch Rauchs Ausstellung, die am Freitag im Kunstraum des Waschhauses eröffnet. Eigentlich lebt Rauch, der 1960 in Leipzig geboren ist und dort auch studiert hat – Bildjournalismus –, in Berlin. Heute unterrichtet er an der renommierten Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin. Er und Mike Gessner, der Kurator des Kunstraums, aber kennen sich schon lange, seit den frühen 90er-Jahren. Und weil sie sich so vertrauen, sagt Gessner, habe er auch sofort zugesagt, ohne zuvor alle Arbeiten aus Rauchs neuer Serie gesehen zu haben.

Alle 46, die hier hängen, sind im vergangenen Jahr entstanden. Seit Rauch seine Methode entwickelt hat, seit es klappt, arbeitet er wie unter Strom. Die Speicher sind voll, sagt er, jetzt kann er anfangen, das Erlebte, das Gesehene zu formulieren. Ein Teil der Ausstellung atmet genau das: Hier sind die Bilder genau so aufregend und unverständlich wie die Träume eines anderen. Man betrachtet sie und macht sie so zu einem Teil des eigenen Erfahrungsschatzes. Der halt nur beim Betrachter, weil er eben kein Künstler ist, immer im Verborgenen des Kopfes bleiben wird. Dieser Teil, sagt Rauch, das sind „die eigentlichen Bilder“. Sie tragen auch alle Titel – „Content Manager of Soul“ etwa, oder, wie der Zeichner am Abgrund, „Daily Distraction of Living“. „Die sind aber keine Beschreibung des Bilds“, sagt Rauch. Sondern Beschreibungen dessen, was ihm bei der Arbeit daran durch den Kopf geht. Das ist ein Unterschied.

Im kleinen Teil in der Mitte des Kunstraums hängen eher spielerische Arbeiten. Fingerübungen für die Methode. Und auch: eine Hommage an die Pop-Art. Die Lochmuster, die bei Andy Warhol durch Siebdruck-Technik entstanden, finden sich auch auf den Fotos von Rauch. Hier aber sind sie der Realität entnommen, es gibt sie wirklich. Was sie mal waren, kann man den Bildern nicht mehr entnehmen, sie haben sich, wie Partikel im Wasser, ihrer neuen Realität, der des Bildes, gefügt. Und wie alle Strukturen bei Rauch sind auch die Lochmuster nie in sich gleich, die Farbe der Punkte wechselt mit dem Untergrund, keiner gleicht dem anderen.

Eigentlich ist es wirklich wie beim Malen – der Rohstoff, die Farbe, ist erst mal unspektakulär. Erst im Bild selbst entstehen Welten aus ihr, die sich kaum einer vorstellen kann, solange sie auf der Palette klatscht. Lustig ist, dass Bilder von Malern wie Fotografie aussehen können – „Gerhard Richter etwa, der ist Maler und malt, als wär’s Fotografie“, sagt Rauch. „Warum soll ich es nicht andersherum machen?“

Er ist jetzt sozusagen die zweite Stufe des Beweises: dass nämlich die Fotografie die Malerei nie überflüssig gemacht hat, auch wenn sie die Natur so viel perfekter wiedergeben kann als jede Hand. Wenn Fotografen ihre Bilder wie Malerei aussehen lassen, ist das wie eine Verbeugung des jüngeren Mediums vor dem alten. Oder der Kunst vor der Kunst – in ihrer reinsten, weil spielerischsten Form.

„Nothing true at all“ eröffnet am Freitagabend um 19 Uhr im Kunstraum, Schiffbauergasse, und ist dort bis 12. Juni zu sehen.

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